Dead End?

Spätestens nach dem Umbau 2012 traten im Löwenbräukunst Zürich einige grundlegende Widersprüche offen zu Tage. Die einst vielversprechende Allianz aus Kunsthandel, Grosskapital und öffentlicher Hand wird dem Kunstkonglomerat in jüngster Zeit zunehmend zum Verhängnis. Aber auch die am See, mitten im Kulturzentrum Rote Fabrik, gelegene Shedhalle Zürich steckt seit Längerem in einer Orientierungskrise. Genau diese beiden Kunstorte, das Löwenbräu-Areal und die Shedhalle, bildeten die zwei, markantesten Pole einer sich in den 1990er Jahren internationalisierenden und boomenden Zürcher Kunstszene. Dieser Artikel bildet den Auftakt zu einem Fokus, in dem wir die aktuelle Krisenstimmung im Löwenbräukunst und in der Shedhalle zum Anlass nehmen, auf die 1990er Jahre in Zürich zurückzuschauen und uns gleichzeitig zu fragen, wie sich die Bedingungen heute verändert haben.
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LB Angelehnte Holzpatten2Umbauarbeiten im Löwenbräukunst Zürich, April 2019, Foto: Pablo Müller

In den 1990er Jahren kam es in Zürich zu einem sogenannten Kunstwunder:[1] Zahlreiche Galerien entstanden, die Kunsthalle kam dazu, das Migros-Kulturprozent lancierte ein eigenes Museum, und unzählige, selbstorganisierte Kunsträume prägten die Zürcher Kunstszene. Vor allem das 1996 gegründete Kunstkonglomerat auf dem Areal der ehemaligen Brauerei Löwenbräu und die, nach einer programmatischen Neuausrichtung, äusserst kontrovers aufgenommene Shedhalle erhielten internationale Aufmerksamkeit. Sie bildeten zwei Pole in der sich damals neu formierenden Zürcher Kunstszene: das Löwenbräu-Areal mit seiner Kunstmarkt-Nähe auf der einen und die Shedhalle mit ihrem politischen Programm auf der anderen Seite.

Das Löwenbräu-Areal entstand 1996 als Zusammenschluss aus dem privat finanzierten Migros Museum für Gegenwartskunst, der mit öffentlichen Mitteln subventionierten Kunsthalle und einer Gruppe damals junger, heute global agierender Galerien (u.a. Peter Kilchmann und Hauser & Wirth). Einige waren vorher auf dem Schoellerareal, andere anderswo in der Stadt. Der gemeinsame Standort sicherte mehr Sichtbarkeit, eine bessere Zugänglichkeit (Besucher*innen konnten in einem Durchgang mehrere Kunsträume anschauen) und förderte den informellen Austausch. Das Nebeneinander stärkte ein gemeinsames Selbstverständnis, und aus der ‹Konkurrenz›-Situation resultierte die gegenseitige Profilierung. Das Löwenbräu-Areal mit seinem Fokus auf ausschliesslich zeitgenössische Kunst und dem dort gepflegten, ausschweifenden Lebensstil verstand sich in Absetzung zum altbacken wirkenden Kunsthaus Zürich als progressive Kraft. Die Vernissagen im Migros Museum für Gegenwartskunst, die regelmässig in ausgelassene Parties mündeten, waren legendär.

Auf der anderen Seite: die am See, mitten im Kulturzentrum Rote Fabrik, gelegene Shedhalle Zürich. 1994 trat ein neues Betriebskonzept in Kraft, das eine radikale, programmatische Neuausrichtung möglich machte. Nicht mehr ein*e einzelne*r Kurator*in sollte das Programm verantworten, sondern ein aus drei Personen bestehendes Team. Auch verlangte das Konzept 94 eine stärkere, inhaltliche und thematische Orientierung, und das Format Einzelausstellung war nicht mehr erwünscht. Das dann gewählte kuratorische Team, bestehend aus Renate Lorenz und Sylvia Kafeshy (Stefan Banz trat kurz nach seiner Wahl zurück), verfolgte ein dezidiert politisches Programm. Jenseits einer Kunstmarkt-Logik wurden in dieser neuen Shedhalle mit und durch Kunst aktuelle, gesellschaftspolitische Fragen verhandelt, und eine starke Diskursorientierung hielt Einzug. Beide diese Pole, die verschiedenen Akteure im Löwenbräu-Areal und die Shedhallen–Szene, waren international äusserst gut vernetzt, sehr agil und vertraten dezidiert ihre Positionen dazu, was die relevante Kunst der Gegenwart sei. Zwischen diesen zwei ‹Lagern› kam es zu gelegentlichen Anfeindungen und zu öffentlich ausgetragenen, durchaus produktiven Auseinandersetzungen (Debatte Jochen Becker, Rein Wolfs).[2]

