An Unhappy Evening
Der eigensinnige und zugleich vergnügliche Titel der Releaseveranstaltung zur Edition An Unhappy Archive[2] lockte mit einem Augenzwinkern zum ‹unglücklichen› Abend in der Zürcher Galerie Mark Müller. Viele liebevoll durchdachte Details rahmten diesen Anlass, wie etwa die im Innenhof servierten Unhappy Drinks oder die auf Taschentüchern gedruckten Einladungskarten, welche den Abend mit einer grossen lilafarbenen Träne ankündigten. Damit korrespondiert die durchsichtige Schutzhülle der Edition, die vom Schriftzug NO TEARS (eine Arbeit von Dafne Boggeri von 2008/13) gesäumt wird und der sich ebenfalls auf einer Seite der Schallplatte eingeätzt findet.
Während des Abends wurde The Alphabet of Feeling Bad (s.u.) von der Platte abgespielt und funktionierte als Leitfaden, der die verschiedenen Performances zusammenhielt. Zu den jeweiligen Buchstaben des Alphabets präsentierten die Performer_innen ihre Beiträge und intervenierten – einander entgegenlaufend oder sich ergänzend – zum Teil in diejenigen der anderen Mitstreiter_innen. So nahmen die Performances immer wieder unerwartete Wendungen. AKW sang zum Beispiel im Bett liegend eine Ode an ihren nervtötend piepsenden Wecker: «You have no charme, alarm!» Doch liess sie dem Wecker dann liebevolle Anerkennung zukommen: «Did you give up, alarm? Why did you stop, alarm? [...] Don’t let me down, alarm! [...] I know you can do it, alarm! Don’t mind what the people say, alarm. If you don’t do it, you will regret it, aaaaaaalarm!»
Die Edition An Unhappy Archive
Die Edition und die performative Konzertsession resultieren aus einer mehrjährigen Kollaboration von Sabian Baumann und Karin Michalski. Die Edition und die Konzertsession verhandeln die von der Theoretikerin Sara Ahmed formulierte kollektive, queer-feministische, antirassistische Denkfigur der Unhappy Archives und führen sie weiter. Die Edition vereint unterschiedliche mediale Ebenen, von denen jede je andere künstlerische Dimensionen ausspinnt. Sie besteht aus einem Cover, einer Vinylplatte mit der Audiospur von Michalskis Videoarbeit The Alphabet of Feeling Bad sowie einem Transkript davon. Zudem imaginiert sie, als Leporello gestaltet, verschiedene Miniatur-Ausstellungsräume und bietet Ahmeds Text Feminist Killjoys. And Other Wilful Subjects[3] zur Lektüre an. Abbildungen künstlerischer und aktivistischer Arbeiten, Zitate, Bücher, Poster, Zeichnungen und Malereien werden in der Edition zu sehen gegeben – als kritische Stimmen zu gesellschaftlichen Normierungen von Glück.
In der Edition erscheint die Abbildung der Installation von Michalskis Video The Alphabet of Feeling Bad als eine Art Blackbox. Das Video ist ein Dreh- und Angelpunkt von Baumanns und Michalskis ‹unglücklichen Archiven›. Es geht von Ann Cvetkovichs Auseinandersetzung mit der Politisierbarkeit von ‹schlechten› Gefühlen aus,[4] wobei Cvetkovich gleichzeitig auch die Protagonistin des Videos ist. Sie wolle einen kollektiven Denk- und Entdeckungsprozess anstossen, so Cvetkovich in einem Interview. Darin wird ein Punkt deutlich, der aus queer-feministischer Sicht einer der vielleicht wertvollsten Aspekte der Auseinandersetzung ist: Wenn ‹schlechte› Gefühle als sozial hergestellt aufgefasst werden, dann können sie durch taktisches Missverstehen von der eigenen Person entkoppelt werden. Diese Dis-Identifikation bietet an, die ‹schlechten›, sich für gewöhnlich als die eigenen ausgebenden Gefühle zu politisieren. Dabei gehe es weder darum, sich mit ihnen zu identifizieren, noch sie zu vermeiden.[5]
Durch die kollektiv realisierte und fragmentarische Form der vorliegenden Edition, durch ihre Brüche und Faltungen, durch die Hervorhebung des Unvollständigen und Kontingenten, schreibt sich die Edition organisatorisch, inhaltlich und ästhetisch in das von Sara Ahmed geprägte Narrativ der ‹unglücklichen Archive› ein. Ahmeds Text Feminist Killjoys. And Other Wilful Subjects bildet denn auch einen weiteren Brennpunkt der Edition. Ihre prägnant aus queer-feministischer, antirassistischer Sicht formulierte Denkfigur der ‹unglücklichen Archive› ist titelgebend für Baumanns und Michalskis Projekt. Die Titelwahl, die alphabetische Anordnung und die verspielte, collageartige Montage der gesammelten Positionen und Zitate unterstreichen die Kontingenz dieses Archivs. Es sind diese verschiedenen spielerischen Formfindungen, welche die sich künstlerisch, kuratorisch und publizistisch artikulierende Edition zu einem lustvollen Objekt machen.
