Im Vorfeld haben zahlreiche Veranstaltungen und Ausstellungen zum Jubiläum stattgefunden, zu Beginn des Jahres wurde das Eröffnungsfest gefeiert (16.-24. Januar 2019, Akademie der Künste Berlin). Sieht man einmal von kulturpolitischen Lobeshymnen über einen gestalterischen »Aufbruch in die demokratische Republik«[1] ab, die das Bauhaus als Vehikel gesellschaftlichen Fortschritts in der Gegenwart positionieren möchten, lässt sich in den Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen um die legendäre Institution vor allem eine neue Auseinandersetzung mit dem modernistischen Anspruch beobachten, eine universelle Formensprache zu finden. Bedeutet dies nun eine radikale Absage an universalistische Konzepte, oder muss vielmehr mit deren Wiederkehr gerechnet werden – wenn auch in veränderter Gestalt?
Nun ist der Universalismus – vor allem in seiner europäischen Prägung – längst in Verruf geraten. War doch damit nicht nur der aufklärende Gedanke verbunden, allen Menschen im Zusammenleben mit Artefakten und Strukturen eine selbstbestimmte Existenz zu ermöglichen. Während dieser universelle Freiheitsmoment im Bauhaus durch die Transparenz der Konstruktionen sowie die Einheit der Künste – in den späten 1920er Jahren nicht zuletzt auch durch die Integration in industrielle Fertigungsprozesse – erreicht werden sollte, warnten bereits damals kritische Stimmen vor dem totalitären Charakter[2] dieser «modernistischen Triade aus Wissen, Technologie und Fortschritt»[3]. Dabei wurden nicht nur die Widersprüche zwischen standardisierten Produkten und individuellen Lebensweisen kritisiert, auch die imperialistische Gewalt im Zuge kolonialer Modernisierungen kam bereits zur Sprache – wie etwa in der surrealistischen Antwort auf die Kolonialausstellung 1931 in Paris[4]. Der moderne Universalismus erwies sich hier auf zweifache Weise als problematisch: einerseits weil ortspezifische Erfahrungen kaum berücksichtigt wurden, andererseits als idealistisches Feigenblatt im Dienste hegemonialer Partikularinteressen.
Ein neuer Universalismus?
Bereits zu Zeiten des Bauhauses erscheint die Mission der Moderne als äusserst zweifelhaftes Unterfangen. Heute – nach vielen Jahrzehnten der Kritik – gilt dies erst recht. Allerdings bedeutet das nicht, dass ein mit Aufklärung und Industrialisierung verknüpfter Universalismus nun völlig aus aktuellen Diskussionen verschwunden wäre. Im Gegenteil: In vielen Beiträgen zum Bauhaus-Jubiläum wird noch einmal die Frage gestellt, inwiefern universelle Prinzipien in Gestaltung und Kunst wirksam sind und sich zugleich durch Kritik transformiert haben. »Kann Universalität spezifisch sein?« – mit dieser Formulierung verhandelte 2016 ein Symposium im Vorlauf zum Jubiläumsjahr ebenso wie das nachfolgende Themenheft der Zeitschrift Arch+[5] die beiden gegensätzlichen Ebenen des Diskurses. Sieht man sich die als Videos archivierten Vorträge und Diskussionen noch einmal an, lässt sich eine engagierte Verteidigung sowohl des Universellen als auch des Spezifischen verfolgen. Sind Lösungen zur Vereinbarung beider Ansprüche damit in Sicht? Oder haben wir nur gelernt, besser mit Widersprüchen zu leben? Manches klingt dabei noch nach den bekannten Motiven der Moderne.
So hat für Walter Prigge und Karin Wilhelm die Mission des Bauhauses, Wohnungen für ein Existenzminimum bzw. als Standard zur Befriedigung alltäglicher Bedürfnisse für alle Menschen zu entwerfen, angesichts der Wohnungsnot in vielen Grossstädten wieder eine aktuelle Bedeutung. Allerdings will hier niemand mehr zurück zu jener gestalterischen Uniformität suburbaner Hochhaussiedlungen, die auf der Prämisse eines standardisierten Durchschnittsmenschen beruhen. Stattdessen erinnert etwa Karin Wilhelm an das Potential modular flexibler Siedlungsentwürfe, wie sie in der frühen Postmoderne (u.a. mit Moshe Safdies Habitat '67 in Montreal) entstanden sind. Obwohl zu grossen Teilen vorgefertigt und auf einem Raster beruhend, scheint hier massenhafte Verdichtung und spezifische Anpassung zugleich möglich. Überhaupt muss die Verwirklichung universeller Rechte – in diesem Fall auf Wohnraum – keineswegs in Uniformität münden. Diese Unterscheidung ist auch für Ina Kerner in ihrer thematischen Einführung zentral, wenn sie sich auf François Julliens Beobachtungen zur Globalisierung beruft.
