Folgt man den Pressemitteilungen, entstand dieses Frühjahr in Basel aus der «weltweit älteste(n), öffentliche(n) Kunstsammlung (...) eines der international führenden Häuser». Das Kunsthaus Zürich – getragen vom «nach der Tate grössten Kunstverein in Europa» – wird mit der Erweiterung zum «grössten und dynamischsten Kunstmuseum der Schweiz», und in Chur wird die ausgewiesene Profilierung des Museums weiter gestärkt. Auf den Webseiten der jeweiligen Häuser wird die neue quantitative Potenz vorgerechnet. Mehr Besucher/innen, mehr Ausstrahlung, mehr Platz. Zürich erwartet eine Präsentation von 20% (bisher 10%) der Sammlungsbestände, Basel verkündet einen Flächenzuwachs von 29% und das Bündner Kunstmuseum spricht sogar von einer ungefähren Flächenverdoppelung. Die Verlautbarungen strotzen vor Zuversicht, Euphorie und Zukunftsvertrauen.
Ungebrochene Zuversicht
Dieses Vertrauen in die Zukunft des öffentlichen Kunstmuseums ist keineswegs selbstverständlich. Wird doch gerade jüngst wieder die im Museumsbetrieb herrschende Wachstumsideologie infrage gestellt. Heute sei der geltende Imperativ ein quantitatives Mehr an Sammlungsstücken, Ausstellungsfläche und Besucherzahlen. Die Qualität stehe hierbei oft hintenan – das die Ausgangsthese eines vor kurzem an der Staatsgalerie Stuttgart veranstalten Symposiums.[1] Zu dieser Kritik kommt in der Schweiz in den letzten Jahren ein zunehmender Druck auf die öffentlich getragenen Kunstinstitutionen vonseiten der Politik. 2013 forderten die Jungfreisinnigen (FDP) aufgrund knapper finanzieller Mittel die Schliessung der Kunsthalle Bern. Auch das Kunstmuseum Olten stand mit dem Sparargument 2014 kurz vor der Schliessung, und die Sammlung wollten die politisch Verantwortlichen kurzerhand veräussern.
Ferner stehen die öffentlich getragenen Kunstinstitutionen heute in Konkurrenz zu privat geführten Kunstmuseen. Diese Entwicklung hat in der Schweiz in den 1990er-Jahren eingesetzt. Der Schweizerische Kunstverein sprach anlässlich eines 1999 in Winterthur veranstalteten Symposiums Museumsland Schweiz: Wachstum ohne Grenzen? von einer Machtverschiebung von den öffentlichen zu den privaten Kunstmuseen.[2] Und Edith Krebs resümiert in einem anlässlich des Symposiums erschienen Artikels, die mit grosszügigen Mitteln ausgestatteten Sammler- und Künstlermuseen seien für die öffentlichen Kunstmuseen nicht nur eine Konkurrenz hinsichtlich des Publikums. Auch bedeuteten diese weniger Schenkungen und Legate.[3]
Die aktuellen Investitionen in die öffentliche Kunstinfrastruktur hierzulande sind vor diesem Hintergrund durchaus bemerkenswert. Was noch mehr erstaunt: Die nach langwierigen Entscheidungsprozessen realisierten Neubauten repräsentieren nicht nur ein erstarktes Selbstbewusstsein öffentlicher Kulturinstitutionen in der Schweiz. Sie vermitteln auch ein wertkonservatives Verständnis des öffentlichen Kunstmuseums.
Hermetisch
Beim vom Architekturbüro Christ und Gantenbein (ebenfalls verantwortlich für die Erweiterung des Landesmuseum in Zürich) realisierten Basler Neubau fällt zunächst seine abweisende Gesamterscheinung auf. Der bunkerartige Baukörper füllt das von zwei Seiten an Strassen grenzende Eckgrundstück aus und ragt markant in Richtung Basler Münster. An dieser Lage weist das Haus den Weg von dem auf der anderen Strassenseite liegende, bestehenden Kunstmuseum hinunter zum Museum für Gegenwartskunst und stärkt städtebaulich die Kulturachse von der Kunsthalle über Antikenmuseum, über Kunstmuseum zum Museum für Gegenwartskunst. In der äusseren Erscheinung ist dieses Gebäude eine eigentliche «Archi-Skulptur».[4] Eine massive, geschlossene Form. Lediglich an einzelnen Stellen durchbrechen Fenster die Fassade. Von einer subtilen Zurückweisung und Anziehung zugleich, wie Christoph Heim in der Basler Zeitung die Wirkung des Neubaus zusammenfasst, lässt sich denn kaum sprechen.[5] Vielmehr baut diese Architektur eine Distanz zur Betrachter/in auf und markiert dezidiert Abstand zu seinen baulichen Nachbarn.
