Am 8. November eröffnete die Ausstellung Publishing as an Artistic Toolbox: 1989–2017 in der Kunsthalle Wien. Ähnlich wie andere Ausstellungen, die sich publizistischen Praxen von Künstler_innen widmen, bemüht sie sich zunächst um einen Überblick über das Feld. Sie fragt: «Welche Rolle spielt das Publizieren im Kunstkontext heute? Wie haben sich Künstler/innen das Publizieren als Werkzeug für ihre jeweilige Praxis zu eigen gemacht? Wie hat sich das Bild der publizistischen Tätigkeit von Künstler/innen im Hinblick auf die wachsende Zahl von Messen und buchbezogenen Sammlungen in Museen der zeitgenössischen Kunst gewandelt?»
Publikationen in Ausstellungen zu zeigen ist immer schwierig. Ein Buch offenbart sich weniger schnell als vieles, das in Ausstellungen gezeigt wird. Es muss benutzt werden und entzieht sich in verschiedener Hinsicht der Ausstellungslogik. In der jüngeren Geschichte gab es verschiedene Versuche, diese Logik aufzubrechen. Ein prominentes Beispiel ist die documenta 12, in der die Ausstellung in Kassel in den Raum einer Vielzahl von Publikationen erweitert wurde, und diese wiederum Eingang in die Ausstellung fanden. Die Nutzung des Ausstellungsraums als eine Art Lesezimmer zeugt nicht zuletzt auch von einer veränderten künstlerischen Praxis, die nicht länger nur mehr die Ausstellung als ihr Medium nutzt, sondern sich auch in Publikationen manifestiert. Gleichzeitig öffnen sich die Kunstinstitutionen gegenüber anderen Formaten. Sie werden zu einem diskursiven Ort, einem Ort der Debatte.
Die Wiener Ausstellung macht vieles richtig. Sie verweist auf unterschiedliche Möglichkeiten, wie Büchern in der Kunst begegnet werden kann. Etwa durch die Augen von Künstler_innen – was sie geprägt hat, was sie mögen – oder als thematische Sammlung. Auch eine Auswahl an Zeitschriften seit 1989 wurde in Wien getroffen. Desweiteren finden einige sammelnde, archivierende post-digitale Projekte auf unterschiedliche Weise Eingang in die Ausstellung: Es gibt einen Buchladen, der von Motto Books ausgestattet und von Gregorio Magnani kuratiert wurde. Ausserdem wird die Ausstellung durch Veranstaltungen und künstlerische Eingriffe in die bestehende Arbeitsbibliothek von Franz West erweitert. Es scheint also auch darum zu gehen, die verschiedenen Formen des bisherigen Umgangs mit Büchern in Ausstellungen exemplarisch vorzuführen. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in der Struktur der Ausstellung, die die Logik des Buchs aufnimmt und in insgesamt zehn Kapitel geordnet ist, die der Kurator der Ausstellung, Luca Lo Pinto, mit u.a. Filipa Ramos und Christoph Schifferli erarbeitet hat.
Die Ausstellung macht auch nicht den Fehler, sich beim Thema Publikationen auf die gedruckte Form zu beschränken, sondern bezieht den digitalen Raum mit ein. Ein in der Ausstellung aufgestellter Bildschirm erlaubt den Zugriff auf die Webseite des Post-Digital Publishing Archive. Die Übersetzung der Browsererfahrung auf einen Bildschirm in der Ausstellung ist allerdings unglücklich. Da sind die Beiträge von Triple Canopy und UbuWeb überzeugender, insofern als sie nicht ihre jeweiligen Projektwebseiten in der Ausstellung zeigen, sondern einzelne Beiträge daraus in den Raum bringen, UbuWeb etwa mit einer Sammlung von Videos.
Je länger ich in der Ausstellung bin, desto stärker bekomme ich den Eindruck, zwischen Ausstellung und Buch gäbe es einen unüberbrückbaren Graben. Das Display verstärkt dieses Gefühl noch. Die Bücher werden auf drei Elementen aus Dachziegeln präsentiert, die sich über die Länge des Ausstellungsraums strecken und an ländliche Hausdächer erinnern. Gesponsert von einem lokalen Hersteller, kontrastieren die hochglänzenden Ziegel mit den darauf platzierten Buchumschlägen. Ein Verweis auf den privaten Raum, in dem Bücher üblicherweise gelesen werden? Man erkennt das Bemühen, mal nicht das langweilige, an Informations- und Dokumentationsästhetik erinnernde, Display zu wählen. Dafür erinnert die Ausstellung jetzt an Präsentationen wie Die Schönsten Bücher. Die Publikationen werden auf ihre formalen Eigenschaften reduziert, ohne Rücksicht auf ihre Inhalte und Kontexte.
Im Booklet lese ich, dass sich die Ausstellung als verräumlichter Index begreift. Sie erfasst ein Feld und bildet einen Kanon von Publikationsprojekten ab. Gleichzeitig ist sie eine Ressource, eine Dienstleistung. Tatsächlich wird den Besucher_innen mit den zwei umfangreichen und aufwändig produzierten Handouts, dem Booklet und dem Journal, in denen alle Nachweise nachzulesen sind, ein Instrument in die Hand gegeben, das anzeigt, was man noch einmal in der Zukunft anschauen oder kaufen sollte. Der Kurator spricht davon, dass die Bücher anderswo angeschaut werden sollen, in der Ruhe des trauten Heims. Allerdings – und darauf weist die Ausstellung selber hin, indem sie eine Vielzahl an Publikationen unter Plexiglas zeigt – sind einige der Publikation Sammler_innenobjekte und damit teuer oder rar und kaum in einer öffentlichen Bibliothek ausleihbar.