Das Uniforme, der Universalismus und das Universelle
Laut Jullien wäre das Uniforme eher im Sinne einer ökonomischen Kategorie zur Steigerung der Produktivität zu verstehen, wurde aber seit der Moderne vielfach als Verwirklichung eines universellen Anspruchs interpretiert.[6] Oft war es jene fordistische Logik der Effizienzsteigerung, die auch zu einer ästhetischen Gleichförmigkeit in Architektur, Design und Kunst beigetragen hat. Jullien verteidigt das Universelle als ethische Kategorie – im Gegensatz zum Uniformen –, als ethische Aufforderung, immer wieder nach einem gemeinsamen menschlichen Nenner zu suchen.[7] »Es gilt, das Universelle dem Universalismus gegenüberzustellen, der anderen seine Hegemonie aufzwingt und glaubt, Universalität für sich beanspruchen zu können. Das Universelle, um das man kämpfen muss, ist ein rebellisches Universelles, das niemals vollständig ist (...).«[8] Das Universelle ist hier insofern unvollständig, als es immer aus spezifischen zeitlichen wie kulturellen Umständen heraus gedacht wird, obwohl es gleichzeitig Gemeinsames benennt. Auch Hans-Peter Hahn spricht aus ethnologischer Sicht von einer notwendigen Verbindung zwischen spezifischer und universeller Perspektive.
So werden weltweit verfügbare Produkte einerseits lokal spezifisch genutzt, stellen an vielen Orten aber zugleich eine Verbindung zur universellen Identität einer globalen Marke her, so Hahn. Trotzdem kann auch das Spezifische nicht uneingeschränkt als Gegenmittel zum Universellen empfohlen werden: Nach Hahn wäre etwa vor einem Exotismus zu warnen, der dem regionalen Gebrauch von global verfügbaren Produkten jede verbindende Universalität abspricht. Ähnlich problematisch ist es für Ruben Pater, wenn alles Spezifische mit dem wohlklingenden Schlagwort Diversity vermarktet und der Begriff heute zu einer Art Designpolitik vieler Unternehmen wird. Allerdings lässt sich gerade in jener Transformation, die die viel kritisierte europäische Architekturmoderne etwa in Marokko erfahren hat, auch ein alternativer Umgang mit dem Spezifischen finden: Zwischen universalistischer Mission, einer durch ethnologische Studien geprägten Annahme regionaler Lebensgewohnheiten und dem Widerstand der Bevölkerung gegen die paternalistische Raumplanung einer Besatzungsmacht (und oft auch der späteren Entwicklungshilfe) sind an einigen Orten hybride Formfindungsprozesse entstanden. Gerade durch die Ambivalenz in ihrer Entwicklungsgeschichte und Bauherrschaft – u.a. durch unzählige spätere Umbauten – werden weniger bekannte architektonische Grossprojekte der 1950er und 1960er Jahre für Marion von Osten zu Beispielen eines weniger eurozentristischen als vielmehr transkulturellen Modernismus in Afrika und Asien.
