Dissonanzen / Resonanzen

Queerness in der Kunstgeschichte als produktiver Störfaktor

Queere Kunst und Kulturen erleben gegenwärtig eine Konjunktur in populären, akademischen und musealen Kontexten. Queer kommt dabei vor allem als Label und Identitätskategorie zum Einsatz, anstatt ein kritisches Potenzial zu mobilisieren, kontinuierlich in normativ angelegte soziale Systeme und Organisationsapparate zu intervenieren. Die Herausforderung hegemonial legitimierter Ausschlüsse und Hierarchien sollte jedoch im Vordergrund stehen.
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Abb3.1Cover des Ausstellungskatalogs zu Queer British Art 1861-1967

Anlässlich des 50. Jahrestages der teilweisen Entkriminalisierung männlicher Homosexualität in England zeigte 2017 das Tate Britain die Ausstellung Queer British Art 1861–1967. Sie präsentierte Werke, die in der Zeit zwischen 1861 und 1967 entstanden sind und sich, so der Ankündigungstext der Ausstellung, auf «lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und queere (LGBTQ) Identitäten beziehen».[1] Für die Kuratorin Clare Barlow fungierte die Nomination ‹queer› in diesem Zusammenhang als Ausgangspunkt für eine Revision der Kunstgeschichte und der Etablierung einer Leseweise von Kunst, die die Beziehungen zwischen «same-sex or gender-variant desires, lives, cultures, identities or perspectives» thematisiert.[2] Abgesehen von einem umfangreichen Begleitkatalog, veröffentlichte das Museum zudem zeitgleich den schmalen Band A Queer Little History of Art. Alex Pilcher beleuchtet darin die Kunstgeschichte auch über den britischen Kontext hinaus auf queere Inhalte und geht der Frage nach, wie Kunst «Queeres» und «Queerness», das heisst von der Norm abweichende Formen der Sexualität, Erotik, Geschlechteridentitäten und Ausdrucksweisen, verhandelt.[3]

Die Tatsache, dass ein nur wenige Jahrzehnte zuvor sowohl moralisch geächteter als auch juristisch sanktionierter Gegenstand nun von einer Institution eines bürgerlichen Kunst- und Kulturdiskurses affirmiert wird, vermag manchen eine breitere Anerkennung sexuell und geschlechtlich diverser Positionen signalisieren. Vor allem machen die Ausstellung und die im Zuge dessen erschienenen Publikationen jedoch deutlich, dass die adjektivische Verwendung des Begriffs ‹queer› mittlerweile als eine Art Genrebezeichnung in der Kunstwissenschaft, Kunstvermittlung und dem Kunsthandel eingesetzt wird, ohne dass er eine stärkere Differenzierung erfährt. ‹Queer› fungiert dabei als Label, um damit ebenso kategorisch wie breit gefasst Werke von Künstler*innen zu erfassen, die sich einerseits als queer identifizieren oder die andererseits rückwirkend bis posthum auch oft trotz mangelnder entsprechender Bekenntnisse durch die Künstler*innen selbst, etwa basierend auf biografischen Details, als queer erachtet werden. Vor allem wird mit ‹queer› jedoch solche Kunst bezeichnet, die sich der Darstellung ‹queerer› Inhalte widmet. Eine solche Bestimmung wird in der Regel für jene Motive geltend gemacht, die sich nicht unmittelbar in eine heteronormative Matrix aus Körper- und Geschlechterpolitiken einfügen. Zentral haben sich hierbei historisch etwa Formen der Sichtbarmachung erwiesen, die vor allem aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität marginalisierte Personengruppen repräsentieren, das heisst innerhalb der normativen Regierungsformen einen Körper, eine Stimme, mithin eine Subjektivität ausserhalb der hegemonialen Protokolle artikulieren sollen.

Im Gegensatz zu diesen Bemühungen einer konkreten Definierbarkeit wird jedoch in vielen Beiträgen zur Queer Theory betont, dass das entscheidende Charakteristikum des Queeren gerade seine Widerständigkeit gegenüber festen Zuschreibungen sei. Für Eve Kosofsky Sedgwick etwa bezeichnet ‹queer› «the open mesh of possibilities, gaps, overlaps, dissonances and resonances, lapses and excesses of meaning when the constituent elements of anyone’s gender, of anyone’s sexuality aren’t made (or can’t be made) to signify monolithically».[4] Judith Butler verhandelt queer als ein diskursives Feld zuweilen unvereinbarer Positionen, «a site of collective contestation».[5] Und für José Esteban Muñoz ist ‹queerness› gar ein Idealzustand, der noch nicht erreicht wurde.[6]

