Finding Ways Out

Im Gespräch mit Kabelo Malatsie

Für V/A hat Lucie Kolb mit der Südafrikanischen Kuratorin Kabelo Malatsie (ab 2022 Direktorin der Kunsthalle Bern) über ihre kuratorische Praxis, ihre Forschung zu institutionellen Experimenten und die Arbeit an institutionellen Rahmenbedingungen gesprochen. Auf Brand-New-Life erscheint die deutsche Übersetzung des Gesprächs.  
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Foto von George Mahashe; Styling von Unathi Mkonto; Makeup von Xola Makoba

Lucie Kolb: Du warst Direktorin von VANSA (2018-19), einem Künstler*innennetzwerk, das sich für die Rechte von Künstler*innen einsetzt. Du hast Einzel- und Gruppenausstellungen in Galerien, Museen und Biennalen (zuletzt die Yokohama Triennale 2020) kuratiert, dies sowohl alleine als auch in Kollaborationen. Du hast auch selbst an Ausstellungen teilgenommen und «Autonomy?» (2018) veröffentlicht, eine Studie über Selbstorganisation und institutionelle Rahmenbedingungen. Mich interessiert, wie du dich in den verschiedenen Rollen bewegst und wie diese sich gegenseitig beeinflussen.

Kabelo Malatsie: Am Anfang war ich gar nicht so sehr an der Entwicklung einer kuratorischen Praxis interessiert, denn ich hatte ein begrenztes Verständnis davon. Es hat mich nicht gereizt, in irgendeiner Institution Werke an die Wand zu hängen; mir gefiel es, im Hintergrund zu recherchieren und mit Künstler*innen zu arbeiten. Als ich bei Stevenson war, einer kommerziellen Galerie in Kapstadt und Johannesburg, hatte ich das Gefühl, dass die Objekte in den Ausstellungen nicht imstande waren, den Gehalt der Gespräche mit ihnen zu vermitteln. Dies bedauerte ich. So kam ich auf die Form des Interviews: Gespräche, die Denk- und Handlungsweisen bereichern und aufzeigen sollten. Durch sie bekommen wir ein intimes Verständnis der künstlerischen Praxis und ein Gefühl für den Prozess. Als ich in diesem Kontext arbeitete, traf ich die verschiedensten Menschen, von Künstler*innen bis hin zu Sammler*innen und Kurator*innen, und entdeckte eine Kluft: Auf der einen Seite standen die grossen kommerziellen Galerien, die aufgrund ihrer Ressourcen, ihrer guten Vernetzung und ihrer Mobilität die Erzählung der zeitgenössischen Kunst kontrollieren, und auf der anderen Seite die Museen, die in Südafrika strukturell eher schwach sind. Ich wollte diese Kluft erforschen und habe im Rahmen meiner Publikation «Autonomy?» unabhängige und experimentelle Praktiken untersucht. Dabei ging es um die Frage: Wie finden wir einen optimalen Rahmen für Experimente in Institutionen, in denen wir vorübergehend unabhängig vom Einfluss der weichen Macht externer Geldgeber*innen sind? Ich nutzte die Form des Interviews, um mit Menschen zu sprechen, die solche Experimente initiiert haben. Ich wollte ihre Praktiken aufzeichnen, zeigen, wie sie existieren konnten, und gleichzeitig ihre Fallstricke untersuchen. Inwiefern waren sie in der Lage, sich zeitweise von der Selbstzensur zu befreien, die mit der impliziten und expliziten Agenda externer Geldgeber*innen einhergeht? Als ich mich für die VANSA-Stelle bewarb, wollte ich sehen, wie diese «Theorie» in der Realität aussah – und es war schwieriger als angenommen. Bei VANSA habe ich auf einer ganzheitlichen Ebene interveniert, indem ich Themen wie Gesundheit und Arbeit, Forschungslücken und das Schliessen dieser Lücken vorgebracht habe. Das bedeutete, auf Regierungsebene zu arbeiten und sich dafür einzusetzen, dass Künstler*innen in den laufenden Entwicklungsprozessen der nationalen Gesundheitssysteme berücksichtigt werden. Aber das ist schwierig, da die Politiker*innen nicht lange genug im Amt bleiben, um eine Wirkung zu erzielen. Ein solcher (kuratorischer) Ansatz manifestiert sich nicht in Ausstellungen oder Workshops, und es ist schwer, ihn aufrechtzuerhalten, da die Betriebskosten kaum von lokalen oder internationalen Fördereinrichtungen finanziert werden. Sie wollen, dass man eine Ausstellung macht; sie wollen die PR-Fotos. Wie kann man die Arbeits- und Forschungsprozesse in einer Förderlandschaft sichtbar machen, die hauptsächlich an Endergebnissen, an Ausstellungen und Produktionen interessiert ist?

