Gefühlterweise gibt es immer mehr Magazine über Kunst, Kultur, Lifestyle und dergleichen, immer mehr Titel, lokale und internationale, gute und mässige. Doch was machen damit? Lesen und fortwerfen? Oder doch stapeln und aufbewahren? Dieser Text wundert sich über die (Qualität der) Quantität der Kunstmagazine und darüber, was denn jene ausmacht, die selbst regelmässige Wohnungswechsel überleben.
Wie viel ist zu viel?
Im Herbst letzten Jahres fiel der Kunstbibliothek im Sitterwerk die Akquisition einer privaten Sammlung von ungefähr 12000 Büchern und diversen Zeitschriften zu, womit sich der Bestand mit einem Schlag um etwa 40 Prozent erweiterte. Als Verantwortlicher für die Kunstbibliothek sieht man sich so über Nacht vor einem logistischen und eigentlich auch moralischen Problem. Nämlich, wie bringt man all das nach St.Gallen und wie viel davon darf man aussortieren? Bei Büchern ist Letzteres Stück für Stück zu entscheiden, individuell sozusagen. Bei Zeitschriften gestaltet es sich anders, das Prinzip ist irgendwie ‹ganz oder gar nicht› – man behält die gesammelten Ausgaben oder entsorgt sie. Kaum einer käme auf die Idee, einzelne Hefte herauszupicken. So stehen wir da und fragen uns, was mit der fast kompletten Sammlung an Du, an Art, was mit Parkett, Kunstforum, Kunst-Bulletin, Hochparterre? Ist das Kunstkritik oder kann das weg? Vielleicht auch: Sieht das gut aus oder kann das weg? Denn gesammelte Zeitschriften haben zugegebenermassen etwas Repräsentatives. In privaten Räumen gehören Regale oder Coffee-Tables mit Magazinen zum guten Ton. Dabei ist die Dekoration von privaten Räumen mit Zeitschriften etwas relativ Neues. Vergleicht man Fotografien aus Architekturzeitschriften der letzten 80 oder so Jahre wird deutlich, wie man noch um 1935 gerne leere, aufgeräumte Räume und Regale zeigte, sich dann in den 1950ern hier und da einige Drucksachen aufs Bild schleichen und schliesslich heute in Magazinen wie Apartamento oder Wallpaper die Persönlichkeit, der Zeitgeist der Räume mit den herumliegenden Zeitschriften dramaturgisch inszeniert wird. Eigentlich ist es in der Bibliothek genauso. Zeitschriften gehören zum guten Ton und geben dem Raum eine gewisse Glaubwürdigkeit und Aktualität – selbst wenn gerade Zeitschriften sich ja immer wieder selbst aus der Aktualität werfen.
Die Frage ist deshalb, für mich aus aktuellem Anlass, aber eigentlich auch generell, relevant: Was zeichnet Magazine aus? Weshalb gewähren wir ihnen Platz, behalten wir sie? Zählt letztlich der Inhalt, die Form oder ihre repräsentative Funktion? Ein bisschen oberflächlich, das gebe ich zu, aber wir werden sehen, wohin es führt…
Rein oder raus?
Die überraschende Akquisition der neuen Sammlung hatte einen «learning on the job»-Effekt, denn die Menge an Du, Kunst-Bulletin, Frieze, Kunstforum, einzelne Tate Etc. und Spezielles aus Köln sollten aussortiert und deren Verbleib und Wert eingeschätzt werden. Parkett war bereits kompakt versammelt. Ebenso die deutsche Zeitschrift Art– und während Letztere nicht zimperlich ausgeschieden wurde, haben wir Parkett säuberlich zur Seite genommen, mit der Handfläche zärtlich abgestaubt und zufrieden, chronologisch in die neuen Regale gereiht. Aber weshalb erfährt Parkett mehr Zuwendung als Art. Was hat Parkett, was Art nicht hat?
