Rechnungseingangskanäle

Vermehrt setzen auch kulturelle Institutionen auf externe Dienstleistungen zur Organisation von Textarbeiten, Übersetzungen oder Buchhaltung und anderes mehr, um Kosten zu sparen. Solche externen Dienstleister aber verändern die Situation der Freelancer. Denn so verhandeln nicht mehr die Institutionen mit dem Freelancer, sondern der externe Dienstleister vermittelt der Institution ein Freelancer und übernimmt die Verhandlungen mit ihm. 
Do you like Brand-New-Life?
Become a Member

Der kürzlich verstorbene Anthropologe und Vordenker der Occupy-Bewegung David Graeber nannte solche Auswüchse moderner Arbeitsprozesse Bullshitjobs. Damit meint er nicht etwa Scheissjobs – schlechtbezahlte Arbeit, die getan werden muss, aber die wenigsten gern tun –, sondern überflüssige Arbeit, die meistens auch von den Ausführungen selbst als sinnlos erachtet wird, hauptsächlich im mittleren Management und grösstenteils recht gut bezahlt. Bullshit-Jobs führen in eine bizarre Welt, in der sich die meisten Berufe von der Produktion weit entfernt haben, um nur noch das Image einer Firma oder Institution zu pflegen. 

Mit anderen Worten: Das Budget wird zunehmend nicht mehr nur an Freelancer verteilt, sondern neu zwischen Vermittler und Freelancer aufgeteilt. Im kulturellen Umfeld, wo die Gelder ohnehin chronisch knapp sind, ist das freilich nicht zugunsten der Freelancer und führt das zunehmend zu kafkaesken Situationen, wie uns ein zugespielter Mailwechsel eines Übersetzers, der im echten Leben unter einem anderen Namen arbeitet, zeigt: 

Sehr geehrte Übersetzerinnen und Übersetzer,

Ab nächstem Jahr wird das Übersetzungsvolumen unseres Museums durch einen internen Übersetzungsdienst übernommen. Dies betrifft auch Aufträge, die Sie für uns erledigen. Wir möchten Ihnen in dieser Sache die Möglichkeit eröffnen, als Dienstleister in dieser neuen Organisation weiterhin Übersetzungsaufträge für uns auszuführen.

In der Beilage erhalten Sie deshalb die Verträge und Bedingungen, welche die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Übersetzungsdienst regeln würden.

Bitte melden Sie sich, wenn Sie interessiert sind.

Freundliche Grüsse, Frau Meier für DAS MUSEUM

Liebe Frau Meier, 

Vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich bin interessiert. Wie funktioniert dieser Übersetzungsdienst?

Viele Grüsse, Herr Merker

Lieber Herr Merker, 
sehr schön, das freut uns. Ganz einfach: Der Übersetzungsdienst arbeitet mit einem Auftragsmanagement-Tool, worüber alle Aufträge verwaltet, zugeteilt und abgerechnet werden – alles online. Die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und uns wird hauptsächlich über das Tool gesteuert. Die Abrechnung der Aufträge vereinfacht sich für Sie. Bitte melden Sie sich bis nächste Woche Mittwoch bei meiner Kollegin Frau Ruckli, ob Sie interessiert sind.

Freundliche Grüsse, Frau Meier für DAS MUSEUM

Liebe Frau Meier,

das klingt ja erst einmal alles gut. Allerdings kenne ich diese Plattform nicht. Wie funktioniert sie? Für die Abrechnung, nehme ich an, gilt unsere bisherige Abmachung. 

Viele Grüsse, Herr Merker 

Lieber Herr Merker,

Für die Zusammenarbeit mit dem Übersetzungsdienst werden wir Sie demnächst über das weitere Vorgehen informieren und Ihnen die Verträge und die Geheimhaltungsvereinbarung zustellen. Falls gewünscht (und falls genügend Interessierte vor Ort) werden wir Ihnen eine Schulung anbieten, um Ihnen die wichtigsten Punkte zur Zusammenarbeit näher zu bringen.

Freundliche Grüsse, Frau Meier für DAS MUSEUM

Beilage: –Tarifblatt

Liebe Frau Meier,

Hm. Also, verstehe ich richtig: Ich fuxe mich in eine neue Plattform ein, die vor allem Ihnen bei der Arbeit hilft und ich unterschreibe Verträge, die Selbstverständlichkeiten auflisten, mich aber mit horrenden Bussen bedrohen, wenn mein Computer nicht aktuell virengeschützt ist, ich zu spät einen Auftrag abgebe oder ich mich mit jemandem über meinen Auftrag unterhalten? Und Sie geben auch gleich den Tarif vor, den Sie dafür bezahlen wollen: 75 Franken in der Stunde. Ohne Sozialleistungen, versteht sich. Liebe Frau Meier, darüber werde ich nachdenken müssen. 

Viele Grüsse, Herr Merker

Lieber Herr Merker,

Ich verstehe Ihren Unmut. Veränderungen sind stets gewöhnungsbedürftig. Aber ich denke, die Plattform könnte Ihnen doch auch neue Wege, neue Aufträge eröffnen. Andere Übersetzer freuten sich über dieses Angebot. Und ja, natürlich geben wir als Unternehmen die Tarife vor. Wie gesagt: Dieses Angebot ist freiwillig.

Freundliche Grüsse, Frau Meier für DAS MUSEUM

Dieser Beitrag ist lizenziert unter der CC-BY-NC-ND Lizenz 4.0 International (Creative Commons, Namensnennung, nicht-kommerziell, keine Bearbeitungen). Im Beitrag integrierte Bilder und Videos werden unter «Free For Private Use» publiziert und erfordern ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch die jeweiligen Rechteinhaber*innen.