L: Ich finde diese Fragen nach dem Verhältnis zwischen Finanzierungsstruktur und künstlerischer und kuratorischer Praxis entscheidend. In der Schweiz gibt es die Initiative «Wages for Wages Against», welche sich für eine offene Diskussion über künstlerische Arbeitsbedingungen einsetzt. Sie hebt Praktiken hervor, die nicht immer unbedingt auf eine Ausstellung oder einen anderen repräsentativen Output ausgerichtet sind. Die Initiative ist eher an Prozessen auf staatlicher Ebene im Sinne einer infrastrukturellen Arbeit interessiert, also ähnlich dem, was du mit VANSA angestrebt hast. In meiner Forschung zu «Institutions as a Way of Life» tausche ich mich mit Künstler*innen aus, die an der Institution arbeiten und versuchen, strukturelle Probleme sichtbar zu machen und auf sinnvolle Weise in sie einzugreifen. Auch du beschreibst deine Praxis als etwas, das «die Welt, in der wir leben, neu macht und neu liest». Du erforschst die Infrastrukturen der zeitgenössischen Kunst, aber entwickelst auch praktische Vorschläge, wie man die zeitgenössische Kunst neugestalten kann.

K: Für mich ist die Definition der zeitgenössischen Kunst als Disziplin immer uninteressanter geworden. Wir haben ein Arbeitsmodell für das, was wir darunter verstehen: die Industrie und die Art, wie sie funktioniert. Aber die Art der Kategorisierung dessen, was zeitgenössische Kunst sein sollte, ist etwas, wozu der Westen neigt. Wenn man Köch*in und Philosoph*in ist, muss man nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt Köch*in und zu einem anderen Zeitpunkt Philosoph*in sein; man kann Philosoph*in sein, während man kocht. Eine Trennung ist im Grunde unproduktiv. Ich denke, in diesem Sinne hat sich der Begriff der Praxis für mich erweitert, und es ist mir ziemlich egal, ob eine bestimmte Praxis als zeitgenössische Kunst angesehen wird oder nicht. Für mich ist es wichtig, Wege zu finden, nicht zu einer Insel zu werden. Sonst kann es schnell passieren, dass man eine Resonanzkammer schafft, in der man sich weder von anderen Disziplinen inspirieren lässt, noch mit anderen spricht, weil man glaubt, die eigene Sache sei so einzigartig.

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Foto von George Mahashe; Styling von Unathi Mkonto; Makeup von Xola Makoba

L: Mir gefällt, wenn du sagst, dass es gar nicht darum geht, zeitgenössische Kunst neu zu definieren oder neu zu machen. Das führt mich zu einem anderen Thema, über das ich mit dir sprechen wollte: dein Begriff des Untergrunds, der für dich relevant zu sein scheint.

K: Ich bin keine Kuratorin, der jeden zweiten Tag ein neues Thema einfällt. Ich habe nur eine Herangehensweise: meinem Interesse zu folgen. Die Frage nach dem Untergrund kam auf, als ich über unabhängige Räume recherchierte, weil man dort kollektive Praktiken findet, die man als Untergrund bezeichnen könnte – sie bestehen jenseits von Kategorien. Ich interessiere mich für Menschen, die hartnäckig sind, die Dinge tun auch weiterhin tun, wenn sie nicht gesehen werden. Ich verstehe das als eine Art, im Untergrund zu sein. Ich denke bei Untergrund nicht an einen geografischen Raum, der physisch unterirdisch ist, oder im Sinne von Untergrund-Musik, politischen Bewegungen oder Widerstand. Ich möchte den Begriff erweitern, indem ich sage, dass Menschen, die Dinge tun, die keinen Sinn ergeben, eine gewisse Arbeit im Untergrund verrichten. Man könnte meinen, dass sie irgendwann aufhören würden, diese Dinge zu tun – wenn sie nicht anerkannt werden. Aber manche machen weiter. Diese Beharrlichkeit interessiert mich genauso wie die Autodidakt*innen, von denen ich vorhin gesprochen habe: die Köch*innen, die Philosoph*innen sind. Wie arbeiten diese Akteur*innen? Was ist ihr Modell? Da sie ihr Ding durchziehen, müssen sie ein Modell haben. Ich möchte diese Modelle verstehen und sehen, ob ich etwas aus ihnen herausholen kann. Deshalb ist der Untergrund für mich fruchtbar.