Abb.2Ankündigung Ambilvalent Work*s Workshop, Zeichnung von Izidora L. LETHE

Angesichts dieser Diskrepanz stellt sich die Frage, inwiefern sich die Bezeichnung ‹queere Kunst› überhaupt als tragfähig erweisen kann. In dem Workshop Ambivalent Work*s: Queere Perspektiven und die Kunstgeschichte,[7] den wir im Dezember 2020 an der Universität Zürich online gemeinsam mit Christian Liclair und Fiona McGovern veranstalteten, sollten genau diese Probleme diskutiert werden. Wie kann eine solche Kategorisierung mit der diskursiven, von Ambivalenz, Ambiguität und Potenzialität geprägten Dynamik, die ‹queer› und ‹queerness› laut Autor*innen wie Sedgwick, Butler und Muñoz ausmacht, in Einklang gebracht werden? Wie kam es zu einer scheinbar so selbstverständlichen Verdichtung? Wie konnte sexuelle Orientierung oder Identität zu einem veritablen Genre avancieren, das über historische, geografische, kulturelle und ideologische Grenzen hinweg einen vermeintlich klar bestimmbaren Gegenstand formiert? Welche Konsequenzen hat diese Institutionalisierung sowohl für die entsprechenden Objekte als auch ihre Rezeption? Und setzt die Auseinandersetzung mit sogenannter queerer Kunst zugleich eine queere Kunstgeschichte, das heisst eine Betrachtung und Analyse aus dezidiert queerer Perspektive, voraus?

Als in der Kunstgeschichte aktiv und institutionell involvierte Praktiker*innen schien uns, wenn nicht die Klärung solcher Fragen, doch ihre bewusste Problematisierung unerlässlich. Sind wir Teil einer akademischen Domestizierung des Queeren, oder können wir seine Potenziale nicht-normativer und gegenhegenmonialer Dynamiken mit in eine Disziplin tragen, die sich traditionell zwar sensibel für politische Implikationen von Kunstwerken gibt, die eigene Komplizität jedoch häufig übersieht (oder ignoriert)? Angefangen bei einem lange höchst einseitigen Geschlechterverhältnis in der Besetzung der Lehrstühle über die Blindheit gegenüber sozialen Markern wie Geschlecht, ‹race› und Klasse bis hin zur weit verbreiteten Nichtanerkennung einer westlichen Dominanz, rassistischen Konventionen und Quellen sowie eines kolonialen Erbes, dessen Unrecht bis heute fortwirkt, muss sich eine queere Haltung für uns auch in der Kunstgeschichte Interventionen gegen diese Ausschlüsse und Hierarchien leisten. Der Workshop nahm seinen Titel zum Programm, die taktische Instabilität des Queeren auch als methodische Perspektive zu erkunden.

Hinweise darauf, wie diese Ausweitung der Wissensordnungen und Untersuchungsgegenstände interpretiert werden könnte, vermag jedoch auch das historische Beispiel feministischer Interventionen in die Kunst- und Kulturdiskurse geben. Es lohnt sich daher, mögliche Parallelen zwischen diesen beiden Phänomenen zu erkunden, um die Potenziale, aber auch Konflikte eines solchen Ereignisses zu erkennen.

Als formierend für den Begriff ‹queere Kunst› werden in den gängigen Narrativen insbesondere Werke angeführt,[8] die während der AIDS-Krise in den späten 1980er-und frühen 1990er-Jahren entstanden sind. Besonders im nordamerikanischen Raum hatten es sich Künstler*innen und Kollektive wie Gran Fury, Group Material und General Idea zur Aufgabe gemacht, unter anderem mittels Strategien des Agitprop die Verheerungen der Epidemie sichtbar zu machen sowie die öffentliche Aufmerksamkeit auf die politischen Missstände im Umgang damit zu richten. Zu dieser Zeit erfuhr das Wort ‹queer› eine grundlegende Neubewertung. Was vormals als Beleidigung und abwertende Bezeichnung für jegliche Abweichung von den dominanten Normen einer cis-gender und heterosexuellen Mehrheit galt, geriet nun, mehr noch als eine selbstbestimmte Bezeichnung für sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität, zum Ausdruck einer politischen und aktivistischen Haltung, die sich gegen heteronormative Setzungen richtet und programmatisch geschlechterspezifische Dichotomien unterminiert.[9]

Die Bezeichnung ‹queere Kunst› beschränkt sich in ihrem weitläufigen Gebrauch jedoch nicht nur auf Gegenwartskunst oder künstlerische Projekte seit der Aneignung und Umwertung von Queer. Mit ihr werden oft auch – die Ausstellung Queer British Art 1861–1967 ist hierfür das beste Beispiel – scheinbar reibungslos kunsthistorische Epochen- und Genregrenzen transzendiert und eine imaginäre Gemeinschaft vermeintlich Gleichgesinnter hergestellt. Dabei wird deutlich, dass im Umgang mit dem Begriff ‹queer› eine konkrete methodische Reflexion häufig auf der Strecke bleibt. Queer wird in Bezug auf die Kunst und Künstler*innen vor allem als Deckelbegriff und Identitätskategorie und weniger hinsichtlich seines kritischen Potenzials produktiv gemacht, um in normativ angelegte soziale Systeme und Organisationsapparate zu intervenieren. Diese Art Intervention, die in erster Linie eine kontinuierliche Herausforderung und Ausweitung dessen markiert, was hegemonial legitimiert ist beziehungsweise die daraus resultierenden Ausschlüsse und Hierarchien problematisiert, sollte jedoch im Rahmen der Auseinandersetzung mit Kunst und Kunstgeschichtsschreibung aus queerer Perspektive im Vordergrund stehen. Obwohl sich Kultur-, Literatur-, Film- und Theater- sowie Sozialwissenschaftler*innen bereits seit den 1990er-Jahren auf queere Theorien beziehen, um repräsentationspolitischen Fragestellungen im Hinblick auf die Normierung von Körper und Subjektivität nachzugehen, steht die Kunstgeschichte dem bis heute noch um einiges nach.