Ökonomische Interessen, ethische Versprechen
Die Veranstaltungsreihe projekt bauhaus, in dessen Rahmen die erwähnten Universalismus-Debatten stattgefunden haben, hat sich während ihrer fünfjährigen Dauer zwischen 2015 und 2019 in Symposien und Publikationen, einem Workshop und einer Ausstellung fünf Themen gewidmet: Kann Gestaltung Gesellschaft verändern? Kann Universalität spezifisch sein? Vorkurs: Vom Bauhaus zum Silicon Valley, Werkstatt/Datatopia, Begräbnis.[9] Was dabei all diese Themenbereiche grundiert, ist die Frage nach der universellen Gültigkeit gestalterischer Prinzipien, die jenseits von uniformer Standardisierung heute wieder gestellt wird. Inwiefern sollte man das Universelle trotz aller Kritik verteidigen? Oder gilt es vielmehr, sich heute von diesem Anspruch endgültig zu verabschieden, der in der Moderne einmal stark an industrielle Produktion gekoppelt war? Zunächst möchte ich noch einmal an Julliens Unterscheidung zwischen ökonomischen und ethischen Motiven erinnern: Ist Universalität im Sinne uniformer Waren oder einer universell gültigen Ethik zu verstehen? Es erscheint auf den ersten Blicks sinnvoll, beide Motive auseinander zu halten. Auf den zweiten Blick sind jedoch ökonomische und ethische Versprechen allzu oft so stark miteinander verwoben, dass eine strikte Trennung kaum durchführbar scheint. Man denke nur an die ethische Dimension des kapitalistischen Empires, das in gewisser Weise bereits Herbert Marcuse in den 1960er Jahren und explizit unter diesem Titel Antonio Negri/Michael Hardt Anfang der 2000 Jahre beschrieben haben. Kapitalismus wird hier auch als ethisches Versprechen wahrgenommen, Angebote zur Entwicklung von Subjektivität global zu verbreiten und damit gleichsam universell verfügbar zu machen: Was Marcuse in den boomenden Industriestaaten der Nachkriegszeit als ein Wiedererkennen der menschlichen »Seele in ihrem Auto, ihrem Hi-Fi-Empfänger« oder »ihrem Küchengerät« schildert[10], sehen Negri/Hardt nun als ein globalisiertes ökonomisches Herrschaftssystem ohne staatliche Grenzen, Institutionen oder Kontrollmechanismen, dessen Macht ebenfalls auf dem unwiderstehlichen Versprechen einer Befreiung des Subjekts gründet.[11] Design und Architektur tragen oft dazu bei, Verbindungen zwischen ökonomischen Motiven und ethischen Versprechen materiell sichtbar werden zu lassen oder sogar erst herzustellen. Dies zeigt sich ebenso in einer uniformen Systembauweise der 1920er Jahre, wie in der heutigen Steuerung von Ereignissen oder Designoberflächen durch global verwendete Algorithmen.[12] Auch wenn aktuelle Systeme wesentlich flexibler und sogar zunehmend selbstlernend auf spezifische Anforderungen reagieren können, liegen doch beiden Formen universelle Ansprüche zugrunde. Ansprüche, die zugleich ökonomischen Zielen folgen und ethische Versprechen formulieren: gewinnbringend für Viele zu produzieren und menschliche Grundbedürfnisse günstig zu befriedigen.
Es dürfte also schwierig werden, die bei Jullien vehement verteidigte ethische Dimension universeller Rechte isoliert von ihren Verflechtungen mit anderen Interessen zu betrachten. Vielleicht ist das Entscheidende an Julliens Plädoyer auch nicht die möglichst saubere kategorische Trennung zwischen Ethik und Ökonomie, sondern auf welche Weise er das Universelle charakterisiert. Jenes Universelle, das nirgendwo vorgefunden wird und nicht normativ festgehalten werden kann; um das gerungen werden muss und das daher immer unvollständig bleibt, könnte sich durchaus seiner hegemonialen Indienstnahme im Empire entziehen. Aber es scheint, als zeige sich gerade in der Verflechtung ökonomischer und ethischer Motive ein universelles Prinzip des Kapitalismus, das mit Globalisierung und Digitalisierung noch einmal zu erneuter Popularität gelangt.
Oder auch nicht: Wendet man sich etwa jenen verdeckten hegemonialen Interessen – nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer Natur – zu, die im Namen personalisierter und vermeintlich kostenfreier Informationen in Social-Media-Accounts auftauchen, bleibt von den universellen ethischen Versprechen aus der Unternehmens-PR nicht mehr viel übrig. Vielleicht liegt die Herausforderung des Bauhaus-Erbes heute gerade darin, zwischen den widersprüchlichen und gleichzeitig eng miteinander verknüpften Motiven des Universellen und des Spezifischen gestalterische Beziehungen herzustellen. Beziehungen, die allerdings weder den einen noch den anderen Pol idealisieren.
Marginalisierung der ästhetischen Opposition?
