Barbara Preisig: Hat das Bundesamt für Kultur und die Eidgenössische Kunstkommission für die Vergabe des Swiss Art Awards (SAA) und des Prix Meret Oppenheim (PMO) eine Quotenregelung für Frauen?
Léa Fluck: Es gibt keine Quotenregelung. Aber es gibt eine Quote für alle ausserparlamentarischen Kommissionen des Bundesrates. Sie besagt, dass in den Kommissionen nie weniger als 30% Frauen beziehungsweise Männer sein dürfen. Bei der Vergabe der Preise hat die Kunstkommission grosse Freiheit, damit sie sich auf die künstlerischen Qualitäten konzentrieren kann. Allerdings ist den Mitgliedern der Kunstkommission das Thema Gleichberechtigung sehr bewusst und wird immer wieder thematisiert. Wichtig ist auch zu unterscheiden: die Kommission hat formal eine beratende Funktion, verliehen wird der Preis vom BAK.
BP: Es gibt auch keine Quotenregelung für andere Gruppen, zum Beispiel Personen ohne Schweizer Pass, Menschen mit Behinderung, oder?
LF: Nein. Alle sollen die gleichen Zugangsbedingungen haben. Es gibt vier Förderkriterien für die Vergabe der Preise: Qualität, Ausstrahlung, Aktualität, Innovationskraft.
BP: Führt das BAK Statistik, z.B. über Geschlechterverteilung?
LF: Nein, seit der Gründung des Wettbewerbs 1899 wurden keine Zahlen über die Geschlechterverteilung bei der Vergabe der Preise veröffentlicht. Allerdings sind die Gewinnernamen und damit auch deren Geschlecht öffentlich, somit könnte jeder das nachrechnen. Ich führe selbst eine kleine Statistik seit meinem Amtsantritt 2012, weil ich es wichtig finde und weil es mich interessiert. Da es keine Quoten gibt, weder nach Geschlecht noch Landesteilen, ist die Haltung des BAK grundsätzlich, die Gewinner nicht in Kategorien zu unterteilen in der Kommunikation. Also keine Quoten für Romands beispielsweise.
BP: Und kennen die Kommissionsmitglieder diese Zahlen?
LF: Ich bin kein Mitglied der Kunstkommission, sondern habe eine organisatorische Funktion. Ich soll grundsätzlich die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen garantieren. Sie bestehen aus der Kulturverordnung, den genannten vier Kriterien sowie beispielsweise dem Ausschluss von Interessenkonflikten. Ansonsten bin ich neutral. Daher zeige ich die Zahlen nie während des Juryprozesses, erst danach.
BP: Zwischen 2013 und 2016 waren bei den SAA die Frauen durchgehend unterrepräsentiert, ebenso beim Prix Meret Oppenheim (siehe In Zahlen). Nicht sehr stark, aber konstant. Erst dieses Jahr haben seit 2013 erstmals knapp mehr Frauen gewonnen als Männer. Warum gibt es dieses Ungleichgewicht der Geschlechter, obwohl du sagst, dass das Bewusstsein bei den Kommissionsmitgliedern vorhanden ist?
LF: Seit 2013, als ich dort begonnen habe, gibt es generell mehr Männer, die sich für die SAA bewerben (ausser 2016, als 52% der Anmeldungen von Frauen stammten). Bereits hier sind die Männer im Vorsprung. In der zweiten Runde werden dann auch weniger Frauen ausgewählt.
BP: Warum ist das so?
LF: Die Frauen erscheinen mir in den Dossiers, die für die erste Bewerbungsrunde eingereicht werden, viel zurückhaltender im Darstellen ihrer Talente. Männer sind meist offensiver. In der zweiten Runde ist es dann einfacher für die Kommission, auf ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter zu achten. Es gibt dann nur noch zehn bis zwölf Preise zu verteilen.
BP: Beim Prix Meret Oppenheim haben wir ein Verhältnis zwischen Frauen und Männern von zwei zu drei.
LF: Erst seit 2016 verleiht das BAK nur drei Grand Prix, davor waren es zwischen drei und sechs, je nachdem. Beim Prix Meret Oppenheim nominiert die Kunstkommission Kandidatinnen und Kandidaten für ihr Lebenswerk. Weil es in dieser Generation noch weniger weibliche Kreativ-Karrieren als bei den jüngeren Frauen gibt, entsteht hier eine Schwierigkeit für die Kommission, ausreichend Frauen zu nominieren. Das führte dazu, dass in den letzten zwei Jahren jeweils zwei Männer und eine Frau gewonnen haben. Da ist die Rechnung ganz einfach.
BP: Wie ist das Geschlechterverhältnis in der Kunstkommission?
LF: Die EKK hat vier Frauen und drei Männer. Vergleichsweise haben wir ein recht ausgewogenes Verhältnis.
BP: Aber das führt anscheinend auch nicht zu mehr weiblichen Gewinnern.
LF: Stimmt das so? Ich habe nachgeschaut und sehe, dass wir mit der vormals männlicher geprägten Kommission auch mehr männliche Gewinner hatten. Aber das mag ein Zufall sein. Ich glaube, es kommt auf das Bewusstsein an. Die heutige Europaministerin Frankreichs, Nathalie Loiseau, hat in ihrem spannenden Buch Choisir Tout beschrieben, wie Frauen sich untereinander nicht zwangsläufig helfen. Das glaube ich auch. Manchmal gibt es diese Solidarität, manchmal nicht.