L: Das erinnert mich an den Begriff «Undercommons», von dem Fred Moten und Stefano Harney in ihrem Buch sprechen: ein nicht kartografierter und nicht begehbarer Nicht-Ort, an dem tägliche Aktivitäten als eine kollektive Form der Wissensproduktion betrachtet werden. Das ist es, was sie Studium nennen. Du hast jetzt über den Untergrund als Praxis der anderen gesprochen – wie wendest du das, was du gelernt hast, in deiner Praxis an?

K: Das hat tatsächlich etwas mit dem Begriff der Undercommons zu tun. Es gibt einen südafrikanischen Wissenschaftler, Njabulo Ndebele, der über domestiziertes Wissen schreibt, d. h. Wissen, das nicht wissenschaftlich, nicht referenziert und nicht faktisch ist. Man kann das häusliche Wissen im Sinne von Kochen, Gartenarbeit und all diesen Praktiken lesen, und im Sinne von verkörpertem Wissen: Dinge wie Gänsehaut. Ich beziehe mich auf diese Denkweise. Ich bin nicht an der Wahrheit, am Anderssein oder an einer Gegenposition interessiert. Es gibt Vorbilder wie James Baldwin und seine Gespräche am Esstisch in Südfrankreich, bei denen es um eine andere Art der Wissensproduktion und Zusammenarbeit geht. Oder Bessie Head, eine südafrikanische Schriftstellerin, mit ihrer Gartenarbeit. Für mich ist die kuratorische Praxis nicht höher oder niedriger als irgendeine dieser Praktiken. Sie ist nur eine von ihnen. Ich bin aber nicht an der Gartenarbeit oder dem Kochen als Praxis an sich interessiert, sondern daran, diese Dinge zu tun, damit sie mich irgendwo hinführen und meine Praxis informieren. Es hat mit dem Körper zu tun und mit dem Denken beim Tun. In Südafrika hat das gleichzeitige Denken und Arbeiten der Leute Tradition. Der Austausch von Wissen wird nicht verstanden als: Lasst uns jetzt alle zusammensitzen und Wissen austauschen. Das konnte alles gleichzeitig und viel fliessender geschehen. Ich hoffe auf diese Fluidität, diesen Raum, in dem die Dinge verschmelzen.

L: Du interessierst dich also nicht für das Kochen als Format oder als Genre, sondern als Methode?

K. Ich interessiere mich fürs Kochen, aber nicht dafür, das Essens danach auszustellen. Kuratorische Praxis muss nicht bedeuten, dass ich etwas zeige; das Zeigen könnte auch durch einen Text geschehen, der im Nachhinein entsteht. Aber natürlich habe ich auch schon Sachen gemacht, die ich gezeigt habe. Für die Yokohama-Biennale hatten wir in Johannesburg eine Szenografie mit Pflanzen. Die Pflanzen wurden dann als Geschichte Teil des Projekts – eine Geschichte über eine Pflanze, die vor Blitzen schützt. Wir haben eine Luftaufbereitungsfirma in Indien gefunden, die Schlangenpflanzen, Schmetterlingspalmen und Goldpothos verwendet, um die Luft zu reinigen. Über diese drei Pflanzen haben wir ausserdem eine von der NASA in Auftrag gegebene, jedoch ergebnislose Studie aus den späten 1980er Jahren gefunden. Dies ist ein Beispiel dafür, wie die Gartenarbeit in meine Praxis einfliessen kann – als eine Geschichte, die ich gehört habe. Ich denke über Haushaltsarbeit nach, oder über das, was man als feministische oder Frauenarbeit bezeichnet, und ganz allgemein über die Vorstellung von Geschichten. Was man aus Geschichten herausholen kann. Zuerst dachte ich, Geschichtenerzählen sei eine Angelegenheit des Südens. Und ich dachte, sie wäre belastet. Aber dann habe ich ein Video-Screening aus einer Sammlung gemacht und ich habe mich dazu entschieden, auch die Geschichten meines Grossvaters in die Publikation mit aufzunehmen. Statt einer Erklärung der Künstlerin oder einer Beschreibung des Werks folgten die Anekdoten meines Grossvaters auf die Videostandbilder. So gab es zum Beispiel ein Video von Tracey Rose und dazu eine Geschichte über Lourenço Marques. Mein Grossvater erzählte mir zu Hause Dinge und ich nahm sie auf und transkribierte sie dann.

