Die künstlerische Moderne ist durch eine Art Zuspitzung gekennzeichnet: Zahlreichen Künstler/innen stellten sich im Laufe des 20. Jahrhunderts nicht nur ihre gängigen Arbeitsweisen und Denkmodelle als fragwürdig dar, sondern auch der Kontext ihrer Arbeit, den sie als Zeitgenossen schon seit jeher mitprägten. Als Resultate dieser Krise entstanden sowohl formale wie gesellschaftspolitische Grenzüberschreitungen mit dem expliziten Ziel, (künstlerische) Wirklichkeiten zu verändern. Mit dem Kunsttheoretiker Arthur C. Danto könnte man rückblickend von einer philosophisch-kritischen Aufladung der bildenden Kunst sprechen.[1] Diese Umbruchzeit entfaltete sich ungefähr zwischen dem Auftreten der italienischen Futuristen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und den sozial engagierten bzw. informierten Kunstprojekten der 70er Jahre. Nicht mehr Atelier oder Ausstellungsraum, sondern die soziokulturelle Gegenwart wurde damals zum Ort künstlerischer Interventionen erklärt. Das Gegebene wurde kritisch befragt, um einen Fortschritt zu neuen Zuständen künstlerischer und soziokultureller (Selbst-)Behauptungen zu ermöglichen. Künstler/innen wandelten sich unter dieser Prämisse zu Philosoph/innen, zu kritisch analysierenden und intervenierenden Zeitgenoss/innen. Sie begannen nicht nur ihr Tun zu hinterfragen, sondern auch ihre gesellschaftliche Rolle und Position, um, wie etwa Wassily Kandinsky deklarierte, die Mauer zwischen materiellem und geistigem Leben, zwischen Kunst und Alltags-Realität einzureissen.[2] Durch diese diskursive bzw. kritische Positionierung wurde spannenderweise erst die Profession Kurator/in (in ihrer heutigen Form) und damit der zeitgenössische Ausstellungsbetrieb möglich.
Obwohl in den vergangenen Jahrzehnten gegenläufige künstlerische Positionierungen entstanden, ist der in der Moderne ausformulierte Anspruch ein dominantes Modell für künstlerische Tätigkeiten geblieben. Dieses Erbe der Moderne wird heutzutage jedoch wiederholt in Frage gestellt, wie im Folgenden mit Hilfe unterschiedlicher theoretischer Adaptionen des Begriffs «Index» aufgezeigt wird.
Die basale Bedeutung dieses Begriffs erläutert der berühmte Text Notes on the Index der Kunsthistorikerin Rosalind Krauss. Wie Kraus schreibt, etablieren «indexes [….] their meaning along the axis of a physical relationship to their referents.» Und weiter: «Into the category of the index, we would place physical traces (like footprints).»[3] Der Begriff des Index wird also benutzt, um Spuren eines irgend-gearteten Handelns oder Agierens zu beschreiben.