Wenn publizistische Praxen indexiert werden, wird auch der soziale Raum der Publikationen abgeschnitten. Ein Index ist kein Format, das die Publikationen in ihrem Wirkungsfeld zeigt. Publikationen schaffen eine Öffentlichkeit; in der Ausstellung ist davon nicht viel zu erfahren. Publizieren als künstlerische Praxis hat immer auch politische und soziale Aspekte. Publizieren bedeutet das Herstellen einer Öffentlichkeit, das Schaffen eines Kontextes, eines Diskussionszusammenhangs. Die Öffentlichkeit, wie sie beispielsweise in den ausgestellten Zeitschriften geschaffen wird, ist weitgehend selbstbestimmt, die Distribution, die Produktion wird von den Produzent_innen mitgestaltet. Anders bei Ausstellungen wie dieser, die in einer etablierten Institution stattfinden; hier sind die Möglichkeiten, an den Rahmenbedingungen und entsprechend an der zu schaffenden Öffentlichkeit mitzuarbeiten, limitiert.
«Der White Cube ist möglicherweise nicht der ideale Ort für eine Begegnung mit Büchern, die im Gegensatz zur kollektiven Rezeption von Filmen oder Musik eine weitgehend individuelle Angelegenheit bleibt. Ziel des Projektes ist es nicht, den White Cube in eine Bibliothek oder in einen Leseraum zu verwandeln, sondern vielmehr den Besucher/innen ein Verzeichnis zu liefern, anhand dessen sie jenseits des institutionellen Raumes die gezeigten Materialien erkunden können.» So ist im Begleitheft zu lesen. Damit begegnet der Kurator dem Graben zwischen Ausstellung und Buch insofern, als er gar nicht erst versucht, einen sozialen Raum herzustellen. Das ist erstaunlich, insbesondere als Luca Lo Pinto ebenfalls Teil der publizistischen Szene ist, die die Ausstellung indexiert. Er ist Herausgeber des Magazins und Verlags Nero.
Während viele der hier ausgestellten Publikationen Teil des Bemühens sind, den Rahmen von Ausstellungen zu erweitern, nimmt Publishing as an Artistic Toolbox: 1989–2017 eine gegenläufige Bewegung vor. Sie ist Zeichen einer Eingemeindung: Sie streckt sich aus, um die ihr entwischenden Praxen wieder einzubinden.
Dass es auch anders geht, zeigen etwa Arbeiten der Künstler_innengruppe Bik Van der Pol, die in den 1990er Jahren in Buchhandlungen und Bibliotheken in verschiedenen Museen eingerichtet haben. In Capsule Hotels for Information, Dreams, Brilliant Thoughts and Other Things (1999) konnten sich die Besucher_innen in an japanische Hotels angelehnte Kapseln zurückziehen und liegend Bücher aus der Sammlung der Künstler_innen, des Rooseums und der städtischen Bibliothek von Malmö lesen. Die Bücher wurden nicht in die Logik einer Ausstellung gezwängt, sondern zum Ausgangspunkt genommen, diese zu befragen. Im Bookshop Piece wiederum haben Bik Van der Pol 1996 für das Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam die Buchhandlung des Institute for Contemporary Art (ICA) nachgebaut, und die Bücher aus derem Bestand konnten erworben werden. Eine Dienstleistung mit grossem Wert, gab es doch zu diesem Zeitpunkt keine auf Kunst spezialisierte Buchhandlung in den Niederlanden. Die Bücher des Buchladens in der Wiener Ausstellung sind dagegen dort nicht exklusiv zu beziehen, sondern können, anders als in den 1990er Jahren, auch bequem online bestellt werden. Interessant gewesen wäre es, wenn hier eine Reihe rarer Magazine verkauft werden würde, gerne auch Nachdrucke, Faksimile. Solche wurden teilweise auch für die Ausstellung angefertigt. Warum nicht diese in Umlauf bringen?
Die Beispiele von Bik Van der Pol zeigen die Qualität von Räumen auf, in denen Bücher zu finden und zu lesen sind. Bibliotheken, Lesezimmer und Buchhandlungen schaffen einen sozialen Raum. Nimmt man den Büchern diesen Raum, bleib nicht mehr viel von ihnen übrig. Wenn es darum gehen soll zu verstehen, was eine künstlerische publizistische Praxis ausmacht, hätte sich das Format einer Messe angeboten. Die Herstellung eines sozialen Moments, in dem die Produzent_innen nicht von ihren Publikationsprojekten getrennt werden, sondern sich selber auch aktiv an der Einordnung, Historisierung und Kontextualisierung ihrer Praxis beteiligen können.
Publishing as an Artistic Toolbox: 1989–2017
Kunsthalle Wien
8.11.2017–28.1.2018
Kunsthalle Wien, Publishing as an Artistic Toolbox: 1989–2017, Booklet, 2017
Kunsthalle Wien, Publishing as an Artistic Toolbox: 1989–2017, Journal, 2017