the gift of critical insight

In seinem 1991 für die Zeitschrift A.N.Y.P. entstandenen Text fordert Stephan Geene eine Kunstkritik ein, die sich nicht in der nachträglichen Interpretation erschöpft, sondern vielmehr neue Kunst hervorbringt; eine Kritik, die die rein analytische Ebene verlässt und direkt auf die Veränderung bestehender Verhältnisse zielt.
Do you like Brand-New-Life?
Become a Member

Ob geld nicht doch zu etwas gut sei + wenn, zu was, diese frage wird seit letztem jahr unter den kunstbetreibenden kölns verstärkt gestellt. 

deren kunstüberlegenheit in puncto kunstentwicklung/beeinflussende galerienpraxis etc. ist bekannt. einige konzentrierte personen haben damit begonnen, diese situation zu einer theorie-belebung zu nutzen. aus dieser mitte heraus geben isabelle graw + stefan germer die zeitung mit dem trockenen titel «texte zur kunst» heraus. das scheint das zu sein worauf wir alle warten: ein nicht auf den markt guckendes organ für alle gedanken + aktivitäten, die es mit kunst «ernst» meinen. vorbild (wohl nicht nur in der aufmachung) das soziale kontexte betonende october-magazin aus new york. 

dass es hierbei nicht nur um eine zeitung geht, sondern überhaupt um wirkung im kunstmarktbereich, das zeigen die merkwürdigen allianz-linien nach stuttgart, graz + sonst wo hin. 

von hier aus der versuch: wie verträgt sich theorie mit geld. benötigt + unterhält geld theorie oder umgekehrt. kann theorie geld beeinflussen? 

KÖLN SHOW

keine kunstzeitung die 1990 nicht mit einer werbung für die köln-show traktiert wurde, der gemeinschaftsschau der «führenden», aber irgendwie progressiveren galerien kölns. köln wollte die kunst der 90er jahre bestimmen. man war blöd genug das auch noch offen auszusprechen. der katalog sollte im spex-verlag erscheinen; was hatte spex damit zu tun? textredaktion des katalogs: isabelle graw. 

die veranstaltung war kunstöffentlicherseits bestens besucht + häufte eine unzahl von künstler/innen an die ausstellungswände + auf die böden, die alle im weitesten sinne gedankliches ahnen liessen: permanenter verdacht, es handle sich um gute künstler/innen (von einigen der beteiligten glaubte man das sogar zu wissen). die häufung der arbeiten (von ca. 60 künstlern) verkehrten die wirkung ins gegenteil: die denk-kriterien, die noch nicht einmal das etwas allgemeinere licht der öffentlichkeit erblickt haben, die (siehe berlin) noch immer sich «im kampf» für eine konzeptuellere kunst + gegen jede art von expression + materialaussage befinden, beginnen vor ihrer eigentlichen entfaltung schal zu werden. phänomenal blieb eher (vielleicht soziologisch interessant) der unbegrenzte variationssinn der künstler/innen, die eigenen arbeiten in eigenwilligen bedeutungskontexten zu präsentieren (die je eigene nische). der katalog «nachschub» nahm elemente der späteren zeitschrift «Texte zur Kunst» vorweg: unterschiedliche ebenen des textlichen verhältnisses zur kunst. ein kommentar, der eine in sich selbst theoretisierende kunst kommentieren will, kann an diese selten deutend koppeln, sondern muss eigene strategien entwickeln. er kann/muss daher seinen status vom kunstkritischen zum kunstheoretischen häufig wechseln; kann daher auch einer kunst, die ein ihr eigenes neues kunstverständnis voraussetzt, dieses nachliefern oder aber einer kunst den weg ebnen, die gerade erst durch oder in dieser neuen beschreibungsebene geschaffen wird. 

jutta koethers textarbeit (in anküpfung an ihre jahrelange undercover arbeit als hermetische kunstrezensentin mrs. benway im monatlichen spex), die pop-begriffe prägt wie «kissing the canvas» oder «see-system», um damit in generalisierender weitläufigkeit bedingungen der kunstproduktion von virtuell allen seiten aus zu beschreiben, kann umstandslos selber ihre eigene kunst herstellen: indem jutta koether diese begriffe in ihre bilder einschleift oder aber rhythmus hervorbringende lese-performances + hör-objekte herstellt (ihre CD bei standard graphics). 