Künstler-Kuratoren
Im Sommer 2016 fand mit der Manifesta 11 der grösste je in Zürich lancierte Kunstevent statt. Die Biennale wurde mit der Ansage beworben, mit Christian Jankowski würde erstmals eine einzelne Künstlerpersönlichkeit eine Manifesta (und damit einen Event von einer gewissen Grössenordnung) ausrichten.[4] Dies erstaunt insofern, als dass es aus kunsthistorischer Perspektive heute wenig innovativ ist, KünstlerInnen Ausstellungen kuratieren zu lassen. Woran liegt es also, dass schon im Vorlauf der Manifesta 11 der Künstler-Profession des Kuratoren Christian Jankowski so prominent Raum geboten wurde?[5] Diese Frage hat einen äusserst komplexen Hintergrund, dem ich mich unter Rückgriff auf eine aktuelle Adaption des Index-Begriffs, auf das derzeit prominent diskutierte Konzept des (Power-)Indexings zuwende. Das Konzept des Indexings wurde von dem amerikanischen Politologen W. Lance Bennett etabliert. Es dient als Erklärungsmodell für die Beobachtung, dass die Medien seit den 1990er Jahren immer nachdrücklicher dazu neigen, die Spannweite der Meinungen und Argumente in offiziellen politischen Debatten zu nivellieren, um schlussendlich die Positionen des Establishments abzubilden (diese zu indexieren).[6] Der journalistische Hintergedanke dabei ist, «jenen Akteuren den meisten Platz einzuräumen, die den mutmasslich grössten Einfluss auf das künftige Geschehen haben – die anderen erscheinen den Berichterstattern offenbar irrelevant».[7]
Aktuell wird der Indexing-Begriff auch speziell im Kontext populistischer Medienschelten und Interventionen rechtsextremer Akteure, wie der sächsischen PEGIDA oder des amerikanischen Medienkonglomerats Breitbart News, diskutiert. Indexing-Strategien sind jedoch nicht nur für den Journalismus zentral, sondern drehen sich um die gewichtige Frage: Wer wird in der Öffentlichkeit wie und weshalb repräsentiert? Führt man sich vor diesem Hintergrund vor Augen, welche Kriterien auf der offiziellen Webpage der Manifesta 11 für die Wahl Zürichs genannt werden, wird deutlich, dass (Power-)Indexing-Konzepte keineswegs nur in der zeitgenössischen Medienlandschaft angewendet werden. Ich zitiere die offizielle Erklärung der Manifesta 11, wie es zur Wahl Zürichs als Standort der Manifesta 11 kam: «Die Direktorin der Manifesta Stiftung, Hedwig Fijen, wählt dabei diejenige Stadt aus, die insofern am besten zur strategischen Vision von Manifesta passt, als sie einen bestimmten Wandel oder auch den gegenwärtigen Stand der Dinge in Bezug auf den Umgang mit Klimawandel und Migration verkörpert.»[8] Klimawandel und Migration sind die aktuellen Reizthemen des europäischen Polit-Establishments (sowie der Rechtspopulisten). Hedwig Fijen kennzeichnet in diesem Statement ihre Ambition, ebendiese Themen in Manifesta-Biennalen indexieren zu können. Dies ist insofern eine naheliegende Strategie, als dass es sich beim europäischen Polit-Establishment um die anvisierten Geldgeber/innen bzw. Gastgeber/innen zukünftiger Manifesta-Biennalen handelt. Nun sind Politker/innen selten Kunstspezialist/innen. Zudem waren Zürich und die Schweiz in den Jahren 2015 und 2016 eher Nebenschauplätze, wenn es um Schlagwörter wie Klimawandel und Migration geht – zumindest, wenn man von der Manifesta 11 komplett umgangene komplexe Themen, wie die Rolle der Schweiz im weltweiten Rohstoffhandel und bei der Arbeitsmigration, ausspart. Es ist dementsprechend fragwürdig, warum die Manifesta mit beschriebenem Suchraster überhaupt nach Zürich kam.
Konzeptdiskussionen
Im Rückblick liess der in Zürich kontrovers aufgenommene Titel What People Do for Money zwar hoffen, dass die Manifesta 11 eine kritische Herangehensweise an den Tag legen würde. Dieser Titel schürte die Erwartung, dass in der elften Manifesta-Ausgabe versucht werden würde, die Machtstrukturen des Kunstmarkts sowie die Strukturen des globalen Wirtschaftens kritisch und informiert zu befragen. Dass dem nicht so war, wurde jedoch bereits im Vorfeld klar. So wunderte man sich beispielsweise Mitte 2015, dass Christian Jankowski bei einer öffentlichen Präsentation an der Zürcher Hochschule der Künste Kunststudent/innen aufforderte, sich unbezahlt für seine Manifesta zu engagieren. Dass da tatsächlich einer gekommen war, um danach zu fragen, was die Menschen in einer (teuren) Finanzkapitale für Geld zu tun bereit wären, und im gleichen Atemzug prekär lebende Kulturschaffende aufforderte, umsonst für ihn zu arbeiten, wies schon ein Jahr vor der Eröffnung der Manifesta 11 auf schwerwiegende Defizite hin. Die Hintergründe der sich hier andeutenden Probleme liegen, wie ich behaupten will, in aktuellen ökonomisch-strukturellen Entwicklungen des Kunstbetriebs begründet.