Auf diesen Umstand hat Amelia Jones bereits sehr deutlich hingewiesen.[10] Sie spricht sich zudem für eine dezidiert queer-feministische Kunstgeschichtsschreibung aus, die mitreflektiert, wie Geschlecht, Gender und Sexualität die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und somit auch massgeblich die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Kunst mitbestimmen: «Sex/gender identifications are not in this framework peripheral or secondary concerns. Nor are they prioritized as somehow more important or more foundational than other modes of identification such as class or race/ethnicity (these are all co-constitutive). And no art making, viewing, interpretation, historicization, collecting, marketing, or exhibition of art occurs outside these matrices of power.»[11] Für Jones muss eine mit queeren Theorien verschränkte Kunstgeschichte vor allem an die Leistungen der feministischen Kunstgeschichte anknüpfen, indem sie ebenfalls danach strebt, strukturelle Sexismen aufzudecken und alternative Darstellungsformen zu befördern.

Seit den 1970er-Jahren waren Kunsthistorikerinnen wie Griselda Pollock, Linda Nochlin, Rozsika Parker, Arlene Raven, Lucy Lippard oder im deutschsprachigen Raum etwa Gislind Nabakowski, Daniela Hammer-Tugendhat, Silvia Eiblmayr, Irene Below und Katharina Sykora aktiv an der Etablierung einer feministischen Kunstwissenschaft beteiligt, indem sie die Werke von zeitgenössischen Künstlerinnen ebenso wie die des klassischen kunsthistorischen Bestandes systematisch innerhalb eines feministischen Bezugsrahmens analysierten. Patriarchale Strukturen in den traditionellen Werturteilen und ästhetischen Konventionen sowohl offenlegend als auch ihre Autorität aushöhlend, untersuchten sie nicht nur die Formsprachen feministischer Kunst, sondern auch die Bedingungen des westlichen Kanons im Hinblick auf den Ausschluss weiblicher* Positionen. Sie entwickelten Methoden, anhand derer nicht nur die Effekte patriarchaler Machtapparate in den historischen Werken nachvollziehbar, sondern auch neue Massstäbe für gegenwärtige und künftige Kunstproduktionen entworfen wurden. Dazu zählt unter anderem, der Naturalisierung eines genialischen Künstlersubjekts ein kontextbasiertes Modell künstlerischer Produktion entgegenzustellen. Vermeintlich ausserästhetische Kriterien wie die Kategorien von Geschlecht, Klasse und ‹race› müssten demnach jedoch nicht nur in die Werkanalysen integriert werden, sondern zusätzlich auf ihre entsprechenden sozialen Funktionsweisen hinterfragt werden, die in der Herstellung von Differenz liegen. Damit einher gingen Forderungen, sowohl in produktions- wie rezeptionsästhetischer Hinsicht Abstand zu nehmen von der Annahme eines universalen und damit männlich markierten Subjekts sowie die aktive Rolle von Kunst und visueller Kultur bei der Herstellung und Aufrechterhaltung von hierarchisch angelegten gesellschaftlichen Strukturen anzuerkennen: «Understanding of what specific artistic practices are doing, their meanings and social effects, demands therefore a dual approach. First this practice must be located as part of the social struggles between classes, races and genders, articulating with other sites of representation. But second we must analyse what any specific practice is doing, what meaning is being produced, and how and for whom.»[12] ‹Repräsentation› wurde zum politischen Konzept und Gegenstand der Kritik. Instrumente und Motive wie beispielsweise der von Laura Mulvey aus den Filmwissenschaften in die Diskussion eingebrachte ‹male gaze› lieferten zentrale hermeneutische Direktiven, um die soziopolitischen Wirkungsweisen visueller Objekte zu ermitteln.