Tische sind für Ahmeds Entwicklung der Denkfigur der ‹unglücklichen Archive› zentral: «We begin with a table. Around this table, the family gathers, having polite conversations, where only certain things can be brought up. Someone says something you consider problematic. You are becoming tense; it is becoming tense. How hard to tell the difference between what is you and what is it! […] In speaking up or speaking out, you upset the situation. That you have described what was said by another as a problem means you have created a problem. You become the problem you create.»[6] Diese Erfahrung am Familientisch, die vielen Feminist_innen vertraut sein dürfte, verbindet Ahmed mit der Vorstellung von Feminismus als affektivem, aktivistischem Unternehmen. Sie schreibt den Affekten, die auch bei solchen Tischgesprächen wirken oder gar drohen verdrängt zu werden, eine wichtige – auch analytische – Rolle zu. So versteht sie feministischen Aktivismus als riskante Notwendigkeit, solchen Mechanismen entgegenzuwirken, aber auch als Investition und Möglichkeit, überhaupt erst Anspruch auf Existenz zu erheben und als eine Art der Welt-Bezugnahme.[7] Hierbei hebt sie hervor, dass Feminismus kollektiv erfolgen muss und hält fest, dass das Kollektiv aus heterogenen ‹Tischversammlungen› bestehe.[8]
Die Figur der «Feminist Killjoy» – eine Figur, die riskiert des Tisches verwiesen zu werden, weil sie etwas Unangenehmes thematisiert und dabei als ‹Spassverderber_in› zur Ursache des Unangenehmen gemacht wird – sei dann sinnvoll, wenn sie mit feministischer Kritik an Glück verbunden wird.[9] Glück werde oft als Rechtfertigung von sozialen Normen herangezogen. Sowohl die Effekte dieser Rechtfertigung als auch die Sozialität von Unglück werden jedoch kaum reflektiert, was es Feminist_innen erschwert, gesellschaftliche Sichtbarkeit und Gehör zu erreichen. Gerade deshalb solle Unglück und seine Ursachen einer politischen Betrachtungsweise unterzogen werden,[10] weshalb Ahmed auch einfordert, Glück auf seine unglückliche Geschichte hin zu untersuchen. Damit verbunden ist die Forderung, die geschleifte Geschichte sichtbar zu machen, die mit dem Präfix ‹Un› zusammenhängt. Es gehe also darum, ‹Un› nicht einfach als Negation zu lesen, sondern nach mehr zu suchen, um den feministischen ‹Spassverderber_innen› ihre Stimmen zurückzugeben.[11] Dazu gehört zum Beispiel, sich für negative Affekte zu interessieren, weil sie auf einen gesellschaftlich konstruierten Mechanismus aufmerksam machen, über den Ein-, Ausschlüsse und Normen hergestellt sowie Privilegien verteilt werden. Mehrfach beschreibt Ahmed anschaulich wie scharfsichtig den dynamischen gesellschaftlichen Automatismus, der im Namen des Glücks zur Personifikation der Probleme und damit zum Ausschluss konkreter Personen führt. Dieser Automatismus stabilisiert hegemoniale Strukturen auf Kosten derer, die davon betroffen sind, anstatt sich gemeinsam die Mühe zu machen, die institutionalisierten Strukturen und Privilegienverteilung zu problematisieren und auf deren notwendige Revision hinzuarbeiten.[12] Ahmeds Text lässt sich als Appell lesen, als Feminist_innen gemeinsam, unermüdlich, wiederholt und mit Nachdruck die Bezichtigung des Ungehorsams zu akzeptieren und sie für den aktivistischen Kampf zu mobilisieren.[13]
«[W]e gain a greater conceptual and theoretical leverage if we see queerness as something that is not yet here.»[14]
Obschon es die Performer_innen schafften, während An Unhappy Evening einen konzentrierten gemeinsamen Raum zu erzeugen, wäre eine stärkere Involvierung des Publikums in die performativen Beiträge wünschenswert gewesen, um der Frage nach unserer gesellschaftlichen, affektiven Steuerung eine weitergehende Resonanz zu ermöglichen. Unserer Ansicht nach produziert der Anlass denn auch folgende Ambivalenz: Zu erkennen, dass eine_r nicht alleine ist und «Wilful Subjects» sich (zusammen)finden, kann einerseits (selbst)ermächtigend wirken und Energie freisetzen, die für dringende politische Kämpfe verwendet werden kann, anstatt sie gegen sich selbst zu richten.