Es kann auch die Strategie, die Kuratorenstellen der Manifesta mit Künstler/innen zu besetzen, unter Indexing-Gesichtspunkten analysiert werden. Hedwig Fijen zielt mit solchen Besetzungen (schon die Manifesta Editionen 7 und 8 wurden teilweise bzw. hauptsächlich von Künstler/innen kuratiert) darauf ab, Künstler/innen als zentrale Akteur/innen des Kunstbetriebs zu bestätigen und so eine Relevanz für die Manifesta selbst (gleichsam als Grassroot-Biennale) abzuleiten. Fijen indexiert also die bedeutende, oftmals marginalisierte Position von Künstler/innen im Kunstbetrieb, um diese mutmasslich einflussreichen Akteurinnen als Beleg für die Relevanz der Manifesta ins Feld führen zu können. Hierbei ist es wichtig zu verstehen, dass es für Indexing-Strategien zweitrangig ist, ob qualitativ hochwertige Arbeit abgeliefert wird. Zentral ist vielmehr, sich gut zu positionieren: Wirklich niemand kann etwas gegen Forderungen nach mehr Relevanz von Künstler/innen im Kunstbetrieb sagen. Komplexe Fragen nach Qualifikation, Konzepten, nach der Relevanz (individueller) künstlerischer Werkzeuge für soziokulturelle Analysen und Fragestellungen, nach der Wichtigkeit von Themen wie Klimawandel und Migration für Städte wie Zürich werden durch Indexing-Strategien aber eher in den Hintergrund verdrängt. Indexing-Strategien sind gute Werkzeuge, um konzeptuelle Oberflächlichkeiten zu verdecken, indem man vermeintlich einflussreiche Akteure in den Vordergrund rückt.
Ruft man sich in diesem Zusammenhang erneut vor Augen, dass die Manifesta sich mit der Benennung Jankowskis offiziell auf die Fahne schrieb, Künstler/innen zu emanzipieren, ist dessen (Selbst-)Inszenierung als Kurator von zentralem Interesse: So begann Jankowski 2016 explizit, seine künstlerische Positionierung gegenüber seiner Funktion als Kurator zu stärken. Im Januar 2016, also wenige Monate vor der Manifesta 11, eröffnete Christian Jankowski die Ausstellung Retrospektive in der renommierten Berliner Galerie Contemporary Fine Arts.[9] Eine Retrospektive inszeniert den Höhepunkt der Schöpferkraft eines/r Künstler/in. Indem Christian Jankowski in der heissen Vorbereitungsphase der Manifesta 11 für sich selbst eine so betitelte Ausstellung organisierte, verwies er als Künstler-Kurator auf erreichte Glanzpunkte seines künstlerischen Schaffens. Dass er in seinem «Spiel» der professionellen Zuweisungen hierbei eigentlich nur den Künstler Jankowski als valide Position definierte, indem er für seine Retrospektive die (nicht gerade als Kunstspezialistin bekannte) Schauspielerin Nina Hoss als Kuratorin inszenierte, verweist ebenfalls auf Methode. Hedwig Fijens Indexing-Strategie, die darin bestand, die Emanzipation von Künstler/innen öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen, nahm Jankowski also ohne Umschweife für bare Münze.