Jedoch vermochte die feministische Kunstgeschichte nicht, das Problem normierender Strukturen grundlegender zu erfassen. Mit einem Fokus auf die Kategorie des Geschlechts, innerhalb derer die ko-produktiven, normativen Voraussetzungen von Sexualität nicht erfasst werden, das heisst, die Analysen nach wie vor innerhalb einer heterosexuellen Matrix situiert sind und das entsprechende Konstrukt der Zwangszweigeschlechtlichkeit nicht hinterfragt wird, erwiesen sich feministische Ansätze spätestens ab den 1990er-Jahren für queer-informierte Projekte als nicht weitreichend genug. So stellt sich auch für Jones die Frage, ob feministische und queere Anliegen sich eigentlich miteinander vereinbaren lassen und «whether feminist visual theory and feminist art history might be incompatible with the processual and anti-essentializing thrust of queer theory».[13] Sie kommt jedoch zu dem Schluss, dass queere Perspektiven notwendig sind, um grundlegende Annahmen und Kategorien der feministischen Theorie, wie ‹die Frau›, ‹das Weibliche› sowie ‹den männlichen Blick› in ihrer generalisierenden Form aufzubrechen und kritisch zu reflektieren.[14]

Abb2.3Ashkan Sepahvand in Vika Kirchenbauers WELCOME ADDRESS (2017), Installationsansicht, Courtesy die Künstlerin und Schwules Museum

Wichtige Impulse für die Etablierung einer queer-feministischen Kunstgeschichte kamen seit den 1990er-Jahren, abgesehen von Amelia Jones, vor allem aus den Performance Studies und transdisziplinär ausgerichteten Studien, die sich im weitesten Sinne mit visuellen Kulturen beschäftigen. Jennifer Doyle, Jonathan Flatley und José Esteban Muñoz, die alle bei Sedgwick promovierten, regten zum Beispiel mit der Tagung Pop Out. Queer Warhol und dem 1996 dazu erschienenen Band erstmals dazu an, das Werk Andy Warhols aus einer kritischen queeren Sichtweise zu untersuchen.

In seiner 1999 veröffentlichten Monografie Disidentifications widmet sich Muñoz der Analyse von Kunst performativen Charakters unter dem Gesichtspunkt der Subjektbildung und Michel Pêcheux’ Konzept der Disidentifikation.[15] Er fokussiert dabei auf queere BIPoC Künstler*innen (darunter Jean-Michel Basquiat, Isaac Julien, Felix Gonzalez-Torres und Vaginal Davis), um darzulegen, wie sie, ausgeschlossen von einer weissen Heteronormativität, disidentifikatorische Strategien anwenden, die gleichzeitig an, mit und gegen bestehende soziokulturelle Bedingungen und die durch sie produzierten Stereotypen arbeiten. Muñoz zufolge ermöglicht der Prozess der Disidentifikation Künstler*innen, auf die kulturellen Codes des Mainstreams zu reagieren und sich diese in einer Weise zu eigen zu machen, die einerseits ihre eigene Position stärkt und anderseits etablierte Normen untergräbt.

Neben Beispielen aus der Literatur, dem Kino und der Popkultur bezieht sich Jack Halberstam in seinem Buch In a Queer Time and Place (2005) auch auf Werke von Künstler*innen wie Del LaGrace Volcano, Jenny Saville, Eva Hesse und Shirin Neshat, um Repräsentationen von Transkörpern zu beleuchten. Ihn interessiert dabei vor allem das Wechselspiel zwischen Mehrdeutigkeit und Lesbarkeit, etwas, das David Getsy auch unter dem Begriff «queer abstraction» erfasst. In seinen «Ten Queer Theses on Abstraction» legt Getsy dar, dass queere Abstraktion weder als eine Art Stil, Ikonographie noch als eine künstlerische Bewegung aufzufassen sei. Es sollte darunter eher die Art und Weise verstanden werden, wie sowohl Künstler*innen als auch Betrachter*innen Abstraktion an eine queere Sichtweise geknüpft erzeugen oder wahrnehmen. Für Getsy kann Abstraktion einerseits eine Form des Widerstandes gegen eine potenziell verletzende, da mit Überwachung und Kontrolle einhergehende, Sichtbarkeit sein. Anderseits sind Abstraktionen ihm zufolge prädestiniert, durch queere Leseweisen erschlossen zu werden: «Many abstractions contain inadvertent logics and sites of cathexis for queer viewers looking for ways to see otherwise.» Woraufhin er weiter konstatiert: «[Q]ueer possibility can be located (as well as hidden) anywhere.»[16] In diesem Sinne widmet er sich in Abstract Bodies. Sixties Sculpture in the Expanded Field of Gender (2015) auch der Analyse von Werken heterosexuell ausgewiesener Künstler wie David Smith, Dan Flavin und John Chamberlain hinsichtlich darin verhandelter Fragen der Geschlechtszuordnung sowie der Instabilitäten von Geschlecht und Sexualität. Für ihn stellt der Grad der Abstraktion ihrer Werke und deren Abkehr vom Anthropomorphismus zugleich eine Auseinandersetzung mit der Transformierbarkeit sowie den Möglichkeiten einer nicht-binären Definition des Geschlechts dar. Den Vorwurf des Hineininterpretierens kann er im Verlauf seiner Argumentation eloquent mit Bezug auf persönliche Aussagen und Archivmaterial der jeweiligen Künstler*innen (neben den genannten Künstlern widmet Getsy auch Nancy Grossman ein Kapitel) konterkarieren. Er möchte damit nicht zuletzt zeigen, dass den «anxieties about ‹reading into›» ein «defensive and pernicious desire to uphold the normative» zugrunde liegt.[17]