diedrich diedrichsens beitrag in nachschub ist, was selten ist, programmatik: «oh! lambada». diedrichsen hat hier seine praxis der schnellen wechsel + relativen wahrheiten niedergelegt + einen komplexen, sich ins kulturbekannte (lambada, lindenstrasse, sinead o’connor etc.) werfenden traktat verfasst, der apparatartig das ausdifferenzierte funktionieren von kultur beschreibt. der beat, den er sprachlich anschlägt, ist die logische vernetzung von verschiedenen stellgrössen, die kultur als stimulanzindustrie regeln. die metapher «pornographie» steht für das abschaffen sozialer kosten von produktion, dh. der vorgabe (kunst-)produktion sei umsonst, aus reiner kreativer freude o.ä. machbar. ähnlich der metapher lindenstrasse täuscht dies vor, soziales (+ damit leben) sei ohne verschleiss möglich, d.h. alles sei zur hand, nah – wobei die fernseh-lindenstrasse, die sonst kein problem auslässt, gerade den eigentlichen technologischen inhalt einer fernsehsendung ausklammert: nämlich vereinsamung. «freiheit», die diedrichsen erklärt als «nicht-mal-mehr-ausgebeutet-werden», aber auch als schutz vor dem noch schlimmeren terror eines familienobdachs, ist voraussetzung für die jetzigen wirkungsweisen der stimulanzindustrie die in ein «endlos geflochtenes Band» von opfer/kunde gewebt ist.

«Unser Anspruch an Kunst ist es, daß sie mit ihren (menschlichen) Kosten in einer Weise umgeht, die wenigstens sichtbar, also diskutierfähig ist, im besten Falle den lebensbegreifenden Instinkt aufzeigt, den wir Stil nennen».

damit hält er alle instrumentalisierung von kunst für falsch + gibt ihr einen status «wie leben». kunst ist eine produktionsweise die im leben stehen + ihre kosten zeigen soll: das wieder mache ihren sinn aus. diedrichsen mythologisiert kunst damit zu einer existenznotwendigkeit wie essen oder neurosen haben. so wird das personale einer kunst, – machtstrukturen, verarschungen etc. – wenn es sich als arbeit niederschlägt, zum kriterium von richtiger kunst. 

die mit diederichsen in verbindung stehende kunst-freunde-gemeinschaft macht davon gebrauch, lebensumstände zur kunst-produktion heranzuziehen. 

im interview diedrichsens mit dem künstler michael krebber zeigt sich dieser umstand in seiner loop-form: nicht nur der erscheinungsort – eine zeitschrift der deutschen industrie – sondern das gespräch selber lassen die selbstreflexivität auf die persönlichen gegebenheiten hohl werden. krebber verweigert denken (an sich ehrenhaft); die ineinssetzung von kunst + person führt (schon bei diedrichsen) zur überschätzung von kunst. hier wird nichts-zu-sagen-haben zur fähigkeit, diesen denkstop in aura zu verwandeln: aus nichts etwas machen als ultima ratio der raffiniert verdrehten kunstindirektheit.

«jugend forscht»

isabelle graws ausgeprägtes interesse gilt zur zeit einem phänomen das sie mit «feldforschung» bezeichnet: aufgehängt an einer reihe von «neuen» kontext-künstler/innen. ihre ausstellungen/aktionen sind oftmals 1. aufwendig + 2. unkommerziell. (alle von ihr genannten waren bei der köln-show dabei). 

graw macht in ihrem texte zur kunst-beitrag diesbezüglich 2 punkte klar: der strenge, nicht auf material, sondern auf aussenwelt bezogene konzeptionalismus dieser künstler/innen ist folge der kapital-krise (vornehmlich in usa); für diese künstler/innen sind damit wirtschaftliche umstände verbunden, die bis zu armut gehen können. in der zeitschrift flash art wird unter demselben titel (das projekt «feldforschung» hat weltgeltung) der mut der so arbeitenden künstler/innen zur didaktik betont (was dem kritiker didaktik abnimmt + andere wege eröffnet – wie das jutta koether eben in diesem sinne schon des längeren extensiv betreibt). «halbkünstlerische phänomene», die echte gesellschaftliche funktionen übernehmen wie die aids-aktivisten act up (we must become our own experts) oder das «privilege of non-scientific investigation» werden von ihr als rahmenbedingungen angefügt.

