Cathrin Mayer
Ich habe gerade nochmal THE 8 AND THE FIST angefangen zu lesen. Die Figuren in T8ATF treffen sich in einem Szenario danach. Nach was genau, ist nicht klar, und was darauf folgt, auch nicht. Aber das ist eigentlich auch nicht wichtig, es geht um ein neues Kapitel.
Barbara Kapusta
Ich beschreibe einen Zeitpunkt nach dem Zusammenbruch eines Systems, der unserer Zukunft entspricht, und unserer Vergangenheit, in dem Grenzen immer wieder aufs Neue errichtet wurden, Raubbau an menschlich-tierischen, pflanzlichen und mineralischen Ressourcen betrieben wurde. Das Danach ergibt sich aus dem realen Umfeld, der realen politischen Situation und den Entwicklungen, die wir gerade miterleben.
C. M.
Das Szenario ist aber keines, das unmittelbar an unsere Lebensspanne anschliesst, finde ich. Die Apokalypse ist passiert, und jetzt versuchen die Figuren – 8, O, (, Fist – sich zusammenzufinden und selbstständig zu machen.
B. K.
Genau. Sie sind wirklich eigentlich zufällig am selben Ort. The Fist, the 8, the O und all die anderen… Sie sind alle Betroffene und übrig gebliebene Körper. Sie haben keine Rückzugsorte mehr und keine Verstecke.
C. M.
… und sind auf der Suche nach Kompliz_innen.
B. K.
Sie erinnern sich an Zerfall, an Körper in Not. Und sie erinnern sich an das Verschwinden der Solidarität und der Empathie. Sie müssen sich erklären, ihre Haltungen und ihre Verantwortlichkeit, wenn sie miteinander ein Gespräch beginnen wollen.
Das klingt jetzt recht anstrengend. Aber gleichzeitig gibt es sehr viel Nähe und Sanftheit, Liebenswürdigkeit.Es schwingt eine Vorstellung von Nonlinearität mit, von Gleichzeitigkeit und den Möglichkeiten, die Beziehungen der Körper anders zu verstehen. Die Basis dafür sind ihre unterschiedlichen Körper, Oberflächen und Materialien, und ihre Klänge und sukzessive Stimmen.
Speech Sounds – Octavia E. Butler
C. M.
Einige der Objekte bzw. «Charaktere», die du gerade in einem neuen Film weiter entwickelst, sind schon vorher in deinen Arbeiten aufgetaucht. In der Performance Companions Forms, die du im Februar 2017 im Forum Stadtpark in Graz und danach im März am KW Berlin gezeigt hast, haben sich Formen getroffen, die sich auf ältere Arbeiten beziehen. Ringe und Ketten aus vernickeltem oder geschwärztem Metall, Kammern aus weißem Porzellan, schwarz pigmentierte Porzellan-Achter, Vinylbuchstaben und Seide – O und 8, Fist und ().
B. K.
Ja, die Figuren sind Dinge, die schon einmal aufgetaucht sind und die ich zusammentreffen lassen wollte.
Ich habe begonnen, sie «Creatures» oder «Companions» zu nennen, auch ausgehend vom Begriff der «Companion Species» und Donna Haraways Buch «When Species Meet».
C. M.
Diese Companions spielen miteinander, kommunizieren, und streiten aber auch.
B. K.
Ja, es ist mir wichtig, nicht zu sanft und gemütlich zu werden in der Sprache und in den Formen. Es bleibt eben ein Kampf. Immer wieder trennen sich Wege, die zuerst wunderbar verknüpft erschienen sind. Schneller als ich denken kann, werden aus Verbündeten Feind_innen oder Konkurent_innen. Wie damit umgehen?
Es gibt das Versöhnliche und Zärtliche wie zwischen uns jetzt, aber darin eine Normalität zu sehen und zu ersehnen ist vielleicht ein Fehler. Das permanente anstrengende Verhandeln der Beziehungen und das Zerstören der Hierarchien ist doch der viel interessantere und wichtigere Ort hinzudenken. Die Sprache muss für mich dann doch brutal und zärtlich zugleich sein.
Ich liege auf der Couch, auf mir mein Katercompanion, und lese Hannah Blacks und Juliana Huxtables Buch «Life» und tippe am Telefon in unser Dokument.