Im deutschsprachigen Raum fällt eine erste Konjunktur queerer kunst- und kulturwissenschaftlicher Ansätze zeitlich zusammen mit der Einführung der Visual Culture Studies beziehungsweise den Bildwissenschaften. Diese Koinzidenz hatte folglich einen wesentlichen Einfluss auf die Ausdifferenzierung des Feldes. Wichtige Beiträge zur Etablierung queerer Fragestellungen im Rahmen einer kunst- und kulturwissenschaftlichen Gender Studies leistete Barbara Paul, die in Publikationen wie un/verblümt. Queere Politiken in Ästhetik und Theorie (2014) und Mehr(wert) queer. Visuelle Kultur, Kunst und Gender-Politiken (2009) queere politische Positionen und deren Ästhetiken verhandelt. Zentrale Ansätze, queere zeitgenössische Kunstproduktionen sowie die Thesen Judith Butlers schon früh in die deutschsprachigen kulturwissenschaftlichen Diskussionen einzubringen, lieferte darüber hinaus die Philosoph*in und Queer-Theoretiker*in Antke Engel. Mit der Gründung des Instituts für Queer Theory (iQt) 2006 realisierte Engel die Institutionalisierung eines von den bestehenden akademischen Institutionen beharrlich ausgeschlossenen Diskursfeldes. Während sie in ihrer Monografie Bilder von Sexualität und Ökonomie. Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus (2009) das Verhältnis von Sexualität und neoliberaler Ökonomie auslotet, untersucht der von ihr gemeinsam mit Jess Dorrance herausgegebene Band Bossing Images. Die Macht der Bilder, queere Kunst und Politik (2012) konkret die Machtbeziehungen zwischen Bildern, ihren Produzent*innen und Betrachter*innen. Dabei wird auch die Frage danach, was queere Kunst eigentlich sei, programmatischer darauf ausgerichtet, was sie bewirken kann. Zwischen kunstwissenschaftlicher Untersuchung und künstlerischer Produktion lassen sich darüber hinaus die Studien von Renate Lorenz lokalisieren. In Queer Art. Freak Theory entwickelte Lorenz anhand der intensiven Diskussion von Kunstwerken und ihren konkreten ästhetischen Qualitäten eine systematische Methodik zur Analyse von queeren Kunstproduktionen. Lorenz schlägt im Zuge dessen einen anderen Weg vor als die stärker repräsentationskritisch angelegten Untersuchungen. Insbesondere die Verschränkung abstrakter Formen und Figuren mit den politischen Dimensionen von Sexualität, Körper und Identitäten eröffnet in ihren Werklektüren unvorhergesehene Möglichkeiten, queere Interventionen nicht allein auf einer inhaltlichen, sondern darüber hinaus auf einer formalen und materiellen Ebene nachzuvollziehen. An der Schnittstelle zur Bildwissenschaft dominieren jedoch solche Ansätze, die sich stärker mit den Gegenständen und Phänomenen der visuellen Kultur aus einer repräsentationskritischen Perspektive auseinandersetzen. Ein weiteres Beispiel dafür wäre Johanna Schaffers Untersuchung zu den Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Schaffer beleuchtet darin den auch in queeren Zusammenhängen häufig unkritisch zitierten Imperativ der Sichtbarkeit und fragt, wie gesellschaftlich minoritäre Positionen visuell in Erscheinung treten können, ohne die vorangegangenen Ausschlüsse und Marginalisierungen zu reproduzieren. Sie verhandelt hier künstlerische Projekte ebenso wie Phänomene der Populärkultur, um die unterschiedlichen Register des Visuellen zu erfassen und ebenso Ausschlüssen entgegenzuwirken, die insbesondere aus dem disziplinären Zusammenhang der Kunstgeschichte heraus aufrechterhalten würden.[18]

Abb.5Aykan Safoglu Kirik Beyaz Laleler (Off-White Tulips) (2013), HD, Farbe und Ton, 24 min, Videostill, Courtesy der Künstler

Aktuell stellt sich die Lage etwas anders dar. Im deutschsprachigen Raum sind mittlerweile einige (Junior-)Professuren und Positionen im Mittelbau der Kunst- und Kulturwissenschaften mit Wissenschaftler*innen besetzt, deren Arbeit an queeren Ansätzen ausgerichtet ist. Von Ausschlüssen kann anscheinend nicht mehr die Rede sein: Aus der Studierendenschaft wird steigendes Interesse an queeren Themen und Lehrveranstaltungen signalisiert, und Universitäten wie Forschungsförderungen unterstützen Projekte mit queeren Themensetzungen und Problemstellungen. Neben der grundsätzlicheren Frage, ob ein dezidiert gegenhegemonial angelegtes Projekt innerhalb konventioneller Wissensinstitutionen tatsächlich glaubwürdig verfolgt werden kann, scheinen die Zielsetzungen – wie bei allen heterogenen Strömungen – nicht immer klar umrissen zu sein. Geht es tatsächlich in erster Linie um die Etablierung alternativer Zugänge an ebenso nicht-konventionelle Objekte und Phänomene des Kulturellen, oder riskiert der Beitrag zur Sichtbarkeit queerer Positionen unweigerlich ihre Normalisierung, ihre Vereinnahmung durch einen hegemonialen Kanon und damit nicht zuletzt auch ihre Einspeisung in ein kapitalistisches Wertesystem?