Auf eine ähnlich klare Formensprache setzt auch der hinter dem alten Bündner Kunstmuseum stehende Erweiterungsbau in Chur. Auch dieses vom Architekturbüro Barozzi Veiga aus Barcelona entworfene Gebäude bildet einen zeichenhaften Kontrapunkt in seinem städtebaulichen Umfeld. Wie in Basel riegelt sich die geschlossene Fassade stolz gegen den öffentlichen Stadtraum ab und gibt den Passanten nichts von seinem Innenleben preis.
Präsenz in Stein und Beton
Diese Schweizer Neubauten bilden insbesondere hinsichtlich ihrer Materialität einen Kontrast zu einigen internationalen Museumsprojekten aus den 2000er-Jahren. Anlässlich der Eröffnung des neu gestalteten Museum of Modern Art in New York 2004 - eine Architektur vorzugsweise in Glas und Stahl – sprach Hal Foster noch von einem Verschwinden einer architektonischen Präsenz im Museumsbau und zitiert hierfür den MoMA-Architekten Yoshio Taniguchi: «Raise a lot of money for me, I’ll give you good architecture, Raise even more money, I’ll make the architecture disappear.»[6] Beim Museum of Contemporary Art in Kanazawa, eröffnet 2004, ebenfalls hauptsächlich in Glas und Stahl gebaut, schafft die Pavillon-Architektur eine das Publikum einladende Durchlässigkeit und ein interaktives Moment in den möglichen Blickrichtungen zwischen Museumsräumen und umgebender öffentlicher Parklandschaft. Das Kunstmuseum wird so Teil eines städtischen Erholungsraums.
In Basel, in Chur und auch in der geplanten Erweiterung in Zürich ist der dominante Einsatz von Stein auffällig. Und ganz im Gegenteil zu dem von Hal Foster beschriebenen Verschwinden setzen die Erweiterungen auf eine eigentliche, architektonische Präsenz. In dieser Kombination - kompakte, geschlossene Form und Material Stein – erhalten diese Bauten etwas Wehrhaftes. Sie versprechen Langfristigkeit und Beständigkeit. Treffend titelt Die Zeit über die Basler Erweiterung: «In Basel baut man für die Ewigkeit» und bemerkt, dies ist ein Gebäude «das auch noch in hundert Jahren stehen soll.»[7] Laut Aussage der Architekten soll mit dieser Zeitlosigkeit ein bewusster Kontrast zur gegenwärtigen flexiblen ‹Eventarchitektur› im Museumsbau geschaffen werden (als Beispiele werden die Erweiterung des Frankfurter Städels und das neue Whitney Museum in New York genannt).[8] Die Museumsarchitektur in Basel setzt dieser ‹Eventisierung› eine Wehrhaftigkeit des öffentlichen Museums entgegen. Das Museum als ein Ort, wo weniger die aktive Begegnung und der ereignisorientierte Austausch zwischen Kunst und Publikum im Vordergrund stehen, als die Aufgabe, kulturelle Werte zu schützen und zu konservieren. Der Basler Neubau greift mit dieser Haltung ein bürgerliches Kunstideal auf, in dem Kunst eben von ‹weltlichen› Verwicklungen unabhängig erscheinen soll und ihr etwas Erhabenes, Zeitloses zukommt.
Potenz-Rhetorik
Was einem von aussen als geschlossene Monumentalität entgegentritt, verwandelt sich im Innern des Basler Neubaus in eine Atmosphäre von kühler Erhabenheit. Der Empfangsbereich, die Aufgänge und Passagen sind grau in grau gehalten: die Böden in elegantem, glattem Marmor, die Handläufe und Türen in verzinktem glänzenden Stahl und die Wände in einem aufgerauten Verputz.
