Dear ‹Future Love›
Viel beschworenes, viel beheultes ‹Etwas›. Lange Zeit warst Du mir suspekt. Mit all Deiner Nähe, all der aus Dir resultierenden Unfreiheit. Jetzt, in der Mitte meines Lebens, wird mir klar, wie sehr Du vor allem Freiheit brauchst. Um zu überleben. Wie anders dieses Leben wäre - so ganz und gar ohne Dich. Dann Du und mein Kind: Ganz grosses Kino. Als hätte die Welt an Dreidimensionalität, Tiefenschärfe und Plastizität gewonnen. In beide Richtungen. Ohne dass Du dabei weniger rätselhaft geworden wärst. Ab und zu stelle ich mir ausserdem die Frage, ob die Sache mit der Elternschaft - dieser biodynamische, karrierebewusste und bindungsorientierte Perfektionismus in Deinem Namen - Dich nicht auch massgeblich in Gefahren bringt? Insofern dann auch immer wieder grosse Dankbarkeit in mir für die zeitlose, irgendwie in Kryptonit getunkte Variante Deiner selbst, die schon seit Jahrzehnten das Verhältnis zu meinen engsten Freund*innen prägt. Eine Form Deiner, die im Übrigen auch die Zweierbeziehung zum anderen Elternteil meines Kindes schon ziemlich lang am Leben (er)hält. Zwischendurch begegnen mir Artikel über US-amerikanische «Kinderwunsch-Konzerne», über Eltern, die ihr unausgetragenes Embryo nach dem biologischen Geschlecht auswählen. Ich lese und frage mich, wo Du geblieben bist im Kontext solcher Supermarktmentalität? Sinniere, ob Du noch taugst für diese Zeiten? ‹Blinder Fleck›, der Du bist. Im so genannten "Spätkapitalismus". Sitze am Ende also wieder vor denselben Fragen: Wer oder was Du bist? Wie und ob ich Dich zu (er)fassen kriege? Hege die Hoffnung, im Haus der elektronischen Künste in Basel der Beantwortung dieser Fragen ein wenig näher zu kommen.
Dort dann Pinar Yoldas 3D-Animationen: Computergrafische, kreisende Kinderköpfe so genannter ‹Designer-Babys›. Bunte, aus Hochglanzmaterialien hergestellte, von Verdrahtungen umgebene Mr.-Spock-Fantasien. Wie man sich das halt so vorstellt. Und ich denke: Kann man machen, muss man aber nicht.
Dann - Du verzeihst mir die Polemik? - diese ‹Schaut. Ich. Bin. Ein. Mann.›-Arbeit. Eine vom Künstler produzierte ‹Maschine›, gefüttert mit den Biodaten seines Geschlechtsverkehrs. Diesen im Dauerloop zur Aufführung bringend: Vibrierende Gummibänder, plätschernde kleine Wasserfontäne, Leuchtdioden, die mal mehr, mal weniger glühen. - Und ich denke: Kann man machen, sollte man aber nicht. Auch nicht Deinetwegen. Weiter zu Chloé Delarues TAFAA - HIVE. Fortlaufendes Projekt, mit dem Ziel, vor biotechnologisch basierten Gefahren für Reproduktion und Sex zu warnen. Was nur halb gelingt, weil die Beuys-imitative Plakativität dieser raumgreifenden Installation einer weiterführenden Erkenntnis relativ statisch im Wege steht.
Langsam beginne ich mich zu fragen, wo zum Henker Du eigentlich steckst? Als ich von Micha Cárdenas per digitalem Logbuch in ein ziemlich erhellendes Gespräch über ihre bevorstehende Schwangerschaft im Körper einer Trans-Frau - ergo im ehemaligen Körper eines Mannes - verwickelt werde.
An einem kleinen, optisch fast in der Wand der Ausstellungshalle verschwindenden weissen Tisch stehend. Ein Mikroskop, weitere Laborutensilien, sowie ein in den Tisch eingelassener Bildschirm, der die tanzenden Spermafäden dieser wortgewaltigen Frau filmisch wiedergibt. Einer Frau, die Kinder zeugen und haben will, zur körpereigenen Produktion von Sperma deshalb zwei Monate lang auf ihre Hormon-Blocker verzichtet, und dabei nicht nur über das ihren Körper re-kolonialisierende Testosteron resümiert: «the feeling of urgency of reproducing in the face of a world that wants me dead […].» In diesem Moment weiss ich, dass mein Leben ein leichtes ist. Leicht unpolitisch auch. Ich versuche, in der durch die !Mediengruppe Bitnik stringent inszenierten Welt so genannter FemBots zu entspannen - ‹weiblicher› Cyborgs hypernormativer ‹Natur›, dem Datendiebstahl einer weltweit operierenden Dating-Plattform entstammend, basierend auf lukrativen Geschäften mit Dir.