[15] Angesichts aktueller reaktionärer politischer Entwicklungen ist das Zusammenführen und das insistierende Präsentieren dieser Positionen ein wertvolles Engagement, das kaum oft genug wiederholt werden kann und beweist: «There can be joy in killing joy.»[16] Andererseits stellen ‹Unhappy Archives› und ‹Feeling Bad› wichtige Bezugspunkte für eine Szene dar, die sich innerhalb der Kunstszene als kritisch, queer-feministisch, antirassistisch distinguiert. Weil jedoch Kunsträume intersektional vorstrukturierte, exklusive Räume sind, hätten die Kollaborateur_innen beim Nachdenken über die Rahmungen und Bedingtheiten der eigenen Veranstaltung einer kollektiven Selbstkritik mehr Raum zugestehen können, um das Szenenhafte in Ahmeds Sinn etwa wie folgt zu befragen: An welchem Tisch sitzen und welche Ausschlüsse produzieren wir? Das könnte bedeuten mit dem anwesenden Publikum in einen Austausch zu treten, um über mögliche Unbehagen zu sprechen, die im Raum entstehen, die aber vielleicht nicht geäussert werden. Es ginge also darum, verstärkt Modi des Austauschs und der gemeinsamen Reflexion zu (er)finden, um auf eigene blinde Flecken aufmerksam zu werden und der Gefahr zu entgehen, dass Queerness als gefeierter, vermarktbarer Lifestyle wahrgenommen wird.[17] Auch für zukünftige Projekte scheint es uns unerlässlich, solche Effekte weiterhin im Auge zu behalten und immer wieder einen produktiven Umgang damit zu finden. So müsste das kritische Potenzial von Queerness gestärkt werden, um ‹queer› als einen im Grunde unerreichbaren, repräsentations- und gesellschaftskritischen Modus erscheinen zu lassen, wie es José Esteban Muñoz vorschlägt, der im Leporello ebenfalls zitiert wird: «QUEERNESS IS NOT yet here. Queerness is an ideality. Put another way, we are not yet queer. We may never touch queerness, but we can feel it as the warm illumination of a horizon imbued with potentiality.»[18]
Zweifelsohne leisten die performative Konzertsession und die Edition einen wichtigen Beitrag zum Projekt der ‹unglücklichen Archive›. Die Akteur_innen nehmen den (nicht nur) von Ahmed formulierten Appell inhaltlich wie formal auf: «It is crucial that we don’t assume that wilfulness is simply about lonely individuals going against the tide of the social. […] Rather, wilfulness is a collecting together, of those struggling for a different ground for existence».[19] Gemeinsam mit den Ausstellungstätigkeiten schlagen die Edition und die Veranstaltung eine Art Gegengewicht zu konventionellen Ordnungen vor, die von gesellschaftlich-normativen Konzepten vom Glücklichsein geprägt werden. Das Archiv und das kulturelle Gedächtnis, das sich darin konstituiert, wird durch den beigefügten Aspekt ‹unhappy› als eines verstanden, das handelnd angeeignet, umgeschichtet, erweitert werden muss. Ein interessanter Effekt dieses Vorhabens ist, dass durch die Handlungen und Praktiken eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Fortschreibungsmechanismen des Archivs bei den involvierten Rezipient_innen eingefordert wird. Das artikulierte sich zum Beispiel am Releaseabend durch die Performance und ebenfalls in der Aufzeichnung des Abends, die als Download in das ‹Artefakt› Edition Eingang gefunden hat. Die Edition leistet einen wertvollen Beitrag zum Verständnis vom Archiv als einem (im Grunde beweglichen) Dispositiv, das durch Formen medialer Übersetzungen beeinflusst werden kann. An Unhappy Archive wirkt an dessen Umgestaltung mit.
[1] Wir verwenden abweichend von den Stylesheet-Vorgaben der Redaktion den Unterstrich, um sprachlich Raum für eine Geschlechtervielfalt und damit für die politische Notwendigkeit zu markieren, die heteronormative Idee von Geschlecht um eine fliessende zu erweitern – nicht nur auf der Ebene der Sprache. Tatsache ist, dass es mehr als zwei Geschlechter (u.a. trans*, inter) gibt, deren Existenz strukturell und systematisch unsichtbar gemacht wird. Diese Fussnote ist eine Anregung, das Stylesheet von Brand-New-Life dahingehend anzupassen.