LB Aussenansicht2LB Umbau Galerie PiaLB LowenbraukunstUmbauarbeiten im Löwenbräukunst Zürich, April 2019, Fotos: Pablo Müller

Von der damaligen Vitalität ist heute nichts mehr zu spüren. Die Shedhalle, aktuell interimistisch geleitet, lädt jeweils am letzten Donnerstag im Monat zum Leichenmahl ein. Bei diesen (semi-)öffentlichen Treffen diskutieren Gäste und weitere Interessierte über Leistungsvereinbarungen, Budgets und andere Rahmenbedingungen, und fragen, welche Aspekte der Shedhalle man besser sterben lassen sollte und für welche sich ein Weiterleben lohne. Auch im Löwenbräu-Areal, heute Löwenbräukunst genannt, ist das vormals noch nostalgische Zurückblicken auf und das Zelebrieren dieser glamourösen Gründerjahre – zuletzt im nach der Wiedereröffnung vom Löwenbräu-Areal 2012 erschienenen DU-Heft [3] – verzweifelt wirkenden Belebungsmassnahmen gewichen. Es gibt jetzt einen Tag der offenen Türen, an dem mit Führungen, Kinderprogramm, Kaffee und Kuchen ums Publikum geworben wird. Wie ein Versuch, die letzten Lebensgeister im wieder einmal wegen Bauarbeiten stillgelegten Löwenbräukunst heraufzubeschwören, klingt auch der Titel des 2018 zum zweiten Mal veranstalteten Performance-Events der Kunsthalle Zürich: Löwenbräu Lebt! (14.12.2018)

 Leichenmahl Flyer3Ankündigung Leichenmahl No. 2, Shedhalle Zürich, Mai 2019

Spätestens nach dem Umbau 2012 traten im Löwenbräu-Areal einige grundlegende Widersprüche offen zu Tage. Die abweisende und anonyme Atmosphäre, die das Gebäude aufgrund der überall gleichen Betonböden, weissen Putzwände und des neutralen Lichts besitzt, ist lediglich die offensichtlichste Herausforderung des neuen Löwenbräukunst. Die einst vielversprechende Allianz aus Kunsthandel, Grosskapital und öffentlicher Hand wird dem Kunstkonglomerat in jüngster Zeit zum Verhängnis. Der am Anfang noch herrschende Gemeinschaftssinn ist inzwischen verflogen. Mit den nach der Erweiterung massiv höheren Miet- und Betriebskosten rücken die Einzelinteressen in den Vordergrund. Die kleineren und mittelgrossen Akteure müssen stärker kalkulieren und haben weniger Spielraum. Die finanzstarken Partner hingegen beziehen mehr Fläche, oder verlieren am Standort Löwenbräukunst zusehends ihr Interesse, zumal dieser in ihrem internationalen Aktionsfeld lediglich ein Nebenschauplatz darstellt. Anschaulich wird dieser nicht mehr vorhandene Gemeinschaftssinn am Beispiel der seit langem angestrebten Kaffeebar, die für die Besucher*innen und Leute aus dem Haus gleichermassen zu einem Treffpunkt werden sollte. Inzwischen betreibt die LUMA mit dem vom Künstler Heimo Zobernig gestalteten schwarzescafé zwar eine Verpflegungsmöglichkeit. Doch ist diese nicht wirklich auf einen regulären Betrieb angewiesen. Stattdessen zielt der multifunktionale Raum auf exklusive Veranstaltungen und externe Privatanlässe. Und in das 2019 im Erdgeschoss eingezogene Pasta-Fast-Food-Restaurant Tschingg gehen vor allem die Schüler*innen der nahe gelegenen Berufsschule. Zu diesem fehlenden Gemeinschaftssinn tritt im Löwenbräukunst eine ambitionierte Ausstellungspraxis zunehmend in den Hintergrund. Bereits nach dem Umbau 2012 kam mit dem LUMA Westbau eine eigenartige Mischung aus Ausstellungen, Veranstaltungen, privaten Anlässen und Promotionevents ins Löwenbräu-Areal. In diesem von der LUMA Stiftung getragenen, disparaten Programm ist bis heute nicht wirklich ein künstlerisch-kuratorisches Anliegen zu erkennen. Und jüngst zogen mit Migros-Engagement und Migros-Kulturprozent die zwei grossen Abteilungen der Migros Kulturförderung ins Löwenbräukunst. Damit rückt das Haus noch einmal weiter weg von einer aktiven Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit.