Das eigentliche Kernstück im Innern ist der monumentale Treppenaufgang. Was ein Gebäude von aussen klassischerweise als öffentliches deutlich kennzeichnet, wurde hier ins Innere des Museums verlegt. Weit davon entfernt, Treffpunkt für die allgemeine Öffentlichkeit zu sein (man denke an die Treppenaufgänge vor Kirchen, staatlichen Institutionen), dient die Treppe hier vor allem dazu, die Monumentalität der Räume vorzuführen.[9]
Grösse vermittelt auch der für Empfänge, Vorträge und andere öffentliche Anlässe gedachte Raum im Untergeschoss. Die im Treppenhaus inszenierte Potenz wird im Veranstaltungsraum zu einer Demonstration von Prestige und Kapital, und die Aufgabe der an den Wänden platzierten Kunstwerke (Sol Lewitts Wandzeichnung und Frank Stellas Damascus Gate) ist einzig, eben jenes zu repräsentieren. Die zwei Versammlungsorte im Haus – die Treppenaufgänge und der Veranstaltungsraum –dienen also vor allem der Repräsentation von kulturellem Prestige. Der Neubau setzt auch im Innenraum auf ein wertkonservatives Verständnis des Museums. Kunst und Kultur wird hierbei zu einem exklusiven Prestigegut für eine kapitalstarke, grossbürgerliche Schicht. Diese kann ihren Reichtum und ihre privilegierte Stellung in den exklusiven Kunstgütern spiegeln und sich damit dem eigenen, gesellschaftlichen Status vergewissern.
Natürlich steht mit einer Architektur die kuratorische Ausrichtung eines Hauses nicht fest, und auch kann die Kunst eigene Akzente setzen. Doch inwiefern dieser Bau tatsächlich einen produktiven «Widerstand leistet» für Kurator/innen und Künstler/innen (Emanuel Christ), bleibt abzuwarten.
[1] Grenzen des Wachstums. Kunstmuseum gestern, heute und morgen, 26./27. November 2015, Staatsgalerie Stuttgart. Die Veranstaltung war eine Kooperation von Staatsgalerie Stuttgart, Frankfurter Allgemeinen Zeitung und dem Kulturprogramm des Südwestrundfunks SWR2. Siehe grenzendeswachstums.com.
[2] Museumsland Schweiz. Wachstum ohne Grenzen? Eine Umfrage des Schweizerischen Kunstvereins zum Symposium vom 25.9.1999, hrsg. vom Schweizerischer Kunstverein, Zürich: Schweizerischer Kunstverein, 1999.
[3] Siehe dazu auch: Edith Krebs, «Kein Tag ohne Kunst. Museumsland Schweiz. Eine Standortbestimmung». In: Kunstbulletin, Nr. 11, 1999, http://www.kunstbulletin.ch/router.cfm?a=199911A01.
[4] Archiskulptur. Dialoge zwischen Architektur und Plastik vom 18. Jahrhundert bis heute, hrsg. von Markus Brüderlin, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, 2004.
[5] «Das Gebäude wirkt anziehend und zurückweisend zugleich, ein paradoxes Kunststück, das aber das Wesen des (neuen) Basler Kunstmuseums ganz gut auf den Punkt bringt.» Siehe dazu: Christoph Heim, «Zurückhaltend und selbstbewusst. Jetzt ganz ohne Gerüst. Der Erweiterungsbau des Kunstmuseums», in: Basler Zeitung, 30.9.2015, 17.
[6] Hal Foster, «It’s Modern but is it contemporary? Hal Foster at the New MoMA», in: London Review of Books, Vol. 26, no. 24, December 16, 2004, 23-25.
[7] Marcus Woeller, «In Basel baut man für die Ewigkeit», in: Die Zeit, 16.4.2016, http://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article154416275/In-Basel-baut-man-fuer-die-Ewigkeit.html.
[8] ebd.
[9] Der Architekt Emanuel Christ sagt dazu: «Jedes Museum ist ein öffentliches Gebäude und das Treppenhaus in seiner räumlichen Dramatik unterstützt vielleicht dieses Gefühl.» Karin Salm, Die Museumsarchitekten lieben Ecken und Knicke, in: SRF 2 Kontext. Wachstumszwang? Schweizer Kunstmuseen werden immer grösser, 15. April 2016, http://www.srf.ch/sendungen/kontext/wachstumszwang-schweizer-kunstmuseen-werden-immer-groesser.