[2] Die Edition An Unhappy Archive ist ein hybrides, vielschichtiges Medium. Sie entstand nach zwei gleichnamigen Ausstellungen: Bei Les Complices* (Zürich, 2013) initiiert, nahmen Sabian Baumann und Karin Michalski den Ansatz des An Unhappy Archive im Badischen Kunstverein (Karlsruhe, 2014) wieder auf. Die Edition basiert somit auf einer langjährigen Zusammenarbeit verschiedener Akteur_innen, darunter zum Beispiel mit der Künstlerin und Kuratorin Andrea Thal oder der Theoretikerin und Aktivistin Ann Cvetkovich, die zugleich Protagonistin von Michalskis Videoarbeit The Alphabet of Feeling Bad (2012) ist. Cvetkovich arbeitet an der Theoretisierung von ‹Feeling Bad›, das sie nicht als Ausdruck individuellen Versagens, sondern als kulturell und sozial geprägtes Phänomen zu fassen sucht (vgl. Ann Cvetkovich, «Depression: A Public Feelings Project,» in Chewing the Scenery. 3rd Edition, hrsg. von Andrea Thal (Zürich: Edition Fink, 2011), 71–99). An Unhappy Archive von Sabian Baumann und Karin Michalski erschien im Oktober 2016 bei der Edition Fink. Die von Franziska Koch, Anna Frei (Design der Edition), Kerstin Schroedinger und Alice Cantaluppi konzipierte performative Konzertsession An Unhappy Evening mit den Beiträgen von AKW, Evan Ifekoya, Maya Dunietz, Li Tavor & Moni Schori, welche am 15. Oktober 2016 in der Galerie Mark Müller stattfand, steht unter folgendem Link zum Reinhören bereit: http://oor-rec.ch/listen/ (13.11.2016). Die Releaseveranstaltung war zugleich Finissage von Sabian Baumanns Ausstellung Portraits in der Zürcher Galerie Mark Müller.
[3] Sara Ahmed, «Feminist Killjoys. And Other Wilful Subjects,» in An Unhappy Archive, hrsg. von Sabian Baumann und Karin Michalski (Zürich: Edition Fink, 2016): 1–12.
[4] vgl. Cvetkovich 2011 (a.a.o) oder Renate Lorenz; Karin Michalski, «Feeling Bad. A Conversation With Ann Cvetkovich», 2011, http://www.karinmichalski.de/karinmichalski_flash/karinmichalski_pdf/feelingbad_fanzine.pdf (zuletzt 28.10.2016).
[5] vgl. Lorenz; Michalski 2011.
[6] Ahmed 2016, 2f.
[7] vgl. ebd.
[8] vgl. ebd., 6ff.
[9] vgl. ebd., 4.
[10] vgl. ebd., 5.
[11] vgl. ebd., 4ff.
[12] Zum Beispiel schreibt Ahmed: «It is not just that feelings are ‹in tension›, but that the tension is located somewhere: in being felt by some bodies, it is attributed as caused by another body, who comes to be felt as apart from the group, as getting in the way of its enjoyment and solidarity. The body of colour is attributed as the cause of becoming tense, which is also the loss of a shared atmosphere. As a feminist of colour you do not even have to say anything to cause tension!». (ebd., 6f.)
[13] vgl. z.B. ebd., 8.
[14] José Esteban Muñoz, Cruising Utopia. The Then and There of Queer Futurity, (New York, London: New York University Press, 2009), 22.
[15] vgl. ebd., 4f.
[16] ebd., 11.
[17] Diese Problematik ist nicht neu und stellt nach wie vor dann eine Herausforderung dar, wenn queer eine wichtige und kritische Referenz ist. Sie betrifft also nicht einfach diese Projektanlage, sondern sollte mit ihrer brisanten, unglücklichen Geschichte in Zusammenhang gebracht werden: «Das Whitewashing beginnt mit dem Geburtstag der ‹Queer Community› […]. Bereits im August 1966 revoltierten in San Francisco, wo sich zuvor queere Jugendliche von der Straße in der Selbsthilfeorganisation Vanguard zusammengeschlossen hatten, Schwarze Trans*-Frauen und Sexarbeiter_innen im Compton’s Cafeteria Riot gegen Polizeiwillkür […]. Doch mit den Gay-Pride-Paraden wird heute in den Metropolen der ‹westlichen Welt› alljährlich eines späteren Aufstands in New York City gedacht – oder vielmehr der durch gesettelte Homos von Hinweisen auf Klasse, ‹Rasse› und nicht eindeutig ‹männliches› Geschlecht weitgehend ‹gesäuberten› großen Erzählung dessen, was dort in der Christopher Street im Stadtviertel Greenwich Village Ende Juni 1969 geschehen sein soll.» (Heinz-Jürgen Voß; Salih Alexander Wolter, Queer und (Anti-)Kapitalismus (Stuttgart: Schmetterling, 2013), 28f.
[18] Muñoz 2009, 1.
[19] Ahmed 2016, 9.