Die Herausgeber von Parkett haben dereinst im Interview mit Mirjam Varadinis in der Jubiläumspublikation einige Hinweise gegeben. «Der Standort Zürich heisst ja auch Standort Schweiz. Und eine Schweizer Publikation ist eben etwas ganz Besonderes. Wenn wir eine französische, deutsche oder amerikanische Zeitschrift gewesen wären, glaube ich nicht, dass wir diese Grenzüberschreitung, diese Offenheit hätten pflegen können, und wir wären bestimmt auch anders wahrgenommen worden.»[1], sagte da Dieter von Graffenried. (Eine Selbst- und Zürich-Einschätzung, der Gilbert & George wohl widersprechen würden, denn sie schätzen Zürich anders ein: «(London) is the best place to see the world from. Whatever happens in London is the same as the world is. Whereas whatever happens in Zurich is just to do with Zurich.»[2]) Die Selbstbeschreibung der Parkett-Redaktion zeigt jedenfalls, was Parkett definitiv schon immer hatte: Selbstsicherheit und Attitüde – das Bewusstsein, aus der Lokalität des Zürcher Netzwerks heraus etwas zu erarbeiten, was international von Bedeutung ist, und dies mit Konsequenz und der nötigen Dosis Ernsthaftigkeit zu verfolgen. Das Format beispielsweise wurde seit der ersten Ausgabe 1984 kaum verändert. Von Beginn weg war Parkett eine textlastige, intellektuelle, sperrige Publikation, eher ein Buch als eine Zeitschrift. Nach 1995 bekam die Publikation nochmals mehr Gewicht, da auf Fadenheftung und von vier auf drei Exemplare pro Jahr umgestellt wurde – was zeigt, wie entscheidend die Form ist. Die Gestaltung war überhaupt zu keiner Zeit forciert zeitgemäss. Trix Wetter gestaltete Parkett von Beginn weg als klassische, eigentlich neo-klassische, Publikation, und Jacqueline Burckhardt sagte: «Uns wurde vorgeworfen, wir seien zu schön.»[3] Heute wird Parkett in leicht angepasstem Layout von Hanna Williamson-Koller gestaltet, noch immer irgendwie neo-klassisch, zeitlos, «dressed down». Was Parkett zudem auch hat, ist Vision und ein perfektioniertes Netzwerk. Die Zeitschrift wurde von Beginn weg mit den Künstlern gemacht, nicht bloss über sie. Das zeichnet sie aus.
Vielleicht ist, was Parkett hat eine Aura? Auf dem Büchergestell versammelt, vermittelt Parkett ein gewisses Gewicht, Seriosität. Wobei die Artikel eventuell kaum öfter gelesen worden sind als die in Art. Und wobei Parkett schliesslich auch mit jeder neuen Ausgabe, alle vier Monate, überholt ist und zur Dokumentation und zur Kunstgeschichte wird.
What’s new?
Irgendwie ist die Aura von Parkett erstaunlich, schliesslich war die Zeitschrift mit ihrer Gestaltung nie ausdrücklich ‹zeitgemäss›. Viel eher orientierten sich die Herausgeber schon bei der ersten Nummer an Minotaure, an Interfunktionen – eigentlich ‹historische› Titel.[4] Auch andere respektierte Zeitschriften wie October, Ambit, Texte zur Kunst zelebrieren erstaunlich klassische Formate. Selbst Artforum, die durchaus als modisch bezeichnet werden sollte, fährt eine extrem konstante, experimentfreie Strategie. Die zeitgenössischeren Alternativen wie Kaleidoscope, Frieze, Elephant und so weiter erreichen nie den gleichen Auralevel, sie wirken modisch, kurzlebig und entsorgungsfreundlich. Ist deshalb vielleicht in der Kunstkritik generell das Alte das ‹neue Neue›?
«Bei guten Ideen fragt man sich oft, warum man nicht schon früher darauf gekommen ist.»[5], notiert Peter Liechti in seinen Notizen und beschreibt eigentlich genau das Vorgehen von Parkettund weiteren Klassikern: alte Formate neu gedacht. Da kann man fragen, was wären denn die neuen Ideen für eine gedruckte Kunstkritik? Und was wären die Kriterien, möchte man ein neuartiges redaktionelles Konzept beschreiben?
Auf der Suche nach Kriterien könnte Folgendes eine präzisere Beschreibung liefern: Vor einigen Jahren gab es westlich der Schweiz einen Rechtsstreit um das Re-Design einer Kunstkritikzeitschrift – und Argumente vor Gericht haben ja den Vorteil, dass sie prüfbare Kriterien und wenig Doppeldeutigkeiten kennen… So auch in diesem Fall, da abstrakte Dinge wie ‹Innovative Gestaltung› oder ‹Neuartiges Redaktionskonzept› scheinbar definiert und kategorisiert werden konnten. Im Streit ging es vereinfacht um Copyright und darum, ob ein Re-Design genügend vom ursprünglichen Design und Konzept abwich oder eben nicht. Die von den zerstrittenen Parteien lancierten Analysen beschrieben die Layouts und visuellen Konzepte in ihren Details: die redaktionellen Entscheidungen wie Form oder Länge der Texte, die Bildverwendung, die Inserate, bis zu rein formalen Kriterien wie Umschlaggestaltung, Schriftwahl, Satzspiegel oder Platzierung der Titel und Fussnoten. Bei der Beschreibung der formalen Details blieben jedoch die ‹objektiven Kriterien› hinter den Erwartungen zurück. Natürlich waren im Re-Design gewisse Elemente verändert, gewisse jedoch gleich belassen worden – extrem schwierig, dies endgültig zu klären. Was in der scheinbar quantifizierbaren Analyse jedoch zu kurz kam, war die wichtigere Tatsache, dass sich das Redaktionsteam seit je und ausdrücklich an den erwähnten zeitlosen Zeitschriften wie Texte zur Kunst, October oder Parkett orientiert hatte. Um dieses redaktionelle Konzept nicht zu untergraben, konnten deshalb gewisse gestalterische Parameter in keinem Fall verändert werden. Will man nicht in eine völlig andere Kategorie abdriften, gehören klassische Typografie, ein Satzspiegel und Format wie bei einem Lesebuch sowie die Reduktion modischer Elemente einfach dazu. Was auch zu diesem Rezept dazugehört, dass die Texte nicht nur die vordefinierten Spalten füllen, sondern die Länge haben dürfen, die sie für ihre Argumentation eben brauchen.
