Der Fokus Im Bau ist im Rahmen einer Veranstaltung im Kunsthaus Glarus entstanden. Autor_innen aus dem Umfeld von Brand-New-Life waren zu einer «Redaktionssitzung» eingeladen, mit der Idee, während drei Tagen mit uns diesen Schwerpunkt zu entwickeln. Wir haben kein Thema vorgegeben, zu dem Beiträge eingereicht werden sollten, sondern vielmehr versucht, mit der Einladung einen Rahmen zu schaffen, um demjenigen Platz zu geben, was sonst immer rausfällt: Das was zu viel und zu wenig ist, zu konkret und diffus, zu offen oder heikel. Ideen ohne Ziel.
Im redaktionellen Alltag gibt es oft zu wenig Durchlässigkeit zwischen Redaktion und Autor_innen. Das wollen wir ändern und die Frage nach Formen der (Zusammen-)Arbeit stellen. Diese Fragen nach dem Wesen unserer Arbeit sind inspiriert durch den Text Accelerate Management von Mark Fisher. In seinem Essay fordert Fisher eine «Management-Akzeleration», deren Aufgabe nicht ist, seine Mitarbeiter_innen «mit tausend Kleinigkeiten zu überhäufen», sondern einen Raum zum Denken zu schaffen. Der Ruf nach einer Akzeleration zielt darauf, das Management-Konzept aus der Geiselhaft des neoliberalen Managerialismus zu lösen. Fisher beschreibt eine Szene aus der Serie Mad Men, in der Bertram Cooper, der Chef der Werbeagentur Sterling Cooper, sagt, er könne sich nur schwer daran gewöhnen, Don Draper als Creative Director nie richtig arbeiten zu sehen. Tatsächlich sitzt Draper in der Serie meist nur zurückgelehnt auf seinem Stuhl, starrt ins Leere und tut allem Anschein nach überhaupt nichts. Angesicht der aktuellen Arbeitswelt kann Coopers Verwunderung nur mehr geteilt werden. Heute wird auch im Kunstbetrieb, sei es in Institutionen oder in selbstorganisierten Zusammenhängen, sichergestellt, dass erkennbar gearbeitet wird, wobei als Arbeit nur das gilt, was schon eindeutig als solche zu erkennen und ausserdem zu quantifizieren ist – etwa die Beantwortung von E-Mails. Über etwas nachzudenken, ohne dass dieses Nachdenken in ein Konzeptpapier oder Ähnliches mündet, gilt nicht als Arbeit. Wir möchten uns dem Zwang zur Geschäftigkeit und Verwertbarkeit entziehen und uns lieber fragen, wie sich eine (Arbeits-)Situation schaffen lässt, in der etwas entstehen kann, in der wir über die Weise nachdenken können, wie wir arbeiten, und eine Form finden, wie wir die Arbeit gemeinsam angehen können.
So beginnen wir das gemeinsame Im-Bau-Wochenende nicht mit Produktion, sondern mit einem Ausflug zur Eröffnung der Ausstellung Die Zellein der Kunsthalle Bern. Was folgt, sind zwei Tage in Glarus, mit Diskussionen und Präsentationen von Ideen und Themen, mit verschiedenen Formen des Austausches, mit Workshops, einem für das Publikum geöffneten Teil, gemeinsamen Essen und Spaziergängen. Den grössten Teil des Wochenendes haben wir damit verbracht, über Kunstkritik, Schreiben, Publizieren und Zusammenarbeit zu sprechen. Oona Lochner und Isabel Mehl machten den Anfang, indem sie ihre gemeinsame Praxis vorstellen. Als Akademikerinnen, die beide zu feministischer Kunstkritik arbeiten, suchen sie nach Formen einer gemeinsamen Praxis, zu zweit, aber auch zu mehrt. In ihrem Workshop, der die Redaktionssitzung eröffnet, laden sie alle ein, jeweils zu zweit die Fragen zu diskutieren: Wie stellen wir uns eine ideale, eine utopische Arbeitssituation vor? Was haben wir vor kurzem gelernt? Rory Rowan hat für uns eine Reihe von Zitaten zusammengestellt zur Frage, ob es bestehende Institutionen zu verändern gilt, oder ob man ihnen nicht eher entfliehen sollte. Zitiert werden von ihm u.a. die Gruppe Not An Alternative, die von einer «Institutional Liberation» sprechen, Audre Lorde, die davon ausgeht, dass eine erfolgreiche Institutionskritik nie mit den Werkzeugen der Institution gemacht werden kann, oder Mierle Ladermann Ukeles Maintenance Manifest, das auf unsichtbare Arbeit hinweist.Als Auftakt des für das Publikum geöffneten Teils hält Rory zudem einen berührenden Vortrag zu Mark Fisher, eine Hommage an sein Denken und Schreiben.Auch Georgia Sagri spricht in ihrem «Round Table» – tatsächlich sitzen wir im Kreis – darüber, wie man sich in Institutionen verhalten kann, welche Rollen einem zugeschrieben werden, und wie man diese durchkreuzen kann. Mit Hannes Loichinger diskutieren wir die Schwierigkeit, dass spezifische Formen der Kunstkritik sich oftmals auf finanzielle Abhängigkeiten konzentrieren