«Am besten läßt sich die so verstandene Funktion von Kunst als das Gegenteil dessen, was Joseph Kosuth im folgenden Zitat sagt, beschreiben: ‹Kunstwerke sind analytische Propositionen. Das besagt, daß sie - innerhalb ihres Zusammenhangs als Kunst betrachtet – keinerlei Information über irgendwelche Tatsachen liefern.› Stattdessen würde jetzt gesagt werden müssen: Kunstwerke basieren auf Tatsachen, deren Zustandekommen erforscht und in einen konstruierten Zusammenhang mit anderen Informationen gebracht werden kann.» (texte zur kunst 1, s.171)

im unterschied zu nicht-künstlerischer untersuchungsarbeit ein paar sätze weiter: «Ortsspezifisch arbeiten heißt nicht mehr (wie in den 60ern und 70ern) dem besonderen Ort Rechnung zu tragen, sondern aus ihm einen ANDEREN zu machen, der seine Lage besser beschreibt. Genauso heißt «politisch sein» nicht mehr das Aufdecken (wie z.B. bei Hans Haacke) von Korruption und Verfilzung von kulturellen und politischen Aktivitäten – denn diese Aufgabe hat der Enthüllungsjournalismus im Allgemeinen und die regelmäßige Skandalberichterstellung des «Spiegel» im Besonderen übernommen. «Politisch sein» heißt die Behandlung von genau umrissenen Teilproblemen (eine bestimmte Geschichte, Kulturpolitik, Umweltzerstörung oder Repräsentation) nicht als reale, sondern als imaginäre, denen mit einer konstruierten Realität begegnet werden kann. Manchmal fehlt dafür das Publikum.»

in ihrer arbeit für die köln-show haben fareed armaly + christian-philipp müller das treppenhaus des galerienhauses zu einem anderen ort gemacht. kaufhaus-musik als verweis auf das kommerzielle der köln-show ist in seinem politischen begriff trivial. dem blinden fleck weicht sie aus: die ineinsetzung von geld + problematisch-werden von kunst ist falsch, der einfluss von geld auf die personale ausstattung der kunstszene, ihre «feudalistische wirkung» ist wesentlicher. + diese problematisiert die mögliche bedeutung des wortes «politisch». in der besetzung dieses wortes kann kunst nicht auf gängige referenz zurückgreifen. aber sie muss sich zu dem punkt verhalten, an dem die kunstszene politisch ist: an der wirkung von geld auf sie selbst.

in dem hier beschriebenen teil-köln wirkt geld auf theorie durch hereintragen von heterogenem. was verbindet kritik an imperialistischer übernahme-mentalität der brd (graw über ex-ddr in lotte oder die transformation des objekts, katalog graz) mit den jungen kölner galerien, die das geschäftliche als prinzip verkörpern. was das gespräch mit dem situationisten ohrt in texte zur kunst mit der anzeige (ebd.) der ‹lord jim loge›, einem gag-sexistischen männerclub, dem ein erheblicher teil der den kölnneukunstbereich ausmachenden männlichen aktivschaft angehört. personalstrukturen sind präsent auch in der selbstbekundung eines assistenten von büttner, oehlen + kippenberger, der «power relationship» einer «pseudo-equality» vorzieht. diese heterogenität ist weit davon entfernt, «kompromiss» zu sein. geld, industrie, zynismus (oder relativismus/spiel) gehören zum «engagement» dazu, beides ist aneinander gebunden + wäre ohne das je andere nicht möglich. aber was ist das für eine substanz, die daraus entstanden ist. regel der chemischen verbindung: die synthese muss keine eigenschaft der ausgangsstoffe mehr realisieren. die neue verbindung ist keine mischung mehr, sondern etwas neues. anders gefragt: was ermöglicht diese situation wirklich, welche logik verfolgt sie (intern/jenseits von absichten) der jetzige kölngeist ermöglicht erst einmal eine enorme bereitschaft, inhaltliche statt finanzielle kriterien für ausstellungen bereitzustellen; ausstellungen wie die von peter fend (in 3 kommerziellen galerien gleichzeitig) sind beispiele für ein grosses ernsthaftigkeitspotential. dieser geist besteht aber gleichzeitig auf seinen macht/personen-strukturen + dem ausschluss von moralischen nein-aussagen. auch eine verbindung mit «realwelt» initiativen (wie zb. act up) die mehr als symbolisch ist, erscheint aus personalen gründen unwahrscheinlich, die absicht an wirklichkeit teilzuhaben ist zwar primär evident, sekundär aber philosophisch: an was denn? dass die teilnahme-aktion diese ebene eigens bestimmt, erscheint vorläufig als das künstlerische. das produkt das dadurch herstellbar ist, beweist sich im gebrauch.

Zuerst erschienen in: A.N.Y.P. Die Zeitung für 10 Jahre, Nr. 3, 1991.