NICE, NICE, NICER

Flurina Rothenberger und Franziska Kristensen im Gespräch mit Mara Züst über Klaym, ein Workshop-Projekt, in dem sich junge Fotograf*innen in afrikanischen Metropolen weiterbilden können, und über das ‹kreolische› Hochglanzmagazin NICE, das in den Workshops entsteht
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NICE Nr. 1 Edition Pemba

Als ich die erste Ausgabe vom Magazin NICE in die Hände bekam, war mir Flurina Rothenberger als Fotografin schon länger ein Begriff. Ich wusste, dass sie – aufgewachsen an der Elfenbeinküste – schon viele Jahre für ihre Arbeit in ganz Afrika unterwegs war. Sie hat im Auftrag von Schweizer Firmen, internationalen NGOs, Magazinen und Zeitungen gearbeitet. Zudem hat sie immer auch freie Projekt verfolgt. Doch was sollte nun dieses Magazin? Angesprochen durch sein selbstbewusstes Erscheinungsbild und die darin gezeigten Arbeiten, fiel es mir schwer einzuordnen, warum es hier ging. Um das herauszufinden, traf ich Franziska Kristensen und Flurina Rothenberger zu einem Gespräch.

Mara Züst: Das Projekt Klaym hat 2016 mit einem Workshop für junge Kreative in Mosambik begonnen. Seither sind im Zusammenhang der Workshops bereits zwei Ausgaben des Magazins NICE entstanden. Nr. 1 mit dem Titel Pemba – Moçambique, Nr. 2 mit dem Titel Abidjan – Côte d’Ivoire. Was ist die Idee hinter dem Projekt?

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NICE Nr. 2 Edition Abidjan

Franziska Kristensen: Eigentlich beginnt die Geschichte des Projektes schon 2015, mit der Gründung des Vereins Klaym, der NICE herausgibt. Ziel des Vereins ist die Förderung junger Fotograf*innen auf dem afrikanischen Kontinent, da in afrikanischen Ländern mit geringen nationalen Finanzierungsstrukturen der Zugang zu einer soliden Berufsausbildung nur sehr beschränkt gewährleistet ist. Ausser natürlich, man hat Geld. Gegründet wurde der Verein von Flurina Rothenberger, Rahel Arnold und mir. 2016 fand dann ein Pilot in Pemba, einer Hafenstadt im Norden von Mosambik, statt; in Zusammenarbeit mit Jugendlichen vor Ort entstand das erste NICE. Im Unterschied zu den an der zweiten Ausgabe Beteiligten waren das noch keine professionellen Fotograf*innen, sondern Jugendliche, die ganz einfach interessiert daran waren, sich am Projekt zu beteiligen. Mit NICE Nr. 2 begannen wir das Konzept zu schärfen. Wir beschlossen, mit jungen Professionellen zu arbeiten.

Mara: Was ist eure Motivation für Klaym? Wie gewährleistet ihr, dass die Zusammenarbeit auf Augenhöhe geschieht?

Flurina Rothenberger: In meiner langjährigen Arbeit auf dem afrikanischen Kontinent habe ich ein grosses Netzwerk aufgebaut und wusste, dass es viele talentierte lokale Fotograf*innen gibt, aber wenig kulturelle Schnittstellen, kaum die Möglichkeit einer gestalterischen Ausbildung und kaum Vermittler*innen für internationale Kooperationen. Internationale Auftraggeber*innen interessieren sich jedoch zunehmend für afrikanische Fotograf*innen. Das war der Antrieb, Klaym zu gründen und junge Fotograf*innen und ihr Gegenüber bei Kooperations- und Auftragsanfragen zu unterstützen. Darüber hinaus interessiert uns die Idee des Austausches mit den an NICE Beteiligten. Uns war aber von Anfang an klar, dass wir niemandem unsere vorgefassten Ideen aufzwingen wollen, wir verstehen unsere Arbeit als partizipativen Prozess. So entwickelt sich Klaym im Einklang mit den Teilnehmer*innen und ihren Sichtweisen weiter und weiter.