Verfall von Relevanz – Neue Eliten
Wie kann es sein, dass eine der grössten Biennalen für zeitgenössische Kunst zur Klärung der Frage «Warum Zürich?» unverhohlen massenmedial verhandelte Reizthemen in den Vordergrund rückt, um ihre Relevanz zu unterstreichen? Und wie kann man erklären, dass dieselbe Institution im gleichen Moment zulässt, dass ein Künstler den eigenen Anspruch, europäische Identität im Spiegel künstlerischer (Recherche-) Konzepte zu beleuchten,[10] mit trivialen Selbstinszenierungsstrategien konterkariert? Diese Fragen stehen, wie erwähnt, im Zusammenhang mit Transformationen globaler Rahmenbedingungen: Tatsächlich ist es so, dass die Finanzkrise von 2008 den ehemals noch so enthusiastisch gefeierten Biennale-Boom beendete und damit die nichtkommerzielle Kunstszene massiv unter Druck setzte.[11] Für eine migrierende Biennale wie die Manifesta, die (neben Zuschüssen des holländischen Staates) auf keine fixen Finanzquellen zurückgreifen kann, hat eine solche Transformation doppelt prekäre Auswirkungen. Es sind faktische Zwänge, welche die Manifesta schliesslich nach Zürich und auch zu Christian Jankowski führten. Es ist nämlich ebenso belegbar, dass seit geraumer Zeit dominante Akteure des Kunstbetriebs nicht mehr im Umfeld von Biennalen etabliert werden. Wie etwa der Kunsttheoretiker Wolfgang Ullrich in seinem Buch Siegerkunst herausarbeitet, rücken seit längerer Zeit Sammler/innen immer vehementer ins Zentrum des Kunstbetriebs. Dies hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Ausstellungen produziert werden, und vor allem auch, wo zeitgenössische Kunst gezeigt wird. Von Livestyle-Konzernen gegründete Ausstellungshäuser wie etwa die Pariser Fondation Louis Vuitton oder die Mailänder Dependance der Fondazione Prada bezeugen eine Proliferation von Privatsammlern gegründeten Museen. Was diese Häuser schon namentlich kennzeichnet, ist eine öffentlichkeitswirksame Verknüpfung von Kunst mit Luxusmarken aus der Modeindustrie oder mit diesen Unternehmen verbundenen Sammlerpersönlichkeiten. So ist beispielsweise der Besitzer des Louis Vuitton Mutterkonzerns LVMH, Bernard Jean Étienne Arnault, als solventer Kunstsammler berühmt. Die Fondazione Prada ist weiter nichts anderes als die Sammlung des dem Prada Konzerns vorstehenden Ehepaars Patrizio Bertelli und Miuccia Prada.
Sowohl die Fondation Louis Vuitton wie auch die Prada Sammlung wurden mit Hilfe von viel Geld und renommierten Architekten in der Öffentlichkeit etabliert. So baute Frank Gehry für geschätzte 135 Millionen Euro das Pariser Haus und Rem Koolhaas den wahrscheinlich deutlich billigeren Komplex in Mailand. Wir haben es hier mit einer problematischen Gemengelage zu tun. Denn Ausstellungen in solchen Sammlermuseen sind weniger themenorientiert als traditionellen, öffentlichen Institutionen. Diese Privatmuseen scheinen mehr Wert auf die Gesamtwirkung ihrer Häuser denn auf einzelne künstlerische Positionen zu legen. So wird etwa die Sammlung Bernard Arnaults in der Fondation Louis Vuitton alle sechs Monate thematisch neu arrangiert, um bisher verborgene Facetten der Sammlertätigkeit zu zeigen. Das Mailänder Pendant hat einen deutlich komplexeren Anspruch. So lässt sich das Prada-Paar von zahlreichen Wissenschaftler/innen, Kurator/innen bei ihrer Arbeit inspirieren und bietet Künstler/innen wie Thomas Demand (ein Künstler, der von Miuccia Prada schon seit Jahren gefördert