BP: Wärst du denn für eine Quotenregelung bei SAA und Prix Meret Oppenheim?
LF: Ich als Privatperson bin da ambivalent. Ich glaube, dass Quoten nichts bringen, solange die Frauen immer noch so stark für die Kinder zuständig sind. Ich habe aus persönlichem Interesse immer wieder mal gezählt, wie viele der Preisträgerinnen Kinder haben. Dieses Jahr sind von elf Gewinner_innen sechs Frauen. Von ihnen haben drei Kinder, aber keine mehr als ein Kind. Von den fünf Männern hat nur einer ein Kind. In den vergangenen Jahren aber hat sich bei mir das Gefühl entwickelt, dass Preisträgerinnen in der Regel kein oder nur ein Kind haben, während ihre männlichen Kollegen Preise gewinnen und mehr Kinder haben.
BP: Also das heisst, wenn Künstlerinnen heute erfolgreich sein wollen, bezahlen sie dafür immer noch tendenziell mit dem Verzicht auf Kinder?
LF: Ja. Die Kunst ist überhaupt nicht progressiver als andere Berufssparten. Solange wir nicht ausreichend bezahlbare Krippenplätze haben, werden die Frauen immer benachteiligt sein. Ich kenne viele Frauen in der Kunst, die sehr lange warten und dann kurz vor 40 noch ein Kind bekommen. Das sieht nicht nach einer komfortablen Lage aus.
BP: Und was ist jetzt deine Meinung zur Quotenregelung für Frauen?
LF: Ich weiss nicht. Quoten sind ein Massstab, aber keine Lösung. Zu wissen, dass man gewinnt, weil man eine Quotenfrau ist, ist auch nicht schön. Andererseits kommen wir vielleicht nur so zu Rollenmodellen für die Zukunft, so dass die Frauen der nächsten Generation sehen, dass es tatsächlich möglich ist, sich seinen Kinderwunsch zu erfüllen und darunter beruflich nicht zu leiden. Aber ich glaube, wenn man jetzt Quoten einführen würde, würde die Glaubwürdigkeit des Wettbewerbs leiden. Denkst du nicht? Bist du für die Quoteneinführung?
BP: Ja, ich denke schon, dass es die Einführung von Quoten braucht. Das ist ein Weg, um eine neue Kultur zu etablieren. Um zu ermöglichen, dass nicht länger vorwiegend männliche Künstler die Kriterien vorgeben, die uns zur Beurteilung von Kunst zur Verfügung stehen. Das zeigt sich ja auch in anderen Berufsfeldern. Etwa bei den Verwaltungsräten in Konzernen. Solange keine Quoten eingeführt werden, ändert sich die Situation nicht. Wenn Frauen heute weniger gut darin sind, sich zu verkaufen, dann brauchen sie Übungsfelder. Und Quotenregelungen bieten genau das, eine Starthilfe.
LF: Vielleicht könnten Quoten ein temporär notwendiges Übel sein. Wenn ich an meine Tochter denke, hoffe ich, dass diese Quotenregelung bald eingeführt wird. Aber würdest du damit klarkommen, dass du einen Job bekommst, nur weil du eine Frau bist?
BP: Damit hätte ich keine Probleme. Zumal das Frausein ja nur eines von mehreren Entscheidungsgründen ist. Aber, heute als Frau in den Genuss von besonderen Fördermassnahmen zu kommen, finde ich berechtigt. Wäre doch schön, wenn wir dank Quotenregelung endlich all jene Positionen besetzen dürfen, von denen wir jahrhundertelang ausgeschlossen waren. Es ist ein Stück weit ausgleichende Gerechtigkeit. Nicht nur historisch gesehen. Ich werde auch heute aufgrund meines Geschlechts immer wieder diskriminiert, wenn auch auf recht subtile Weise. Ich muss mir beispielsweise regelmässig anhören, dass ein Arbeitspensum von 80% schon sehr umfangreich ist, wenn man Mutter von zwei Kindern ist. Mein Mann, der genauso viel Berufs- und Familienarbeit macht, ist nie mit solchen Aussagen konfrontiert. Abgesehen davon ist es ja nicht so, dass bisher Männer nur aufgrund ihrer Kompetenzen Karriere gemacht haben. Auch sie wurden (oder werden noch heute) genauso oft aufgrund ihres Geschlechts beurteilt.
LF: Ja, vielleicht komme ich einfach nicht klar mit diesem Talionsprinzip der Vergeltung. Ich verstehe aber auch nicht, konkret zum Thema, warum wir Frauen uns nicht stärker auf diesen Wettbewerb einlassen. Die Künstlerinnen könnten sich in solchen Wettbewerben einiges von den Männern abschauen hinsichtlich des Selbstbewusstseins. Ich finde, Künstlerinnen sollten sich in erster Rolle in ihrer Arbeit sehen – und nicht primär als Frau, und als zweites dann als Künstlerin. In einem Wettbewerb sind sie einfach erstmal Kompetitoren.
BP: Wie ist eigentlich die Geschlechterverteilung beim BAK?
LF: Die aktuelle Direktorin des Bundesamtes für Kultur ist eine Frau, die letzten zwei waren Männer. Für das ganze BAK kann ich keine Aussage machen. In meiner Sektion gibt es einen Mann und vierzehn Frauen.
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