Franziska: Für mich als Ökonomin ist die Motivation, eine ineffiziente Marktsituation zu verändern. Ich habe bei meiner Tätigkeit im NGO-Bereich erlebt, wie viele Organisationen gerne mit lokalen Fotograf*innen in Afrika zusammenarbeiten würden. Realisiert wird das aber fast nie. Die Gründe dafür sind vielfältig: Man hat keine Kontakte, die Zahlungsabwicklung gestaltet sich schwierig oder das gemeinsame Verständnis über Storytelling ist nicht unbedingt gegeben. Sind diese Hindernisse einmal überwunden, wäre die Zusammenarbeit effizienter, sprich günstiger, es würden lokale Perspektiven in die internationale Wahrnehmung einfliessen, das Bild von Afrika authentischer. Schliesslich kann den lokalen Fotograf*innen mit der Auftragsvergabe auch ökonomisch geholfen werden. Dies entspricht auch der Mission vieler NGOs, die Fotoreportagen benötigen und deshalb an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert sind. Mit uns als Mediatorinnen wird ein ineffizienter Markt also plötzlich zu einem effizienten und Leute auf allen Seiten profitieren. Das gefällt mir und motiviert mich. Wenn es auch nicht immer einfach ist. Es gibt schliesslich Gründe, weshalb sich Kooperationen bisher nicht von alleine ergaben.

Mara: Wie macht ihr die Workshop-Teilnehmer*innen ausfindig?

Flurina: Ein Teil davon ist mein persönliches Netzwerk vor Ort, weiter habe ich viele Leute über Instagram gefunden und dann habe ich auf der Suche nach kleinen Studios die Strassen abgeklappert. Uns ist es wichtig, dass wir eine hybride Mischung im Magazin haben. Sonst stösst man nur immer wieder auf die gleichen Personen, die entweder bereits im Ausland eine Ausbildung gemacht haben oder aber das Geld haben, sich selbst direkt zu vernetzen.

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Seiten aus NICE Nr. 1 Edition Pemba

Mara: Und welche Rolle spielt NICE dabei?

Flurina: Innerhalb der Workshops wird das Magazin editiert, das es den Fotograf*innen im Sinne eines Portfolios ermöglicht, sich selbst besser darstellen und vermarkten zu können. Anders als in Europa gibt es in Westafrika keine große Tradition von gedruckten Publikationen; so ist es besonders unter den jungen Autor*innen und Fotograf*innen begehrt, in einem Magazin von hoher Druckqualität veröffentlicht zu werden. Mit NICE können sie quasi einen Beweis vorlegen für die professionelle Qualität ihrer Arbeiten. Durch die heterogene Zusammensetzung der Workshops versammelt das Magazin sehr unterschiedliche Positionen – Reportagen, Fashion, Kunst. Wir sind jedoch bereit, diesen auszuhalten. Unser Anspruch ist es, die Leute umfassend auf ihrem Weg zu begleiten, damit sie entsprechende Aufträge übernehmen können, aus welchem Bereich auch immer Anfragen kommen.

Mara: Wie genau gestalten sich die Workshops?

Flurina: Da sind wir noch am Reinwachsen. Für den ersten Workshop mit Professionellen haben wir folgendes ausprobiert: Zuerst traf ich im Januar 2017 die Interessierten für eine Woche, danach hatten diese drei Monate Zeit, in Rücksprache mit uns ein Projekt einzureichen, das sie in NICE veröffentlichen wollen. Aus diesen Eingaben haben wir die Teilnehmer*innen für den Workshop ausgewählt, der dann im August und September stattfand. Er war auf sechs Wochen angesetzt. Es zeigt sich aber, dass die Beteiligten zwar alle bereits in dem Beruf arbeiteten, jedoch als Autodidakt*innen, die sie alle waren, gewisse technische Grundlagen gar nicht hatten. Weil Technik bei der Fotografie aber wichtig ist, habe ich vor und nach dem Workshop zusätzlich Kurse angeboten. Sonst vermittelte der Workshop unter anderem Studiofotografie, es gab eine Schreibwerkstatt und auch einen InDesign-Kurs. Wir sprachen aber im Kurs auch über ethische Fragen. Wie spricht man jemanden für ein Shooting an? Was zu fotografieren ist in welchen Kontexten heikel? Im Verlauf des Workshops kamen dann Hammer hinzu, das Grafikbüro meiner Schwester Sereina und ihres Partners David Schatz. Sie haben das Heft in Zusammenarbeit mit den Beteiligten in die aktuelle Form gebracht. So sind innerhalb von zwei, drei Wochen die Teilnehmer*innen der Workshops zu Mitarbeiter*innen geworden. Diese dichte Arbeitsweise führt erfahrungsgemäss am ehesten zu einer zuverlässigen und längerfristigen Kollaboration unter den Beteiligten. Vom Zeitpunkt der ersten Begegnung bis zum Abschluss eines Magazins vergeht mehr als ein Jahr. In dieser Zeit können die Beteiligten Vertrauen untereinander aufbauen.