wird) die Chance, eigene kuratorische Visionen zu entwickeln. Obwohl es beispielsweise Demand mit seiner Ausstellung L‘image volée gelang, eine kulturhistorisch dichte Schau zu Tendenzen der zeitgenössischen Kunst zu produzieren, bettet sich auch diese in ein Ensemble ein, dass den Zugang eines Sammlerpaares zur zeitgenössischen Kunst widerspiegelt. Auch wenn einem erweiterten Kreis von Akteuren hier augenscheinlich Raum gelassen wird, Themen fundiert zu entwickeln, spiegelt die Wahl, wer hier aktiv werden kann, im Endeffekt die Obsessionen, Inspirationen und Zugänge des Sammlerpaars. Dieser personalisierte Zugang, diese individuell geprägte Aufmerksamkeitsökonomie ist für zahlreiche Sammlungen sowie Privatmuseen relevant. Mit deren wachsender Dominanz einher geht aber auch eine weitere gravierende Entwicklung, die Wolfgang Ullrich andeutet: Im Umfeld eines durch Sammler/innen und Siegerkünstler/innen wie Jeff Koons und Olafur Eliasson dominierten Kunstbetriebs beobachtet er einen konservativem Backlash, in dem die Fähigkeit zum Entwurf, das Vermögen geniale Ideen zu entwickeln, also vormoderne Künstlerbilder, in deren Zusammenhang die Realisierung von Kunstwerken als zweitrangiger, eher an Werkstätten und Spezialisten auszulagernder Arbeitsprozess angesehen wird, wieder an Dominanz gewinnen.[12] Im Umfeld öffentlichkeitswirksam etablierter Sammlungen beobachtet Ullrich derzeit also ein verstärktes Fokussieren auf Künstlerpersönlichkeiten bzw. auf ‹grosse› Künstlergesten in quasi vormoderner Weise, welche die tatsächliche Ausstellungs- und Kunstproduktion in den Hintergrund drängen. Im Folgenden werde ich diese Beobachtung weiter präzisieren.
Indexing-Kunst
Geradezu perfekt wird ein solches vormodernes Künstlerbild durch den Künstler Christo inszeniert. Beispielsweise sein letztes Grossprojekt The Floating Piers (2016) vereint alle relevanten Charakteristika eines erfolgreichen Siegerkunstwerkes. Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine Pier-Konstruktion, die eine Insel auf dem italienischen Iseo-See für Fussgänger zugänglich machte. Wie auf der Projektwebseite stolz verlautbart wird, wurden für The Floating Piers 100’000 Quadratmeter gelber Stoff mit der Hilfe von 220’000 Polyethylenquadern als begehbarer gelber Pier zum Schwimmen gebracht.[13]
Wir haben es hier also mit einem sowohl finanziell wie auch technisch extrem aufwändigen Projekt zu tun, das in seiner operativen Aufwändigkeit beeindruckt. In dieser kostspieligen Anlage erschöpft sich jedoch auch die Komplexität des Kunstwerkes. Das finale Resultat stellte eine visuell anregende und dadurch touristisch sehr erfolgreiche Intervention in eine Kulturlandschaft dar. Die für technische Bauten eher ungewöhnliche Farbe gelb sowie die geometrischen Formen der Piers verdeutlichen den künstlerischen Anspruch der Intervention bzw. sind als Index einer grossen künstlerischen Entwurfsgeste zu lesen: Technische Präzision verbindet sich mit ‹genialer› Entwurfsarbeit sowie virtuoser Ausführung zu einem öffentlichkeitswirksamen Ensemble. Bei diesem Kunstwerk handelt es sich also primär um eine mächtige künstlerische ‹Willensäusserung›[14], die etwa jener Entscheidung, ein Kunstmuseum zu gründen, in seiner unternehmerischen Waghalsigkeit kaum nachsteht. Es ist offensichtlich, dass ein solches Kunstwerk in Zeiten, in denen Sammler/innen immer dominanter auftreten, Erfolg verspricht.