und die personellen Abhängigkeiten ausser Acht lassen. In vielen Fällen sind diese ebenso bestimmend dafür, welche Fragen gestellt und welche Antworten gegeben werden können. Ann-Kathrin Eickhoff präsentiert zwei Texte, To be liberated from them (or through them) von Sky Palace und Close to Home von Christine Delphy zum feministischen Materialismus, deren Lektüre kein konkretes Resultat für ihre Masterarbeit ergab. Diskutiert wurde daneben intensiv über Lesegruppen in der Kunst, als ein Format zwischen politischer Organisation und Vermittlung. Adam Jasper wollte eigentlich über die Mont Pèlerin Society und über die Ursprünge des Neoliberalismus sprechen, der als ökonomisches Paradigma unser Leben prägt. Er nutzt seinen letzten Slot aber, um grundsätzliche Fragen zum gemeinsamen Wochenende zu stellen: «Was ist der rote Faden?», «Was erwartet ihr von allen Beteiligten?», «Um was geht es uns?». Wir sprechen über Brand-New-Life, unsere Organisation und unser Format, über das Begehren nach einer neuen Plattform, in der Inhalte zirkulieren können, über den Wunsch, einen Diskussionszusammenhang zu schaffen, aber auch über die damit verbundenen Schwierigkeiten. Der Eingriff von Adam vermag damit, nochmals die grundlegenden Fragen ans Licht zu bringen.
Im Bau, der Titel dieses thematischen Schwerpunkts, verweist nicht nur auf das Nachdenken über die Rahmenbedingungen(und suggeriert dabei einen prekären Zustand des Dazwischen, einen Status der Produktion), sondern auch auf die Institution selbst, in der für ein Wochenende lang dieseRedaktionssitzung stattgefunden hat. Das Kunsthaus Glarus ist ein Bau, selbst demnächst «im Bau», eine Institution deren moderne Hülle und damit Geschichte und Selbstverständnis kurz vor einem Umbruch stehen. Der Umbau beziehungsweise die bevorstehende Sanierung des Kunsthaus ist auf der einen Seite eine planerische komplexe Aufgabe, bestimmt von denkmalpflegerischen, kulturpolitischen und finanziellen Herausforderungen. Auf der anderen Seite bedeutet diese Arbeit an der architektonischenHülle der Institution eine Zäsur im Ausstellungsbetrieb.Sie erfordert ein Nachdenken über ebendieseinstitutionelle Praxis und lässt sich von dieser nicht zuletzt auch deshalb nicht trennen, weil sie sich störend aufden regulären Betrieb auswirkt. Sie unterbricht nicht nur den gewohnten Rhythmus des Ausstellungmachens, sondern nimmt auch Zeit weg, wenn Arbeit am Inhalt zugunsten von Administration und Planung zurückgestellt, verschoben, «gemanagt» oder reingequetschtwerden muss.
Versteht man den bevorstehenden baulichen Eingriff als Störung, hat die (Fehl-)Planung dazu geführt, dass eine Lücke im Programm entstand. Dem horror vacui einer institutionellen Agenda angesichts eines statt zwei plötzlich sechs Wochen dauernden Ausstellungsumbaus entgegen, versuchten wir mit der Veranstaltung im Kunsthaus die Qualität der Lücke, des Leerraums zu nutzen, um über genau diese wörtlichen und metaphorischen institutionellen und selbstorganisierten Rahmenbedingungen nachdenken. Die Ortsspezifik des Kunsthauses Glarus hat uns aber noch aus einem anderen Grund als Setting für diese Redaktionssitzung interessiert: Die Umgebung mit den steil auskragenden Bergen und spektakulären Landschaften steht in einer Tradition als «Rückzugsort». Schon im 18. und 19. Jahrhundert ziehen sich Künstlerkolonien über den Sommer ins nahe gelegene Klöntal zurück. Im 20. Jahrhundert finden sich in den beiden engen Tälern Aussteiger wieder, welche die (industriellen) Leerräume der nie richtig touristisch gewordenen Dörfermit alternativen Lebensmodellen zu besetzen suchen. Was einst hochindustrialisiertes Zentrum war, ist heute Peripherie, Ort zwischen Stadt und Land, Zivilisation und Natur mit immer noch eigener Anziehungskraft, die nicht zuletzt eine eigene «Geschwindigkeit» verspricht.
Diesen «Rückzugsort» haben wir genutzt, um nach Möglichkeiten zu suchen, die Zusammenarbeit zwischen Redaktion und Autor_innen anders zu denken, nach Formen, die redaktionelle Arbeit mit anderen teilen zu können. Gleichzeitig sollte aber auch dem Platz gegeben werden, was sonst nirgends reinpasst. In diesem Sinne möchten wir mit unserem Editorial nun nicht alles wieder passend machen, konkretisieren und auf eine Fragestellung einengen.Nicht zuletzt auch, weil die Gespräche noch nicht beendet sind, weil vieles noch immer «im Bau» ist.