Das Beispiel ist derart vereinfacht natürlich aus dem Kontext gerissen, aber es illustriert, wie wichtig die redaktionelle Ausrichtung auf ein spezifisches Format ist und wie eng die Spielräume innerhalb der Formate sein können. Es lässt zudem die Überzeugung der Redaktion nachvollziehen, die am ‹klassischen› Format festhält, mit dem starken Bewusstsein, zu einer Kategorie zu gehören, die langfristig wahrgenommen werden soll und zur Kurzlebigkeit der modischen Magazine ein Gegenargument setzen will.
Zum Schluss
Nochmals, was sind schliesslich die Zeitschriften, für die wir Platz im Regal reservieren sollen? Und wie zeichnen sie sich aus? Nur auf Konstanz und klassische Vorbilder zu verweisen, wäre zu kurz gegriffen. Es geht natürlich um mehr – und das Zeitgemässe oder Modische auszublenden, wäre überhaupt falsch. Selbst die ziemlich modische Zeitschrift Artforum kann die Jahre überdauern, vielleicht gerade weil sie praktisch nur aus Inseraten und Werbung besteht und damit auch über so etwas wie die Wirtschaftsgeschichte der Kunst berichtet.
Was mir gefiele, wäre die Beschreibung Jean-Philippe Toussaints zu verwenden. Toussaint schreibt, dass er bei seinen Texten stets eine Ambivalenz anstrebt, zwei Pole gleichzeitig, nämlich «Il y a toujours en jeu, je crois, dans l’écriture, ces deux notions apparemment inconciliables: L’urgence et la patience.»[6] In seinen Texten, so wünscht Toussaint, sollte einerseits der Impuls spürbar sein, Texte sollen dringend sein, nie nebensächlich. Und anderseits nicht vorschnell, sondern mit der nötigen Geduld formuliert, die ihnen die Glaubwürdigkeit gibt. Vielleicht trifft dies auch auf Kunstmagazine zu? Jedenfalls gefällt mir der Gedanke, dass es nicht das Zeitgemässe der Mode oder das immer wieder aufgewärmte Rezept der ‹seriösen› Zeitschrift ist, die uns langfristig interessieren, sondern viel eher, eine gewisse Radikalität und ein Handlungsbedarf. Und das in ihrem Inhalt wie auch in ihrer Form. Eigentlich genau so, wie dies Norman Potter bereits in den 1960ern formuliert hatte: «Why are these worth reading? … Because there was spirit and necessity behind them – a quality of concern, reflecting a group effort, shared values, direction: a coherent standpoint. In a word – something to say, and the need of that form to say it.»[7]
PS und unrelated:
Es gibt noch einen weiteren Kommentar von Gilbert & George zu Zürich: «We always say that if a spaceship landed and people got out and said we’ve got five minutes to film planet Earth and want something typical, we’d say, go to Aldgate. You wouldn’t tell them to go to Zurich ….»[8]
[1] Varadinis, Mirjam (Hrsg.). Parkett, 20 Years of Artists’ Collaborations. Zürich: Kunsthaus Zürich, Parkett Editions, 2004, 88.
[2] Violette, Robert und Obrist, Hans-Ulrich (Hrsg.). The Words of Gilbert & George. London: Violette Editions, 1997, 130.
[3] Varadinis, Mirjam (Hrsg.). Parkett, 20 Years of Artists’ Collaborations. Zürich: Kunsthaus Zürich, Parkett Editions, 2004, 55.
[4] Varadinis, Mirjam (Hrsg.). Parkett, 20 Years of Artists’ Collaborations. Zürich: Kunsthaus Zürich, Parkett Editions, 2004, 55.
[5] Liechti, Peter. Klartext, Fragen an meine Eltern. St.Gallen: Vexer-Verlag, 2013, 184.
[6] Toussaint, Jean-Philippe. L’urgence et la patience, Paris: Les Editions de Minuit, 2012, 26.