Aus aktuellem Anlass springt mir beim Blättern eines Katalogs folgende Notiz von Lee Lozano ins Auge:
IN 1965 (?) KASPER KÖNIG SAID TO ME:
«YOU ARE A GOOD PAINTER AND A NICE GIRL.»
I REPLIED: «WRONG ON BOTH COUNTS.
I AM A VERY GOOD PAINTER AND NOT A NICE GIRL!»
(Lee Lozano, 16. Mai 1969)[1]
Bei einem Artist Talk in München Ende letzten Jahres schockierte der Kurator Kasper König die Öffentlichkeit mit seinen sexistischen und rassistischen Aussagen. Der Künstlerin Cana Bilir-Meier unterstellte er etwa, sie habe einen Kunstpreis nur deshalb erhalten, weil ihr Name exotisch klinge.[2] Königs Entgleisungen wurden nicht nur von vielen Künstler*innen, sondern auch von einer Reihe deutscher Tagesmedien stark kritisiert.[3] Lee Lozanos Notiz von 1965 zitiere ich hier nicht, um zu zeigen, dass König schon in den 1960er Jahren ein Sexist war, sondern wegen der bemerkenswerten Schlagfertigkeit von Lozanos Antwort. Es ist ein bissiger Akt der Selbstermächtigung gegenüber Königs Zuschreibung, von der ich mir gerne ein Stück abschneiden würde. Für Situationen, die sich auch fünfzig Jahre später ganz ähnlich zutragen: Letzte Woche erhalte ich eine Email meines Kollegen D. Er ist Dozent an der Kunsthochschule, an der ich arbeite, und hat eine Stelle in einem Forschungsprojekt. Die Email geht an eine Person, die D. für eine offene Stelle am Forschungsinstitut, in dem ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin angestellt bin, empfiehlt. Im CC sind weitere Personen. Das Schreiben sollte alle Beteiligten über D.s Empfehlung informieren und geht so:
«Lieber ... Ich habe mit Barabara Preisig, der Sekretärin, geredet. Bewirb Dich, sie wissen von Dir. Viel Erfolg!»
Dass es Kollege D. nicht hinkriegt, meinen Namen richtig zu schreiben, mag man ihm verzeihen. Aber woher kommt die Sekretärin? Wir tauschen uns gelegentlich fachlich aus, er besuchte ein von mir geleitetes Forschungstreffen etc. Ich war fassungslos. Für meine Antwort hätte ich mir Lee Lozano zur Seite nehmen und etwas in der Art schreiben sollen, wie dass D. mich in Zukunft gefälligst wie folgt betiteln soll: Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Dr. phil. hist., Dozentin und stellvertretende Institutsleiterin. Und dass er sich seine denkfaulen Stereotypisierungen in den Arsch stecken kann. Stattdessen formuliere ich eine übermässig anständige Antwort und unter meinen Namen in Klammer «bin übrigens WiMa, nicht Sekretärin». Seine Antwort kommt postwendend: «Vielen Dank und Entschuldigung. Natürlich weiss ich, dass Du wissenschaftliche Mitarbeiterin bist, das war auf die Schnelle unachtsam formuliert.»
Ende der Geschichte. Zurück zum Tagesgeschäft. Es bleibt die Wut, der ein Gegenüber fehlt. Ich hege allzu klischeehafte Rachefantasien (Auto zerkratzen, Katzendreck in den Briefkasten legen, Tritt in den Schritt etc.) und komme zur ohnmächtigen Einsicht, dass es sich hier nicht um einen Konflikt handelt, der sich zwischen zwei vernünftigen Menschen diskutieren und dann beilegen lässt. Ganz im Gegenteil macht D.s Entschuldigung alles nur noch schlimmer. Was heisst bitte «auf die Schnelle unachtsam formuliert»? Verlangt es ein besonderes Mass an Achtsamkeit, um eine wissenschaftliche Mitarbeiterin nicht versehentlich als Sekretärin zu bezeichnen? Ist der Unterschied zwischen einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin und einer Sekretärin nur eine Frage der Formulierung? Dazu muss gesagt werden, dass diese «unachtsame» Verwechslung einen weniger sexistischen Unterton hätte, wenn es heute ebenso viele Sekretäre wie Sekretärinnen gäbe und diese auch als solche bezeichnet würden.[4]
In der gleichen Woche telefoniere ich mit meinem nahen Verwandten T. Er arbeitet in der IT-Branche und berät mich, weil ich für mein Postdoc-Projekt in Kunstwissenschaft eine bestimmte Social-Media-Analysesoftware beiziehen möchte – ein kleines technisches Hilfsmittel innerhalb meines interdisziplinären Methodensettings. T. berät mich fachkundig und erklärt mir neben den Softwareangeboten auch gleich noch das ganze WWW und die Welt überhaupt. Und je länger das Gespräch dauert, desto kleiner werde ich, wird mein Projekt, und ich beginne selbst zu glauben, dies müsse wohl meine Masterarbeit sein, die ich hilfloserweise in Informatik zu schreiben versuche. Denn «Masterarbeit» ist auch die Bezeichnung, die T. wiederholt wählt, um mein Projekt zu bezeichnen. Und es nützt nichts, dass ich darauf hinweise, dass das mit meiner Masterarbeit schon eine ganze Weile her ist. Und ich begreife nur langsam, dass T. nicht bloss verdrängt, dass mein Doktortitel damals ausgiebig in der Familie gefeiert wurde, sondern auch, dass er, was meine vermeintliche Masterarbeit betrifft, zu mindestens 97% Laie ist. Ganz offensichtlich kann sich T. nicht vorstellen, dass seine Expertise nicht sämtliche meiner Forschungsgebiete umfasst und dass er – ha! – selbst noch etwas dazulernen könnte. Zur Richtigstellung: T.s höchster Abschluss ist eine Masterarbeit. Und die liegt nun auch schon ein paar Jahre zurück.