Dass es nicht ausreicht, lediglich bislang übersehene oder ausgeschlossene Positionen in den Kanon der Kunstgeschichte respektive Kunstwissenschaften mitaufzunehmen und allein auf eine quantitative Vielfalt und Diversität zu setzen, darauf wiesen bereits Griselda Pollock und Rozsika Parker hin. In einer historisch ganz ähnlichen Situation, einem Punkt, an dem dominante Wissensordnungen grundlegend infrage gestellt und ihre ideologische Legitimation durch feministische Initiativen brüchig wurde, riefen die Autorinnen dazu auf, über die Ebene der Gegenstände hinauszugehen und die den Ausschlüssen zugrunde liegenden epistemologischen Strukturen der Disziplin radikal infrage zu stellen. Das betrifft sowohl ihre Methodiken als auch die Formen der Darstellung selbst, noch mehr jedoch die Frage, inwiefern das Konstrukt ‹Disziplin› überhaupt denk- und praktizierbar ist. Vielleicht noch vor einer vollständigen Aufgabe von Fachgrenzen steht die kritische Auseinandersetzung mit ihren Implikationen. Dass eine Disziplin nicht neutraler Grund, sondern unmittelbar an den herrschenden Wissens- und Wahrheitsproduktionen beteiligt ist, betonte auch Griselda Pollock: «Art history itself is to be understood as a series of representational practices which actively produce definitions of sexual difference and contribute to the present configuration of sexual politics and power relations. […] As an ideological discourse it is composed of procedures and techniques by which a specific representation is manufactured.»[19] Die einst aggressiv geführten Debatten um disziplinäre Grenzen zwischen Kunstgeschichte, Bildwissenschaften und Visual Culture Studies haben sich in den vergangenen Jahren möglicherweise nicht zuletzt generationell bedingt beruhigt. Nicht erübrigt jedoch haben sich die von Pollock gestellten Aufträge an die Wissenschaftler*innen. Im Gegenteil, die bereits damals limitierte Reichweite der von privilegierten weissen, straighten Feministinnen der Mittelschicht getragenen Bewegung muss ebenso entschieden benannt werden wie deren Ausschlüsse konsequent offenzulegen sind. Insofern gilt es weniger, an die historischen feministischen Initiativen anzuschliessen, als von ihnen zu lernen.

Eine queere Kunstgeschichte, um den disziplinären Rahmen provisorisch als Problemfeld abzustecken,[20] steht vor der Herausforderung, Ansätze zu entwickeln, die hegemonialen Strukturen des Diskurses aufzudecken und diesen Strukturen aktiv entgegenzuwirken. Dies bedeutete zudem, Queer nicht allein als Marker für nicht-normative sexuelle Identitäten, Praktiken und Orientierungen zu begreifen, sondern als Instrument, die machtvollen Wirkungsweisen bestehender Normen auf einer breiten gesellschaftlichen Basis intersektional zu analysieren und zu kritisieren. Beschränkten sich die kunsthistorischen Untersuchungen, die in Verbund mit Agenden der Gay and Lesbian Studies ab Ende der 1980er-Jahre vor allem in den USA durchgeführt wurden, zunächst noch überwiegend darauf, Werke auf visuelle Codes homoerotischen Begehrens zu beleuchten, müsste sich eine queere Kunstgeschichte dezidiert als ein produktiver Störfaktur herausbilden, damit Queer in Verbindung mit Kunst nicht als generisches, mainstreamtaugliches und nicht zuletzt vermarktbares Etikett erstarrt.