IMG 3590SH 13m3 Sand mit LastwagenSH 13 m3 SandAusstellungsprojekt 13 m3 Sand - Ihr bringt die Schaufeln, wir haben den Sand, Shedhalle Zürich, 2019, Fotos: Shedhalle Zürich

Bei der Shedhalle verhedderte sich die Institution in den letzten Jahren in einer Beschäftigung mit sich selbst: Anhaltende Spannungen und Wechsel in der kuratorischen Leitung, eine ungünstige interne Arbeitsteilung und Differenzen mit der Stadt Zürich wurden begleitet von Diskussionen darüber, wie sich die in den 1990er Jahre entwickelte gesellschaftskritische Vermittlungspraxis in die Gegenwart übersetzen liesse. Diese von den Beteiligten durchaus kritisch gedachte Selbstreflexion führte allerdings zu einer Stilisierung der 1990er Jahre und mündete in selbstauferlegte Normierungen. Besonders augenscheinlich wird diese unproduktive Selbstbezogenheit am von 2014–2017 aufgearbeiteten und schliesslich online gestellten Shedhalle-Archiv. Schlüsselbegriffe der kuratorisch-künstlerischen Ausstellungsprojekte der 1990er Jahre – sie reichen von Geschlechterpolitik über Pop Culture bis zu Technologiekritik – werden dort unkritisch in die Archiv-Ordnung übernommen. Gleichzeitig ist dieses eigentlich an eine interessierte Öffentlichkeit gerichtete Online-Archiv aufgrund der unübersichtlichen Gliederung und umständlichen Struktur kaum sinnvoll nutzbar. Dies führt zu einem Paradox: Das eigentlich gegen aussen gerichtete, für ein produktives Weiterdenken gedachte Archiv wird zu einem Sinnbild für institutionelle Verengung und Stillstand.

Dieser Artikel bildet den Auftakt zu einem Fokus, in dem wir die aktuelle Krisenstimmung im Löwenbräu und in der Shedhalle zum Anlass nehmen, auf die 1990er Jahre in Zürich zurückzuschauen. Ein nostalgisches Rückblick auf das Zürcher ‹Kunstwunder› ist jedoch kaum produktiv. Der Fokus zielt vielmehr auf eine kritische Aufarbeitung dieser jüngsten Geschichte und möchte davon ausgehend Fragen und Ansätze formulieren. Es geht also gleichzeitig auch darum, in diesem Zurückblicken eine Diskussion zu lancieren, zu den Bedingungen heute und den Perspektiven zeitgenössischer Kunstproduktion in Zürich.

 

[1] Simon Maurer, «Der Kunstboom», in: Das Magazin, Nr. 23, 1999, S. 32–43.
[2] Siehe zur Debatte zwischen Jochen Becker und Rein Wolfs: Jochen Becker, «‹Wir fordern die sofortige Schliessung der Stadt Zürich›. Shopping-Center der Kunst, Gentrification und die Definition des öffentlichen Raums», in: Kunstforum International 132, 1995, S. 308–316; «‹Zürich verschliesst sich anderen Leuten›. Jochen Becker im Gespräch mit Rein Wolfs», in: Material 5, 2001. «Powerstation in Zürich-West. Jochen Becker im Gespräch mit Rein Wolfs», in: Kunstforum International 158, 2002, S. 403–409.
[3] Ausgabe der Zeitschrift DU: Art City Zürich. Mit dem Löwenbräu auf die Kunst-Weltkarte, Heft 827, Juni 2012.