Bezeichnend für dieses Kunstwerk ist darüber hinaus seine vormodernes Dispositiv. Diese Einordnung kann sprechenderweise durch eine Gegenüberstellung mit Duchamps Readymades belegt werden. Betrachtet man die Anlage dieser klassisch modernen Kunstwerke, wird deutlich, dass Duchamp darauf abzielte, die historisch gewachsene ‹Verbindung› zwischen Künstler/in und Bedeutungsproduktion zu unterwandern.[15] Duchamp entwickelte für seine Readymades ein klares Regelwerk, dass auf im Vornherein definierte Zeitpunkte für Begegnungen mit Objekten fusste.[16] Diese Strategie ermöglichte es ihm, gleichsam seine Kunstwerke von seiner Person zu ‹abstrahieren›. Duchamp transformierte seine Readymades damit in etwas, was primär als Index bzw. als Spur eines für sich selbst stehenden Konzepts (und eben nicht einer künstlerischen Willensäusserung) verstanden werden kann.
Duchamp brachte mit seiner Intervention die Künstler/innen-Position in eine konzeptuelle Schwebe. Modernen Künstler/innen wie Duchamp ist es mithin zu verdanken verdeutlicht zu haben, dass das Programm bzw. die Idee Kunst ein von Künstler/innen entkoppelbares Phänomen ist. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Duchamps Positionierung so gerade Kunsthistoriker/innen und Künstler/innen (also Spezialist/innen) neue Perspektiven eröffnete, jedoch klassischen Rezipient/innen vor den Kopf stiess. Die künstlerische Moderne verfolgte das explizite Ziel, (künstlerische) Wirklichkeiten zu verändern, was beim Rezipienten Kontextwissen voraussetzt, um goutiert werden zu können. Betrachtet man in diesem Zusammenhang hingegen Christos Herangehensweise, fällt auf, dass dieser jene beispielhaft durch Duchamp forcierte Überwindung des klassischen Koordinatensystems von künstlerischer Tätigkeit und Bedeutung rückgängig macht. Jeder Besucher der Floating Piers kann Christos spektakuläre künstlerische Vision nachvollziehen, sich an dessen Fähigkeit ergötzen, die Natur bzw. einen See zur Leinwand seiner Kunst zu machen. Der Index, den Christo damit erzeugt, verweist allein auf ihn als Künstler zurück. Christo macht sein Kunstwerk primär zum Index eines künstlerischen Eingriffs und reaktiviert damit im Grunde die von Lucas Cranach über Raffael bis hin zu Peter Paul Rubens prominent präsente Künstlerwerkstatt. Wir haben es hier mit einem grundlegend reaktionären Verständnis der bildenden Kunst zu tun.
Im Kunstmarkt
Christian Jankowski positionierte sich mit seinem Konzept für die Manifesta 11 auf den ersten Blick gesehen anders. Die Idee, Künstler/innen mit Berufsleuten aus Zürich zusammenzubringen, die Regel, dass alle eingeladenen Künstler/innen völlig unvoreingenommen nach Zürich kommen sollten, um erst zu recherchieren – all dies schien auf eine quasi-duchampsche Konzeptarbeit zu verweisen.
