Retrospektive
Vor ein paar Wochen schickt mir meine Freundin C. diese Ausstellungsankündigung zu mit dem Kommentar «Schau mal, das ist doch ?!?!? – irrsinnig». Ein bildfüllendes Fotoportrait einer schönen Frau mit blonden langen Haaren, mit zu einem leichten Schmollmund verzogenen pinken Lippen und mit herausforderndem Blick. Das Bild erinnert an eine Sedcard, wie sie Schauspieler/innen oder Models als Visitenkarte benutzen. Der Text auf der Karte erklärt, dass es sich um die Ankündigung einer Ausstellung des Künstlers Christian Jankowski handelt. Die Frau auf dem Bild heisst Nina Hoss. Sie kuratiert die Ausstellung. Das steht ebenfalls auf der Einladungskarte. Hoss ist eine mehrfach ausgezeichnete deutsche Schauspielerin, die unter anderem in Christian Petzolds Filmen Wolfsburg (2003) und Barbara (2011) spielte.
Jetzt liest sich die Karte anders. Sie wirbt nicht etwa für eine Porträtausstellung eines Fotografen. Es geht um einen Rollentausch. Schauspielerin kuratiert Ausstellung. Das ist geradezu typisch für den Künstler, bei dem das Spiel mit gesellschaftlichen Rollen ein wiederkehrendes Arbeitsmotiv ist. In der Videoarbeit Galerie der Gegenwart, 2097 (1997) mimen zwei Kinder ein ‹Künstlergespräch› zwischen Uwe Schneede und Rosemarie Trockel nach. Und auch in der Ausstellung Dienstbesprechung (2008/2009) im Kunstmuseum Stuttgart liess Christian Jankowski die Mitarbeiter des Museums ihre beruflichen Funktionen tauschen. So wurde etwa ein Techniker für eine kurze Zeit der Direktor des Hauses. Das wohl aktuellste Beispiel ist die diesjährige Manifesta 11 in Zürich. Jankowski bittet die eingeladenen Künstler/innen, entlang des Mottos What People Do For Money: Some Joint Ventures mit ‹ausserkünstlerischen› Arbeitswelten zu interagieren.
Zugegebenermassen schlagen solche Rollenspiele in der Kunstwelt heute keine allzu hohen Wellen mehr. Interessant ist jedoch die Frage: Auf welche gesellschaftlichen Rollenbilder referiert der Künstler in den jeweiligen Projekten und wie stellt er sie dar? Werden darin kulturell hegemoniale Zuschreibungen und Konventionen unterlaufen oder bestätigt? Diese Fragen drängen sich bei der Retrospektive in Berlin auf. Nina Hoss' Engagement als Kuratorin dient hier als PR-Gag für den Künstler. Das wird auch aus der Pressemitteilung der CFA Gallery deutlich: Die Ausstellung, die «eine Auswahl überwiegend filmischer Werke des Künstlers» präsentiert, «wurde bewusst so terminiert, dass sie sich mit der Laufzeit der Berliner Filmfestspiele, der Berlinale 2016, überschneidet. […] Jankowski äusserte den Wunsch, die Ausstellung von einer Schauspielerin kuratieren zu lassen. Intuitiv, denn der Künstler ist mit der Theaterszene nicht vertraut, fiel die Wahl auf Nina Hoss. Die Schauspielerin, die ihrerseits nie von Christian Jankowski gehört hatte, sagte spontan zu […].» [1]
Hoss wird also keineswegs aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen eingeladen und gebeten, aus ihrer schauspielerischen Perspektive einen neuen Blick auf Jankowskis Kunst zu werfen.[2] Sie wird zu einem Postergirl, zu einem Bild, zu einem passiven Werbeträger. Erstaunlicherweise bestätigt Hoss dies im Interview mit der FAZ selber: «Die Galeristen haben am Anfang beschwichtigend zu mir gesagt, ich müsse ja auch gar nichts machen im Grunde.»[3] Eine Fanrolle annehmend, erzählt sie voller Bewunderung von ihrer ersten Begegnung mit dem Künstler: «Als ich dann […] seine Arbeiten alle gesehen hatte und wir uns zum ersten Mal zu einem Arbeitsgespräch wiedertrafen, hatte ich tatsächlich so etwas wie einen Fanmoment. Jankowski taucht in vielen seiner Videos selbst auf, und ihn dann leibhaftig vor mir zu haben, hat mich kurz richtig nervös gemacht.»[4]
Dass ihr Einfluss auf die Gestaltung der Ausstellung wirklich nicht allzu gross gewesen sein mag, lässt die Schauspielerin in demselben Interview durchblicken: Die Journalistin Johanna Adorján fragt: «Und haben Sie die [Arbeiten, die sie nicht so ansprechen, aus der Ausstellung] rausgekickt? Weil, dürften Sie [als Kuratorin] ja.» Hoss: «Ja, ich glaube, das hab ich. Also man muss dann mal sehen, wie das ausgeht, aber ich würde die auf jeden Fall nicht hervorheben.»[5] Vor Ort in der Ausstellung verweist tatsächlich nichts auf eine kuratorisch konzeptionelle Setzung vonseiten Hoss'. Im eigentlichen Sinne präsent ist sie lediglich in den an die Wände plakatierten Einladungskarten.