L. Warum würdest du sagen, dass die Geschichte als Form belastet war? Wenn ich dich darüber reden höre, muss ich an Autofiktion und Autotheorie als feministische Praxis denken, die sich auf Tagebücher oder jene Arten des Erzählens stützt, die eher im häuslichen Bereich angesiedelt sind und in der Welt der Theoriebildung als politisches Instrument ins Spiel kommen. Ist das eine Denkrichtung, in der du dein Interesse am Geschichtenerzählen sehen würdest?

K. Viele Akteur*innen aus dem Süden, insbesondere Frauen und Menschen aus der Queer-Community, stützten sich auf Geschichten als Modell. Ich war unsicher, weil dies mit einer Marginalisierung einherging, während das Reich der Fakten und der Objektivität das Reich der Männer war. Der marginalisierte Körper würde als Geschichtenerzähler auftreten, als etwas, das nicht faktisch ist. Deshalb habe ich gezögert. Aber als ich gemerkt habe, dass mich Fakten in dem Sinne nicht mehr interessieren, hat sich das Ganze für mich auf eine andere Art eröffnet. Für mich ist es problematisch, immer in Opposition zu gehen. Das ist eine Arbeit, die ich für unnötig halte. Wenn wir über Feminismus reden, ist es so, als ob man einem Mann seinen Wert beweisen muss. Ich brauche diesen Beweis nicht. Der Versuch, jemanden von etwas zu überzeugen, ist Arbeit, die mich daran hindert, das zu tun, was ich tun möchte. Deshalb ist der Versuch, irgendeinem Narrativ zu widersprechen, für mich nicht produktiv.

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Foto von George Mahashe; Styling von Unathi Mkonto; Makeup von Xola Makoba

L. Gilles Deleuze und Claire Parnet sprachen von einer Fluchtlinie und einer besonderen Art der Flucht, bei der man sich auf dem Weg nach draussen eine Waffe greift: Selbst auf der Flucht ist man also noch Teil eines politischen Kampfes. Du gehst nicht einfach weg, du gehst woanders hin. Man bewegt sich anderswo auf eine Art und Weise, die immer noch eine Art Opposition ist, würde ich sagen. Würdest du dich davon distanzieren, von der Opposition und der Gegenbewegung insgesamt?

K. Mich interessiert es, Auswege zu finden. Es gibt einen Jazzmusiker, Jonny Dyani. Er spricht über einen Beitrag und eine Methode, die sie entwickelt haben, mit der man einen Song 24 Stunden lang spielen kann. Die Wiederholung ist eine Methode, um das Lied zu verstehen. Man nimmt das Stück auseinander, um herauszufinden, woraus es besteht. Für mich ist diese Methode natürlich eine Opposition. Was auch immer ich tue, ich werde immer etwas oder jemandem etwas entgegensetzen. Wichtig für mich ist, dass ich nicht absichtlich in Opposition arbeite, weil meine Energien dann umgelenkt werden. In dem Moment spreche ich zu jemandem und nicht zu mir selbst. Ich stimme zu, dass in diesem Sinne alles politisch ist. Ich nutze meine Praxis, um mir mehr Freiheit zu gewähren, mir mehr Raum zu verschaffen, mutiger und verspielter zu sein. Für mich ist das eine Fluchtlinie. Dyani spricht davon, dass man einen Beitrag leistet, wenn man etwas macht. Für ihn existierte das ausserhalb von Anerkennung. Er hat die Dinge nicht für die externe Bestätigung getan, sondern für sich selbst. Das ist etwas, was ich auch anstrebe. Ich mag Akteur*innen, die ihre Sache beharrlich tun. Ich möchte verstehen, was sie antreibt, was sie in Gang hält. Wie sieht es mit deiner Forschung über «Institutions as a Way of Life» aus? Wie läuft das, zum Beispiel?