Mara: Wieso arbeitet ihr für die Grafik mit einem Schweizer Studio zusammen und nicht mit Gestalter*innen aus den jeweiligen afrikanischen Metropolen?

Flurina: Wir wollen nicht nur mit lokalen Nachwuchstalenten zusammenzuarbeiten, sondern auch mit gestandenen Einzelpersonen und Kollektiven vor Ort. Dies von der Gestaltung hin zur Produktion und Distribution. Das ist erst noch am Wachsen. Wir werden aber in Johannesburg für die Grafik mit Bubblegum Club zusammenarbeiten, einem lokalen Kollektiv von Gestalter*innen. Das freut uns sehr.

Mara: Wie aber betreut ihr die Beteiligten über den Workshop hinaus?

Franziska: Der Service, den Klaym seinen Mitglieder*innen anbietet, richtet sich nach deren Bedürfnissen. Im Moment sind dies Einschätzungen zu Anfragen, die sie erhalten, Bildkritiken und Rückmeldungen auf ihre Projektideen oder Bewerbungen für internationale Fotopreise. Klaym bewirbt sich zudem bei Fotofestivals, sucht Ausstellungspartner*innen und organisiert Residencies für die Fotograf*innen. Wir unterstützen die Beteiligten bei Reiseformalitäten und Visumanträgen für Auslandaufenthalte und übernehmen bei Bedarf auch die Zahlungsabwicklung bei Werkverkäufen und Auftragsanfragen. Momentan sind wir daran, diesen Bereich etwas strukturierter zu gestalten.

Mara: NICE ist das Aushängeschild für euer Projekt. Wie wird das Heft distribuiert?

Flurina: Wir haben über Rollo Press den Vertrieb Idea Books, wir haben den Shop auf unserer Webseite www.klaym.org und wir gehen Läden direkt an. Schön ist, dass bisher alle Läden das Heft bei sich aufnahmen. Auf dem afrikanischen Kontinent wiederum gestaltet sich das Ganze sehr schwierig, da geeignete Strukturen fehlen. An der Elfenbeinküste haben wir das nun so gelöst, dass sich ein Bekannter von uns darum kümmert. Und das funktioniert wunderbar. Weiterführend besteht die Idee, ein Netz aus Hubs aufzubauen, über die das Magazin an Interessierte kommt.

Mara: Und wie bringt ihr das Heft an mögliche Auftraggeber*innen? Und wie geht ihr in der Promotion mit der grossen Bandbreite an unterschiedlichen Positionen um?

Franziska: Die Einladung an die Messe Unseen CO-OP ist ein Beispiel dafür, wie eine Netzwerkplattform aussehen kann. An der Unseen CO-OP ermöglichen wir fünf bis sieben unserer Fotograf*innen, über eine persönliche Teilnahme in direkten Kontakt mit möglichen Auftraggeber*innen zu kommen. Darüber hinaus sind einmal mehr die persönlichen Kontakte wichtig.

Flurina: Es ist wichtig zu erwähnen, dass nicht alle unsere Leute international arbeiten wollen. Bis anhin kamen Anfragen von Redaktionen, Privatfirmen und NGOs, insbesondere das Volumen der Aufträge von NGOs ist nicht zu unterschätzen. Es ist ein Bereich, der mir besonders wichtig ist, da hier eine Öffnung der Bilderwelt nötig ist, wofür die Arbeiten lokaler Fotograf*innen vielversprechend sind.

Franziska: Zudem sind wir dabei eine digitale Plattform aufzubauen, die Ende Jahr online gehen soll. Die Idee dahinter ist es interessante Positionen zu vermitteln, sie soll Kund*innen möglichst direkt mit den Fotograf*innen in Kontakt bringen. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, sich für eine Vermittlung an Klaym zu wenden. Wir suchen dann spezifisch mögliche Fotograf*innen für einen Auftrag wie zum Beispiel eine Reportage oder eine künstlerische Kollaboration. Die Plattform soll auch den Austausch unter den Fotograf*innen und anderen Beteiligten fördern.