C. M.
Ich versuche dein Buch jetzt überall mitzunehmen, wo ich hingehe, denn dann wird es zu meiner Companion Species, und ich mache Fotos für den Text. :)
C. M.
Mir gefällt ja der letzte Satz aus THE 8 AND THE FIST unglaublich gut: «‹There is no state of satisfaction and we are not here reconcile› they say. Staying with trouble». Ich glaube, dass dieser Satz sehr wichtig ist. Im Text funktioniert er wie eine abschliessende Deklaration. Ich hab mir das so überlegt: Wenn the 8, the fist, the mold, the body part, the O nur eine Phrase hätten, dann wären es diese. Ich würde sogar fast sagen, dass diese Zeilen wie ein Mantra funktionieren, also ich würde sie gerne zu meinem eigenen Mantra machen. Sie beschreiben ein Kollektiv und gehen nicht von einem einzelnen Subjekt aus. Ein Kollektiv in einem aufgeklärten Zustand der Unversöhnlichkeit und Mut. Wie siehst du das?
Tentacular Thinking: Anthropocene, Capitalocene, Chthulucene – Donna Haraway
B. K.
Ja, die Figuren müssen sich das immer wieder sagen. Die Figuren sind zwar keine Symbole für etwas Konkretes außerhalb des Textes, keine Analogien, aber wenn ich von «ihrer» Verantwortlichkeit und «ihren» Haltungen spreche, dann denke ich sukzessive auch an «meine», «unsere».
Der Satz ist auch ein ganz gut erkennbares Donna-Haraway-Zitat. Mir gefällt die Idee gut, dass man das Mutig-Sein üben kann, miteinander. Und dass es wichtig ist, sich nicht von Ärger oder von Mühe abschrecken zu lassen. Dafür steht ja oft das Geschriebene, oder ich will das auch von meinem Geschriebenen. Man blättert eine Seite noch einmal auf und erinnert sich, vergewissert sich: Mut!
C. M.
Wenn du an die 8, the Fist, the mold, the body part, the O and all the others denkst, identifizierst du dich intuitiv mit einem dieser Elemente?
B. K.
Nein, aber zugegeben sind die Vorlagen für die Emotionen und physikalischen Bewegungen der Objekte oft Körper. Ich denke zwar nicht an konkrete Personen, aber da ich ja auch von meinen Erfahrungen ausgehe, wenn ich andere beschreibe, spreche ich oft von vertrauten Körpern oder meinem eigenen.
Es ist eine schöne Überlegung, die Bewegung und Regungen deines Körpers zum Ausgangspunkt für eines meiner belebten Objekte zu machen.
Ich denke auch an Empathie und Solidarität, die Fähigkeit, sich in andere hineinversetzen zu können. In Körper mit anderen Bedürfnissen als dem eigenen, und wie sich so eine Fähigkeit wie Empathie üben lässt. Oder auch, wie sich mit Streit, Konkurrenz und Verletzung umgehen lässt. Es geht ja nicht nur um unversehrte Körper, das stimmt ja nicht. Was ist mit den Körpern, die sich reiben, verletzen, verletzt wurden? Und wie kann man Körper als multipel denken, etwas sich Veränderndes, Kollektives?
C. M.
Es gibt in deiner Arbeit ein Schwingen zwischen Zuständen: Zusammensein und Zerwürfnis, brutale und einfühlsame Gesten wechseln sich ab. Körper verbünden sich, und werden dann von grösseren Kräften kaputt gemacht. Es geht um eine Form von Gemeinschaft, dann zerfällt sie wieder. Du meintest einmal in einem unserer Gespräche, es gebe eine Schwebe von Uneindeutigkeit, ob ein Akt positiv oder negativ besetzt ist. Das finde ich bezeichnend für unsere spätkapitalistischen Zustände, wo man nicht immer deuten kann, ob etwas ideologisch oder materiell gut oder schlecht ist.
B. K.
Ja, es gibt ein Hin und Her zwischen einem positiven und einem negativen Szenario, ein Schwingen zwischen Sanftheit und Brutalität. Im Text und auch in den Objekten und ihrer Interaktion.
Die Faust taucht in THE 8 AND THE FIST als etwas auf, das zugleich Zeichen von Protest, Schutz als auch Angriff ist. Sie ist Symbol und reales Körperteil, brutal und herausfordernd zugleich. Sie droht oder schlägt und die Lust die sie erzeugen kann liegt nahe am Schmerz. Die Stimmungen der Figuren können schnell kippen, in die eine oder andere Richtung.