Doch Jankowski war nicht angetreten, sein «Kunstwerk» zu depersonalisieren bzw. eine Ausstellung als für sich stehendes Kunstwerk neu denkbar zu machen. Dies hätte beispielsweise die vertiefende Analyse von Hintergründen, Interventionen in soziokulturelle Machtstrukturen, Kontextanalysen der lokalen Bedingungen und ganz allgemein tiefergehende Fragen zur historischen und aktuellen Positionierungen von Künstler/innen und Kurator/innen (also viel Arbeit und Wissen) bedurft. Im Nachhinein wird deutlich, dass Christian Jankowski im Grunde keine neuen soziokulturellen Bezüge für künstlerische Interventionen auftun wollte. Er wollte augenscheinlich, auch wenn er die Manifesta 11 in Zürich in klassischen Kunstinstitutionen wie dem Migros Museum für Gegenwartskunst, der Kunsthalle und dem Helmhaus inszenierte, sich eher für die beschriebenen privaten Sammlungen appetitlich machen. Dies lässt sich interessanter Weise gerade mit Christian Jankowskis Verweisen auf seine Fähigkeiten als Künstler bzw. die Fähigkeiten von Künstlern belegen (etwa die von ihm neu gegründete «Zunft der Künstler»[17]). Jankowski versprach mit diesen Selbst-Positionierungen, dass eine Biennale, benutzt als «Leinwand» für ein Kunstwerk, einen spektakulären Wow-Effekt erzeugen würde. Dass er damit in einer zu Christo vergleichbaren Selbstinszenierung und Arbeitsweise allein eine gesamte Biennale zum Index seiner künstlerischen Entwurfsarbeit machte, konnte er augenscheinlich nicht überblicken. Dementsprechend behaupte ich, dass der (durch die Manifesta und durch Christian Jankowski) permanent wiederholte Verweis auf die Künstlerprofession des Kurators durchaus einem inhaltlich-konzeptuellen Statement entspricht. Diese Einordnung lässt sich beispielhaft an dem am ausführlichsten diskutierten und beworbenen Kunstwerk der Manifesta 11, Mike Bouchets The Zurich Load (2016), aufzeigen.
Auch diese aus 80 Tonnen Klärschlamm bestehende Arbeit zeichnet sich primär durch in technischer Präzision durchgeführte Entwurfsarbeit aus, die in einem spektakulären Display zugänglich gemacht wurde. Die Frage, was es bedeuten könnte, die Fäkalien der gesamten Zürcher Bevölkerung für eine Ausstellung sichtbar zu machen, wurde hierbei weniger in den Raum gestellt. Auch dieses Kunstwerk ist primär als Index eines künstlerischen Eingriffs zu verstehen. Der Fakt, dass The Zurich Load marketingtechnisch so prominent platziert wurde, zeigt darüber hinaus, dass die Künstler/innen der Manifesta 11 augenscheinlich dann der kuratorischen Vorgabe Christian Jankowskis entsprechend handelten, wenn sie dessen vormoderne Künstlerpositionierung adaptierten.
Der konzeptuelle Kern der Manifesta 11 ist also eine durch Christian Jankowski performativ vollzogene Re-Aktivierung vormoderner Künstlerbilder. Mit dieser Positionierung wurden auf gesellschaftspolitische Fragestellungen fokussierende Konzeptdiskussionen irrelevant, während Jankowski die eigene Person als Kurator ins Zentrum rücken, sowie sich als Teil einer «innovativen Avantgarde» von SiegerkünstlerInnen positionieren konnte. Auch bei Christian Jankowskis Manifesta 11 haben wir es mit einem grundlegend reaktionären Eingriff in den Kunstbetrieb zu tun.
Leere
Künstler/nnen standen schon immer vor der Aufgabe, eine Position entwickeln zu müssen, die anschliessend von den mächtigen Instanzen des Kunstbetriebs (Fürst/innen, Kurator/innen, Galerist/innen und Sammler/innen) erst mit dem Index «wichtig» (oder «unwichtig») versehen wird. Der Versuch diese Machtbezüge zu kippen und Künstler/innen als machtvolle Akteure zu etablieren, deren ‹unterdrückte› Relevanz bzw. deren modernes Rollenverständnis damit zu indexieren, hat also durchaus etwas für sich. Was die Manifesta 11 jedoch zeigte, ist, dass Künstler/innen keinesfalls pauschal als Retter/innen eines von unterschiedlichsten (ökonomischen und politischen) Interessen, Machtansprüchen und auch institutionalisiertem Wissen durchdrungenen Kunstbetriebs eingesetzt werden können.