Auch wenn im projekt bauhaus die problematischen Seiten beider Pole ausführlich zur Sprache kamen und die Mythen der Moderne gegen Ende der Veranstaltungsreihe sogar offiziell zu Grabe getragen wurden, lässt sich dennoch ein gewisser Optimismus des unvollendeten Projekts herausspüren. So begegnet man etwa bei Karin Wilhelm und Walter Prigge immer wieder Aussagen, die das Potential des Bauhaus-Universalismus in der Vergangenheit nur angedeutet, aber keinesfalls schon ausgeschöpft sehen. Heisst das, an einen historischen Faden doch noch einmal anknüpfen zu können? An diesem Punkt fällt auf, dass die lange Oppositionsgeschichte gegen den Universalismus der Moderne bei projekt bauhaus nur sehr lückenhaft zur Sprache kommt. Theoretische und gestalterische Positionen der Postmoderne, die sich als paradigmatische Abkehr davon verstanden haben, werden hier ebenso wenig thematisiert wie die breite künstlerische Auseinandersetzung mit Design- und Architekturmoderne ab Mitte der 1990er Jahre. Dagegen sind Vor- und Nachkriegsmoderne ausführlich in Vorträgen und Diskussionen vertreten. Auch thematisch lässt sich eine Fokussierung beobachten: nämlich auf technologische und gesellschaftliche Bereiche, wogegen ästhetische Fragen nur gelegentlich gestreift werden. Kunst ist dabei nur ein marginaler Schauplatz – man konzentriert sich hauptsächlich auf Architektur- und Designbeispiele. Vielleicht äussert sich darin noch einmal die ambivalente Stellung der Kunst im Bauhaus, die vor allem als Hilfsmittel bei der Ausbildung einer neuen gestalterischen Universaldisziplin dienen sollte; vielleicht trifft projekt bauhaus auf diese Weise aber auch eher eine Aussage zur heutigen Relevanz des Erbes. Es bleibt zu hoffen, dass die Verflechtungen zwischen Ästhetik, Ethik und Ökonomie in den Ausstellungen des Jubiläumsprogramms, die in der Neuen Sammlung München (Reflex Bauhaus, 8. Februar 2019-2. Februar 2020) sowie im Haus der Kulturen der Welt Berlin (bauhaus imaginista, 15. März-10. Juni 2019) kürzlich eröffnet wurden, eine grössere Berücksichtigung finden. Auf jeden Fall lässt auch der Einbezug vieler künstlerischer Positionen (in München betont durch die kuratorische Rolle von Tilo Schulz, in Berlin u.a. durch die Beteiligung von Alice Creischer und Luca Frei) darauf hoffen.
[1]Frank-Walter Steinmeier, Rede zum Eröffnungsfestival 100 Jahre Bauhaus am 16. Januar 2019, online unter: Der Bundespräsident, http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2019/01/190116-Bauhaus-100-Jahre.html (Stand 2019; Abruf 20.02.2019).
[2]Ernst Kallai, «bauen und leben» (1929), in: Tanja Frank (Hg.), Vision und Formgesetz. Aufsätze über Kunst und Künstler 1921-1933, Leipzig/Weimar: Gustav Kiepenheuer 1986, S. 118–121.
[3]So einer der Initiant*innen der Jubiläumsinitiative projekt bauhaus, Anh-Linh Ngo, in der Einführung zum »Vorkurs: vom bauhaus zum Silicon Valley«, am 2. Dezember 2017, HKW, Berlin. Übers. d. Autors. Die Beiträge der nachfolgend diskutierten Autor*innen finden sich – soweit nicht anders gekennzeichnet – auf folgender Internetplattform: Videos, online unter: Projekt Bauhaus, https://www.projekt-bauhaus.de/?daten=videos (Stand 2017; Abruf 15.01.2019).
[4]Die von den Surrealisten Luis Aragon, Yves Tanguy und Paul Éluard im Auftrag der Kommunistischen Partei Frankreichs gestaltete L'Exposition anti-imperialiste: Le vérité sur le colonies fand 1931 in Paris statt. Vgl. Janine Mileaf, Please Touch: Dada and Surrealist Objects after the Readymade, hg. von Mark J. Williams und Andrian W.B. Randolph, Hanover/London: Dartmouth College/University Press of New England 2010, S. 119–133.
[5]Projekt bauhaus 2: Architekturen der Globalisierung, Arch+. Zeitschrift für Architektur und Städtebau, Nr. 230, Dezember (2017).
[6]François Jullien, Es gibt keine kulturelle Identität. Wir verteidigen die Ressourcen einer Kultur, Berlin: Suhrkamp 2017, S. 14.
[7]Ebd., S. 33f.
[8]Ebd., S. 30. Hervorhebung im Original.
[9]Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Projektkapitel findet sich online unter: https://www.projekt-bauhaus.de/?daten=veranstaltungen (Stand 2017; Abruf 21.03.2019).
[10]Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Berlin/Neuwied: Luchterhand 1967, S. 29.
[11]Michael Hardt/Antonio Negri, Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt a. M.: Campus 2002, S. 59.
[12]Etwa in den Paneldiskussionen Konflikte des Universalismus (mit Ina Kerner, Karin Wilhelm, Walter Prigge) und Algorithmic Universalism (Matteo Pasquinelli, Ruben Pater und Karin Wilhelm), dokumentiert auf der o.g. Website von projekt bauhaus.