L. Es ist ein gemeinschaftliches Projekt. Wir haben an einem Mapping von Praktiken gearbeitet, die institutionelle Arbeit als künstlerische Praxis betreiben. Ähnlich wie du nicht daran interessiert bist, dass die Gartenarbeit zu einer künstlerischen Praxis wird, sind wir nicht daran interessiert, dass die Institution zur Kunst wird, sondern vielmehr daran, die Methodik des institutionellen Ansatzes in den Vordergrund zu rücken. Es ist schwer, diese Praktiken zu erfassen, weil die meisten von ihnen so marginal und versteckt sind und sie unterschiedliche Sprachen verwenden, um sich selbst zu beschreiben. Ich habe mich dabei auch mit dem Geschichtenerzählen beschäftigt. Während dem Schreiben über institutionelle Praktiken ist mir die Gefahr bewusst geworden, dass man diese Praktiken einfriert. Deshalb bin ich jetzt in den Bereich der Fiktion und des Geschichtenerzählens übergewechselt, um einen anderen Ansatz zu finden, über institutionelle Politiken und institutionelle Arbeitsbedingungen zu sprechen.

K. Auf der Yokohama-Biennale haben wir einen Moment geschaffen, in dem sich die Institution selbst sehen konnte. Das geschah zufällig; es war nicht beabsichtigt. Eines der Projekte bestand zum Beispiel darin, dass die Museumsaufsichten Radiosender trugen. Jedes Mal, wenn sie aneinander vorbeikamen, gab es eine Frequenzüberschneidung. Sie tragen normalerweise eine schwarz-graue Uniform. Als wir versuchten, die Uniform für das Projekt zu ändern, wurde der institutionelle Apparat für uns sichtbar. Durch die Nachfrage wurden Schichten von Hierarchien, Protokollen, kulturellen Unterschieden und Sprachbarrieren erkennbar. Wir hatten über Monate hinweg unzählige Sitzungen. Trotzdem war es letztendlich nicht möglich, die Uniform zu ändern. Bei einem anderen Projekt haben wir festgestellt, dass die Institutionen die Menschen sind. Vieles scheint zunächst eine Regel zu sein, aber wenn man tiefer gräbt und nach dem Leitfaden fragt, existiert es nicht. Oft sind Leitfaden eine Ausübung von Befugnissen, die von den in der Institution tätigen Personen getätigt wird. Wenn man es so betrachtet, wird die Institution zum Menschen und damit auch greifbar.

L. Du hast Recht. Gibt es demnach bestimmte Institutionen, die wir gänzlich aufgeben müssten? Weil zu viele Menschen die Institution auf eine Art betreiben, die nicht mehr verhandelbar ist?

K. Ich bin dafür, die grossen Institutionen zu verlassen. Ich habe Ivan Illich gelesen. Er erwähnt diesen Moment, in dem eine Institution erstarrt und anstatt ihren Absichten entsprechen zu wollen, nur noch sich selbst verewigt. Von diesem Zeitpunkt an dreht sich alles um die Aufrechterhaltung der Institution bis ins Unendliche. Illich sagt im Wesentlichen, dass jede Institution, egal wie gross oder klein sie ist, ein Fenster hat. Solange sie nicht von selbst kaputt geht, läuft sie weiter. Man sieht das bei Kollektiven und grösseren Institutionen. Ursprünglich war die Absicht gut und dann kommt der Moment der Formalisierung und die strukturelle Kaskade wird immer grösser.

L. Ich interessiere mich auch für das ständige Schaffen von Brüchen oder Öffnungen, um den Moment der Stagnation zu vermeiden. Du hast vorhin von Beharrlichkeit gesprochen, aber mit einer positiven Konnotation.

K. Paradoxerweise bin ich daran interessiert, auf individueller Ebene beharrlich zu sein – nicht auf institutioneller Ebene. Ich denke, Institutionen haben ein Verfallsdatum. Es spielt keine Rolle, wie gut sie sind. Wenn sie ihr Verfallsdatum erreicht haben, müssen sie aufhören. Entweder um ihrer eigenen Dezentralisierung willen oder um neuen Institutionen Platz zu machen, die sie ersetzen. Jede Institution braucht Risse, um Luft hereinzulassen. Das muss ihrer Kultur inhärent sein.