Dass die Negation moderner Modelle nämlich weder inhaltliche Neuerungen verspricht noch ‹neue› Qualitätsmaßstäbe anbietet, wurde final in den von Christian Jankowski hanebüchen entwickelten Ausstellungsräumen der Manifesta 11 (gefüllt mit durch den Kuratoren angeeigneten Fundstücken, ‹kontextualisierend-historischen› Kunstwerken und Auftragsarbeiten) sichtbar. Was uns der Fall dieser Biennale damit lehrt, ist, dass es ohne kunsthistorisches Wissen doch nicht geht. Diese ‹Künstler-Biennale› verdeutlicht also gut, dass eine kuratorische Positionierung als genial kreativer Geist, dessen Fähigkeit zu ‹bahnbrechenden› Entwürfen, zu den allerhöchsten Weihen des Kunstbetriebs befähigen soll, ohne kunsthistorisches Kontext-Wissen schnell ins Leere bzw. zurück ins 19. Jahrhundert führt.
[1] Vgl. Arthur C. Danto, Das Fortleben der Kunst (München: Fink, 2000).
[2] Vgl. Uwe M. Schneede, Die Zwanziger Jahre, Manifeste und Dokumente deutscher Künstler (Köln: DuMont, 1979), S. 190.
[3] Rosalind Krauss, «Notes on the Index: Seventies Art in America», in: October 3 (1977): 68-81, hier 70.
[4] Vgl. http://m11.manifesta.org/de/m11/warum-zuerich, (17. Januar 2017).
[5] Beispielsweise http://www.nzz.ch/zuerich/zuercher_kultur/kurator-der-manifesta-11-1.18426754, http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/programm-der-manifesta-11-macht-neugierig/story/22401334, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/arbeit-am-mythos-1 (17. Januar 2017)
[6] W. Lance Bennett, «Toward a Theory of Press-State Relations in the United States», in: Journal of Communication 2 (1990): 103–125.
[7] Uwe Krüger, Mainstream: Warum wir den Medien nicht mehr trauen (München: C.H. Beck, 2016). S. 719.
[8] Vgl. http://m11.manifesta.org/de/m11/warum-zuerich (17. Januar 2017)
[9] Vgl. http://www.cfa-berlin.com/exhibitions/retrospektive (17. Januar 2017)
[10] Vgl. http://m11.manifesta.org/de/ueber-uns/geschichte-der-manifesta (17. Januar 2017)
[11] Der Kunsttheoretiker Robert Fleck spricht beispielsweise davon, dass die weltweit 130 Biennalen eine mächtige zweite Kunstszene bildeten, die sich in einem kalten Krieg mit dem Kunstmarkt befände. Vgl. Robert Fleck, Das Kunstsystem im 21. Jahrhundert. Museen, Künstler, Sammler, Galerien (Wien: Passagen Verlag, 2013), 21f.
[12] Vgl. Wolfgang Ullrich, Siegerkunst: Neuer Adel, teure Lust (Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 2016), 101.
[13] Vgl. http://www.thefloatingpiers.com/the-project/ (17. Januar 2017)
[14] Vgl. Wolfgang Ullrich, Siegerkunst: Neuer Adel, teure Lust (Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 2016), 102.
[15] Wie Rosalind Krauss hervorhebt, liegt die Stärke von Duchamps Konzept des Readymades gerade darin, was dieses gleich einem fotografischem Bild apparativ ermöglicht: «a breakdown of the relatedness of the linguistic sign», also einen Zusammenbruch des klassischen Koordinatensystems von künstlerischer Tätigkeit und Bedeutung bzw. dem klassischen Indexieren von durch KünstlerInnen in Kunstwerken eingeprägte «Spuren». Rosalind Kraus, «Notes on the Index: Seventies Art in America», in: October 3 (1977): 68 -81, hier 77.
[16] Marcel Duchamp, «Specifications for Readymades: by planning for a moment to come (on such a day, such a date such a minute), ‹to inscribe a readymade.› -the readymade can later be looked for.» Rosalind Kraus, «Notes on the Index: Seventies Art in America», in: October 3 (1977): 68 -81, hier 77.
[17] Vgl. http://m11.manifesta.org/de/kunst/cabaret-der-kuenstler-zunfthaus-voltaire (17. Januar 2017)