Flurina: Dennoch ist uns das langsame Arbeiten wichtig, damit die Leute nicht verheizt werden. Wir könnten locker jährlich zwei Workshops organisieren, aber wir wollen die Leute ja auch darüber hinaus betreuen. Das braucht Zeit, wir müssen bei Fragen verfügbar sein. Zugleich ist unser Anspruch, dass die Strukturen so weiterwachsen, dass sie sich selbständig und langfristig auch ohne unser aktives Zutun weiterentwickeln können. Die Idee ist, dass die ehemaligen Workshop-Teilnehmer*innen Teil des Klaym-Kollektivs werden und so weiterwirken. Auch werden wir für die beiden nächsten Workshops mit bestehenden lokalen Kollektiven zusammenarbeiten, in Johannesburg, Südafrika, wie schon erwähnt mit Bubblegum Club, und in Kairo, falls das klappt, mit Medrar for Contemporary Art. Der Gedanke, der uns vereint, ist, dass mehr auf dem Kontinent laufen muss, und zwar nach den eigenen Regeln.

Mara: Für mich bleibt die Frage, ob sich das alles im Magazin widerspiegelt. Auf den ersten Blick kommt NICE in seiner Glossiness wie ein Mode-Magazin daher.

Flurina: Als erstes ist mir wichtig festzuhalten, dass NICE auf dem afrikanischen Kontinent sehr gut ankommt, die Leute hier in Europa stossen sich viel mehr daran. In Abidjan habe ich mehr als einmal gehört: „ça c’est vraiment Abidjan“. Die Fotograf*innen sind im Netz zwar schon präsent, aber ihre eigenen Arbeiten in schön gedruckter Form zu sehen, können sie sich meist gar nicht leisten. Ich finde aber, das steht ihnen zu. Bubblegum Club wollen explizit genau deswegen mit uns zusammenarbeiten. Dann ist es auch so, dass wir in den Workshops mit Menschen in ihren Zwanzigern zu tun haben. Die Subkulturen dieser Generation ist auch bei uns im Westen von Migration geprägt und orientiert sich sehr international. Ob nun in Afrika oder sonst wo auf der Welt, ist die Ästhetik heute geprägt von visuellen Referenzen einer gemeinsamen Popkultur. Die Fotograf*innen, die plötzlich Zugang zu neuen Technologien haben, nutzen alle Möglichkeiten auf einmal. Eine fast unbegrenzte Anzahl von Schlagschatten, Farbverläufe und dreidimensionale Schriften. Das Erscheinungsbild widerspiegelt die vielseitigen kulturellen Einflüsse der Mitwirkenden. Das führt im Resultat zu einem seltsamen Zusammenprall, wie eine Ausgabe von Twen (Zeitschrift), die durch einen ivorischen Fleischwolf gedreht wurde.

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Seiten aus NICE Nr. 2 Edition Abidjan

Mara: Warum aber wurde das Heft in Europa gedruckt?

Flurina: Das Heft soll hochqualitativ sein. Das wünschen sich die Beteiligten so. Weil die Druckindustrie in ganz Afrika unterentwickelt ist, haben wir deshalb in Deutschland bei DZA gedruckt. Ich freue mich schon auf den Workshop in Kairo, da können wir lokal produzieren, da die Infrastruktur vorhanden ist.

Mara: Und wie sieht die Zukunft von Klaym aus?

Flurina: Die Kombination von Schulung und Förderung werden wir weiterverfolgen, klar ist aber auch, dass sich die Workshops von Land zu Land unterscheiden müssen.

Franziska: Der Workshop in Johannesburg ist für dieses Jahr angesetzt, Flurina wird bei ihrer Residency in Zusammenarbeit mit Bubblegum Club eine Serie kleinerer Workshops machen, das NICE dazu wird dann Anfang 2019 erscheinen. Der Workshop in Kairo wiederum wird 2019 laufen und das Heft dazu 2020 erscheinen. Parallel dazu beschäftigt uns weiterhin das Thema Geldbeschaffung: Wir sind auf externe Unterstützung angewiesen, betreiben Fundraising bei Stiftungen und Privaten, um unsere Aktivitäten so zu gestalten. Auch wenn es nie Klayms Ziel war, von Fremdgeldern abhängig zu sein, so ist es doch so, dass Unterricht und fachliche Weiterbildung, die für alle erschwinglich sein sollen, fast überall von externer Förderung abhängig sind. So finanzieren wir unser Angebot im Moment ausschliesslich über Pro-bono-Tätigkeit, Spendengelder und zu einem kleinen Anteil aus den Einnahmen des Verkaufs der Magazine. Doch sind wir nach wie vor höchst motiviert und sehen mit jeder Ausgabe, wie wir für die Beteiligten viel bewegen können.