Abb.4Ankündigung Ambilvalent Work*s Workshop

Der bereits erwähnte Workshop Ambivalent Work*s unternahm einen weiteren Schritt, solche Störungen zu provozieren. Die Beitragenden, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen stellten ein breit gefächertes Spektrum möglicher queerer Auseinandersetzungen mit Kunst und ihren Kontexten zur Diskussion untereinander und mit dem Publikum. Ashkan Sepahvand beispielsweise inszenierte eine Art Meditation über seine Erfahrungen als Kurator einer Ausstellung im Schwules Museum, die eine postkoloniale Auseinandersetzung mit der Sammlung des Hauses initiieren sollte. Trotz der inhaltlichen Ausrichtung der Ausstellung war Sepahvand, so wurde in seiner Präsentation deutlich, während ihrer Organisation immer wieder damit konfrontiert, dass das Museum selbst kaum oder nur bedingt dazu bereit war, seine eigenen institutionellen Setzungen in dieser Hinsicht kritisch zu hinterfragen. Rena Onat hingegen unterzog mittels der Begriffe des ‹Un-Archiving› und des ‹Transhistorischen Dialogs› Aykan Safoglus Videoarbeit Kirik Beyaz Laleler (Off-White Tulips) (2013) einem Close Reading, um aufzuzeigen, wie mit Kunst ein ‹Empowerment› von Queers of Color durch die Bezugnahme auf Protagonist*innen aus früheren Bewegungen sowie den Aktivismus und Widerstand gegen Rassismus und Heterosexismus ermöglicht werden kann. Diyi Tan wiederum machte auf die Probleme aufmerksam, die eine unmittelbare Übertragung des in einem westlichen Entstehungskontext verankerten Begriffkonzepts ‹queer› in andere kulturelle und geopolitische Konstellationen mit sich bringt. Und Renate Lorenz führte unter dem Programm eines ‹Transing Abstraction› mit der Figur des ‹Objekt*› (Objekt Asterisk) eine Unterscheidung zwischen Objekt und Ding ein, um so den Prozess des Werdens (‹Becoming›) als Alternative zu oppositionellen Denkmodellen stark zu machen. Queerness wird so als kreatives Beziehungsgeflecht gedacht, anstatt rein antagonistisch zu operieren.

Im Verlauf der Diskussionen im Rahmen des Workshops wurde klar, dass eine queere Kunstgeschichte die dem Queeren inhärente Dynamik beständig am Laufen halten müsste, um kunsthistorische Methoden gezielt hinsichtlich einer Kritik an hegemonialen Strukturen auszurichten. Sie sollte weder ausschliesslich den Politiken der Sichtbarkeit und Sichtbarmachung verschrieben sein noch sich von einem neoliberalen Strang der Identitätspolitik vereinnahmen lassen. Konkurrierende und mitunter widersprüchliche Ansätze verfolgend, müsste diese Kunstgeschichte sich zum einen in Opposition zu den dominanten Strömungen der etablierten kunsthistorischen Wissensproduktionen stellen und damit zum anderen dem Übergehen marginalisierter Positionen in der Kunstgeschichtsschreibung vorbeugen und entgegenwirken. Neben den Kategorien Geschlecht, Gender und sexuelle Orientierung müssten in diesem Zusammenhang auch andere Faktoren sozialer Ungleichheit und Diskriminierung wie Ableismus oder ethnische und soziale Herkunft berücksichtigt werden. Eine Hauptprämisse sollte dabei jedoch immer bleiben, dass die ästhetischen Evidenzen der Kunstwerke dem theoretischen Referenzrahmen nicht nachgeordnet werden, um zu vermeiden, dass die Kunst zu einem Nebengedanken wird beziehungsweise zu einer Illustration theoretisch motivierter und fundierter Überlegungen verkommt. Eine methodisch reflektierte queere Kunstgeschichte müsste die explizite Beschäftigung mit den Besonderheiten visueller Repräsentation sowie der spezifischen Rezeptions- und Produktionsbedingungen von Kunst stärker konterkarieren, um somit die inhärent ambivalenten Strukturen ästhetischer Artikulation zur Priorität zu machen. Ambivalenz bezeichnet in diesem Sinne nicht Beliebigkeit oder Indifferenz, sie steht vielmehr für die (queere) Potenzialität von unvorhergesehenen, vielfachen Identitäten und Interpretationen.

 

 