Erinnere mich an diesen parallelen, gut gemachten Hollywood-Streifen, dessen Titel mir gerade entfallen ist, und durchstreife in der Folge leicht paralysiert Zonen gut gemeinten Kunstkitschs. Bis ich abermals auf Micha Cárdenas, eine «Fitness-App für Trans-Gender und andere Gemeinschaften», und in mir auf den altbekannten Reflex einer Kulturwissenschaftlerin stosse: Neoliberal operierende, selbstoptimierende Fitness-Programme für Menschen, die mit ihrem ganzen Dasein der Normierung ihrer (Körper-)Existenzen entgegentreten (müssen)? Echt jetzt?! Und die aus dem Film der Künstler*in und den dort aufgezeichneten Gesprächen und Begegnungen mit User*innen dieser App resultierenden Erkenntnisse, wie wichtig muskelstarke Selbstverteidigung auf der Strasse (des Lebens) werden kann - wenn du nicht ‹bist›, was du zu ‹sein› hast. Und welch wohltuend-meditative Ruhe Sport und Fitness in der Natur zu schenken hat - in der Natur, die ‹die Anderen› so gern gegen dich, dein ‹Sein› und deine Existenzweisen in Anschlag bringen. Dann diese irrwitzig gute Mary Maggic, deren Filmparodie Houswifes Making Drugs man gesehen haben muss, um über «DIY» (mach es selbst) und «DIWO» (mach es mit anderen) im Kontext von Hormon-Selbst-Therapien auf ziemlich befreiende Weise (mit-)lachen zu können.
Zwischendurch noch Špela Petričs Installation und Performance Phytoteratology, Züchtung einer so genannten «Transspezies». Reale In-vitro-Verbindung aus Unkraut und Mensch. Die im Inkubator vollzogene Kreuzung von Arabidopsis, einem gewöhnlichen Kraut, mit im Urin der Künstlerin isolierten Steroidhormonen. Feine, unter Lupen zu besehende Minipflanzen. Futuristisch in der Anlage, ihrer zarten Kleinteiligkeit wegen aber auch einfach ‹nur› schön anzuschauen. Und ich bin irgendwie berührt von Dir.
Dann habe ich Sex. Virtual-Reality-Sex, arrangiert von Ed Fornieles. Mit drei öde aussehenden, wahrscheinlich ‹männlich› gemeinten Muskelprotzen, sowie einem Dolly-Buster-haften, wahrscheinlich ‹weiblich› gemeinten Busenwunder. Alles auf dem Fussboden eines ebenso öden, computergenerierten Wohnzimmerlofts. Eine mehr Lachen denn Erregung generierende Erfahrung, von der ich nicht wissen will, was ich von ihr halten soll.
Erst im letzten aller Räume, im bühnenhaft ausgeleuchteten, zu einem Deiner unzähligen Film-Fiktionen passenden Setting - einem dort auf zwei Stühlen zur Aufführung zu bringenden Kuss, den Karen Lancel und Hermen Maat via Echtzeit-E.E.G. in Musikpartituren verwandeln und auf höchst ästhetische Weise am Boden kreisen lassen -, begreife ich, dass diese Ausstellung vom Sex lebt und trotzdem etwas über Dich zu erzählen hat. Weil Du Teil des anderen bist, auch wenn das Bezahlen für Dich, Deine Vermarktung, allein die Sache mit dem Sex Dich so scheinbar unbedeutsam macht. Ich erkenne, dass die Digitalisierung Deiner selbst an der Vervielfältigung Deiner Zukunft arbeitet. Den Raum um Dich herum öffnet statt ihn zu verschliessen. Dir radikale Freiheit schenkt, da, wo relative Unfreiheit(en) und Verschluss bisher noch immer vorherrschend sind. Und beschliesse, Dir diesen Brief zu schreiben. Obwohl sich vieles in mir dagegen sträubt. Als Frau. Die ich gemeinhin als Deine Rechtfertigung und Heimstätte zu gelten habe. Was ich nicht bin und auch nie sein möchte. Nicht aus reiner Selbst-Verständlichkeit jedenfalls.
Und auch wenn ich ansonsten rein gar nichts von Dir begriffen habe. Auch nicht nach dem Besuch dieser Ausstellung, die Dir grösstmöglichen Raum zur Entfaltung schenkt. Verquer, nervtötend, heulend-schön, hinterhältig, versoffen, weltverbessernd und weltverkomplizierend, wie Du nun mal bist.
Ich vermute, wir hören wieder voneinander ...