Es gibt einen wesentlichen Unterschied zu Lee Lozanos Erzählung von 1965. Damals hatten Frauen in der Schweiz noch nicht einmal das Stimmrecht, und damals wäre schlicht undenkbar gewesen, dass eine Anklage gegen Kasper Königs sexistische Äusserungen öffentliches Echo erhält. Heute wagt sich keine(r), etwas gegen erfolgreiche Frauen oder gegen den Sinn und Zweck der Frauenförderung einzuwenden, wenigstens nicht in meinen Kreisen. Auch die Hochschulen haben erkannt, dass sie die Zahl der Frauen in ihren Leitungspositionen massiv erhöhen müssen. Unter den Stellenausschreibungen für Professuren findet sich die explizite Aufforderung an Frauen, sich zu bewerben. In Deutschland werden Frauen bei gleicher Qualifikation gegenüber Männern bevorzugt. Das wird zumindest in den Anzeigen behauptet. Frauenförderung ist mehr oder weniger Konsens geworden. Das ist gut, denn nur so werden sich die Dinge ändern.
Nicht geändert hat sich in den letzten fünfzig Jahren, dass Sexismus zur Durchsetzung von Machtansprüchen eingesetzt wird. Er zeigt sich vielleicht weniger offensiv, etwa in scheinbar lapidaren begrifflichen ‹Verwechslungen›, die sich sinnigerweise gerade dann äussern, wenn Frau dabei ist, den Erfolg ihrer Kollegen zu übertreffen. Dies geschieht weniger in strategischer Absicht, sondern ist Ausdruck von Ignoranz und einem offensichtlich quasi-natürlichen Gefühl der Überlegenheit.
Das damit angestrebte Ziel ist es ganz offensichtlich, die beruflichen Leistungen von Frauen abzuwerten und männliche Privilegien zu verteidigen. Und wer heute um seine Privilegien bangt, tut dies mit gutem Grund. Denn es stimmt zwar, dass der berufliche Status vieler Männer immer noch höher ist als jener von Frauen (was sich u.a. in der Stellung innerhalb der Institutionen, Lohn etc. spiegelt). Es stimmt aber auch, dass Männer nicht darum herumkommen werden, den gerechten Anteil dieser Privilegien – mindestens die Hälfte – an die Frauen abzutreten.
Aus dieser Perspektive erscheinen solche Zuschreibungen wie letzte hilflose Versuche, das Ruder noch einmal in die richtige Richtung herumzureissen. Möge sich doch die habilitierende wissenschaftliche Mitarbeiterin bitte wieder in eine Masterarbeit-schreibende Sekretärin verwandeln! Wohin nun mit der Wut? Ich schlage vor, dass wir sie in Antriebsenergie umwandeln.
CONFINEMENT IS NEAR THE ROOT
OF MY RAGE.
I AM NOT ANGRY AT ANYONE OR
ANYTHING BUT I FEEL RAGE. I HAVE
ALWAYS FELT RAGE.
I WANT TO PUSH THESE WALLS OUT
WITH MY ELBOWS. THIS LOFT
FEELS NARROW. I WANT TO PUSH
AWAY MY CONFINEMENT, FEEL BIG
SPACE AROUND ME, BREATHE IN
AIR FROM FAR AWAY.
WANT TO SEE CITY LIGHTS ALL AROUND.
(Lee Lozano, 20. Dezember 1969)[5]
[1] Lee Lozano, «Private Notebook Excerpts», in: dies., Drawings, 2006, unpaginiert.
[2] Cana Bilir-Meier, Facebook, 2018, https://www.facebook.com/canasophie/posts/10155907149997717.
[3] Catrin Lorch, «‹Ich habe mich wirklich widerlich benommen, keine Frage›», in: Süddeutsche Zeitung, 6.12.2018, https://www.sueddeutsche.de/kultur/kasper-koenig-kammerspiele-kritik-rassismus-kunst-1.4241822
[4] Testweise kann man bei Google-Bildersuche «Sekretärin» eingeben und danach «Sekretär».
[5] Wie Anm. 1.