Das hier vorgeführte Rollenspiel ist so plakativ, dass man Jankowski fast eine überaffirmative Kritik zugestehen möchte. Will uns der Künstler nicht gerade die Mechanismen des Kunstbetriebs vorführen und zeigen wie sehr die Kunst heute von Celebrityeffekten lebt? Und ist die Darstellung Hoss' nicht eine Überzeichnung von gesellschaftlichen Stereotypen – die blonde, naive, schöne, passive Frau – und damit eine implizite Kritik an solchen einfältigen Bildern? Beides ist jedoch kaum der Fall. An keiner Stelle tritt uns bei diesem Rollenspiel das Bild der Frau in überzeichneter Weise entgegen – etwa zu grell, zu vulgär, zu offensiv –, als dass unser Blick daran anecken könnte. Allzu bruchlos funktioniert der (in der Werbung so omnipräsente) medienwirksame Einsatz der Frau als Bild, das hier allerdings nicht für ein Produkt, sondern für das Werk des Künstlers wirbt. Jankowski reproduziert und bestätigt in Retrospektive diese Stereotypen und stimmt in einen allgegenwärtigen sexistischen Kanon ein.
Selbst ist man geneigt, Jankowskis diskriminierendes Spiel fortzuführen. Man stellt sich nämlich unmittelbar die Frage, warum Hoss – eigentlich ja eine hochqualifizierte, selbstbewusste Schauspielerin – in dieser Weise mitgemacht hat, warum sie sich dieser Objektivierung nicht widersetze. Man ist also versucht, Hoss nicht nur als schönes, sondern auch etwas naives Covergirl zu betrachten. In diese Falle tappt, ohne zu zögern, auch der ansonsten geschätzte Kritiker Raimar Stange. Er äussert im Artmagazin sein Erstaunen darüber, dass trotz der Mitarbeit von Hoss eine richtige Ausstellung zustande gekommen ist: Hoss «hat, als jemand, der eigentlich ‹nicht vom Fach ist›, diese Ausstellung kuratiert. Dieser Rollenwechsel aber ist der Show nicht anzusehen, sie ist eine Retrospektive geworden, wie sie ein ‹wirklicher› Kurator auch gemacht haben könnte. Eben darum aber ist Retrospektive eine sehenswerte Angelegenheit mit nahezu allen wichtigen Arbeiten des Künstlers geworden».[6]
Es geht hier weder darum, was Nina Hoss hätte tun oder lassen sollen – es hätte sich für ihre Rolle sonst eine andere Schauspielerin gefunden. Noch lässt sich der Rollentausch damit rechtfertigen, dass man damit der Kunstwelt den Spiegel vorhält. Denn, wie treffend auch immer Jankowskis Beobachtung über die Kunstwelt im Hinblick auf die Celebritykultur sein mag, er reproduziert für seine Retrospektive geschlechterdiskriminierende Stereotypen und setzt sie gezielt für die öffentliche Wirkung seiner eigenen Arbeit ein.
[1] «Pressemitteilung zur Ausstellung Retrospektive von Christian Jankowski». Contemporary Fine Arts, 2016, Zugriff am 11. März 2016, http://cfa-berlin.com/exhibitions/retrospektive/press/.
[2] Ein allenfalls interessantes Unterfangen, würde sich die Auseinandersetzung mit Jankowskis Rollenspiel doch für eine professionelle Schauspielerin durchaus anbieten.
[3] Adorján, Johanna. «Reden wir über Kunst, Nina Hoss». Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar, 2016, Zugriff am 11. März 2016, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/nina-hoss-als-kuratorin-von-christian-jankowski-14005859.html.
[4] Wie Anm. 3.
[5] Wie Anm. 3.
[6] Stange, Raimar. «Retrospektives Rollenspiel». Artmagazine, 17. Januar, 2016, Zugriff am 11. März 2016, http://www.artmagazine.cc/content91845.html.