[1] Ankündigungstext, zitiert nach https://www.tate.org.uk/whats-on/tate-britain/exhibition/queer-british-art-1861-1967 [Übersetzung DB und SH].
[2] Queer British Art. 1861–1967, Ausst.-Kat., hrsg. von Clare Barlow / Tate Britain, London 2017, S. 11.
[3] Alex Pilcher, «Introduction», in: A queer little history of art, London 2017, S. 11–17, hier S. 13 f. Abgesehen von diesem Band, erschienen in den letzten zehn Jahren einige weitere Überblicksbände zu queerer Kunst, wie etwa der Ausstellungskatalog Art after Stonewall: 1969–1989, Columbus Museum of Art, Ohio 2019; die von Catherine Lord und Richard Meyer herausgegebene Publikation Art & Queer Culture (London: Phaidon, 2019) oder der von Christiane Erharter und anderen herausgegebene Katalog Pink Labor on Golden Streets: Queer Art Practices (Berlin: Sternberg, 2015). Allerdings tragen diese Publikationen nur marginal zu einem differenzierten Verständnis des Begriffes queer in Bezug auf die Kunstgeschichtsschreibung bei. Dieser wird hier zumeist als Überkategorie für Arbeiten benutzt, die entweder von sexuell marginalisierten Künstler*innen produziert wurden oder sexuelles Begehren beziehungsweise sexualisierte Körper jenseits der Heteronorm visualisieren.
[4] Eve Kosofsky Sedgwick, Tendencies, New York 1994, S. 7.
[5] Judith Butler, Bodies that matter, New York 1993, S. 228.
[6] José Esteban Muñoz, Crusing Utopia. The Then and There of Queer Futurity, New York 2009, S. 1.
[7] Vortragende Teilnehmer*innen des Workshops waren Ashkan Sepahvand, Diyi Tan, Rena Onat, David Getsy, Renate Lorenz und Katrin Köppert. Wir danken an dieser Stelle nochmals Nadine Jirka und Sabine Bradel für ihre Unterstützung bei der Vorbereitung des Workshops. Siehe hierzu: https://www.khist.uzh.ch/static/ambivalent-works/.
[8] Siehe hierzu etwa David Getsy, «Introduction//Queer Intolerability and its Attachments», in: Queer [Documents of Contemporary Art], hrsg. von ders., London / Cambridge / Mass. 2016, S. 12–23.
[9] In Resonanz mit dieser aktivistischen Aneignung und Umwertung prägte Teresa de Lauretis den Begriff ‹Queer Theory›, als sie im Februar 1990 an der University of California in Santa Cruz eine Konferenz unter diesem damals durchaus provokativen Titel organisierte. Der Anspruch, Theorie zu ‹queeren›, ging primär damit einher, die heterosexistischen Grundlagen und Annahmen dessen, was in akademischen Kreisen üblicherweise als ‹Theorie› gilt, kritisch zu beleuchten sowie eine Theoretisierung des sexuellen Begehrens jenseits heteronormativer Prämissen zu lancieren. Die Konferenzbeiträge positionierten sich sowohl innerhalb als auch zwischen etablierten Disziplinen und kritischen Methoden. Sie vereinten Ansätze aus der Psychoanalyse, Soziologie, der Geschichtswissenschaft, der feministischen Theorie sowie der Literatur-, Film- und Theaterwissenschaft.
[10] Amelia Jones und Erin Silver (Hg.), Otherwise. Imagining queer feminist art histories, Manchester 2016.
[11] Amelia Jones und David Getsy, «Abstract Bodies and Otherwise: A Conversation with Amelia Jones and David Getsy on Gender and Sexuality in the Writing of Art History», in: CAA Reviews, 16.02.2018, http://www.caareviews.org/reviews/3426#.
[12] Griselda Pollock, «Feminist interventions in the histories of art: an introduction», in: Vision and Difference. Femininity, Feminism and History of Art, hrsg. von dies., New York 1988, S. 1–17, hier S. 7.
[13] Amelia Jones, «Introduction: sexual differences and otherwise», in: Otherwise. Imagining queer feminist art histories, hrsg. von dies. und Erin Silver, Manchester 2016, S. 1–13, hier S. 3.
[14] Amelia Jones und Erin Silver, «Queer feminist art history, an imperfect genealogy», in: Otherwise. Imagining queer feminist art histories, hrsg. von dies. und Erin Silver, Manchester 2016, S. 14–50, hier S. 40.
[15] José Esteban Muñoz, Disidentifications. Queers of Color and the Performance of Politics, Minnesota 1999.
[16] David Getsy, «Ten Queer Theses on Abstraction», in: Queer Abstraction, Ausst.-Kat., hrsg. von Jared Ledesma, Des Moines 2019, S. 65–75, hier S. 71.
[17] David Getsy im Gespräch mit Jennifer Doyle, «Queer Formalisms: Jennifer Doyle and David Getsy in Conversation», in: Art Journal, 72, No. 4, Winter 2013, http://artjournal.collegeart.org/?p=4468.
Tatsächlich stellt sich hier die Frage, ob die Potenziale des Queeren, populäre und hegemoniale Sicht- und Produktionsweisen zu stören, zu destabilisieren und zu unterbrechen, damit ausreichend aktiviert sind oder ob queer auf diese Weise nicht doch subtil in eine neoliberale Verwertungslogik eingespeist wird. Biografische Argumente sind in der Frage nach einem queeren Potenzial nur bedingt belastbar. Dennoch ist unbestritten, dass die Strategie eines ‹reading against the grain› historisch bereits erfolgreich insbesondere von feministischen Filmwissenschaftler*innen wie Linda Williams, Tania Modleski oder E. Ann Kaplan, aber auch von Literatur- und Kunstwissenschaftler*innen wie Pollock, Abigail Solomon-Godeau oder Norma Broude eingesetzt wurde. Differenziertere Ansätze zwischen Aneignung und Ausschluss konnten hingegen Autor*innen wie bell hooks, Chris Straayer oder Manthia Diawara mit dem Konzept der ‹Double Vision› entwerfen.
[18] Johanna Schaffer, Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung, Bielefeld 2008, hier S. 32–42.
[19] Griselda Pollock, «Feminist interventions in the histories of art: an introduction», in: Vision and Difference. Femininity, Feminism and History of Art, hrsg. von dies., New York 1988, S. 11.
[20] Wie Svetlana Alpers bemerkte, wären «[d]isciplinary boundaries, like differences between artistic mediums, […] a subject of investigation, not denial». Siehe: Svetlana Alpers, «Visual Culture Questionnaire», in: October, 77, Sommer 1996, S. 26.