C. M.
Kommt der Impuls, sich mit dem Dazwischen zu beschäftigen, aus deiner künstlerischen Arbeit selbst? Ist THE 8 AND THE FIST symbolisch für dein momentanes Arbeiten? Ich denke auch daran, dass du dich gerade auch in einem Zustand der Neuorientierung befindest … Arbeit etc. … Ich dachte, eventuell ist es ein Spiegel deines Mindsets?
B. K.
In THE 8 AND THE FIST sind ja alle Institutionen längst zusammengebrochen, und es bleibt die Frage, was tun? Tappen die Figuren in die Falle, die Strukturen zu reproduzieren, die sie kennen gelernt haben? Was sind die Alternativen? Interessant, dass du nach Analogien zu meiner Arbeit fragst.
Ich unterrichte schon länger an der Akademie in Wien – meine Inhalte sind Sprache und Poesie, feministische Theorie und bewegtes Bild. Ich mag diese Art des Arbeitens sehr gerne, mit Student_innen, in Gruppen. Gemeinsam zu arbeiten, Texte zu lesen und Kunst zu kucken macht so viel Sinn. Gleichzeitig frage ich mich manchmal, ob ich meinen Platz tauschen wollen würde, oder nach welcher Form des Austausches ich suche.
Wir beide lesen ja auch gerade gemeinsam Texte, tatsächlich gemeinsam, weil wir jede für uns THE 8 AND THE FIST in der Hand halten, oder Ana Swirs Gedichte online lesen. Und das Lesen ist ja auch eine aktive Analysearbeit, die wir gemeinsam betreiben, wenn wir miteinander über Poesie und Theorie sprechen und uns gegenseitig Dinge erklären.
C. M.
Ich kenne Stress um institutionelle Hierarchien gut. Meine Arbeit am KW unterscheidet sich von dem, was du gerade erwähnt hast, mir geht es um die Frage, wie ich als Kuratorin mit Künstler_innen arbeite. Ich male mir immer wieder aus wie und ob es möglich wäre, wirklich kollektiv zu arbeiten, also eine Praxis zu entwickeln, die Personen in und um die Institution viel stärker in kreative Prozesse mit einbezieht, oder in der Rollen getauscht werden können, in der aber auch Konfrontationen gelebt werden können, in der man sich in der Gruppe positionieren und sich zu Anderen verhalten muss. Denn ich glaube, dass es genau das braucht, was du weiter oben beschreibst: «Sie müssen sich erklären, ihre Haltungen und ihre Verantwortlichkeiten, wenn sie miteinander ein Gespräch beginnen wollen.»
B. K.
Karen Barad spricht von «Entanglement», also der Verwicklung oder Verstrickung von Lebewesen beziehungsweise von Materie und Bedeutung, und der Verantwortung, die sich daraus ergibt. Sie sagt, und das finde ich sehr schön, dass Existenz keine vereinzelte individuelle Angelegenheit ist.
C. M.
Wir skypen gerade und besprechen den Text und den Titel, gleichzeitig springt der Kater Polen ins Bild, alles passiert auf einmal: Ich schreibe, du sprichst, ich tippe, du spielst.
C. M.
Wenn ich über THE 8 AND THE FIST nachdenke und den Chthulucene-Artikel von Donna Haraway, fällt mir gleich Animismus ein, als eine Art religiöses Pendant einer unhierarchisierten Vorstellung von Natur. Ich selber glaube an eine Art kosmische Einheit – das klingt jetzt sehr spirituell, aber ich glaube daran, dass der Mechanismus der Erde so angelegt ist, dass alles, was diesen ausmacht, miteinander verbunden ist und sich bedingt. Wie siehst du das?
B. K.
Ich habe eigentlich keinen so spirituellen Bezug zur Welt und den Dingen. Aber ich denke auch, dass mich das Zusammenleben mit dem Kater Polen verändert und geformt hat. Unsere Leben hängen doch schon dadurch zusammen, dass wir spielen, ich seine Essenslieferantin bin oder er auf meinem Bauch schnurrt, während ich lese, oder vor mir rumturnt, wenn ich schreibe oder mit dir skype.
Ich mag den Artikel und Animismus als Debatte deshalb, weil sie mit Paradigmen brechen: Feminismus, Animismus, feministische Techno-wissenschaft, Science Fiction, all das fordert die Kontinuität von Geschichte, des Anthropozentrismus und der Heteronormativität heraus. Es schafft neue Räume, in denen wir Beziehungen denken können.