Call for Proposals

Ein prekäres kuratorisches Modell

Das kompetitive und selektive Verfahren von Call for Proposals hat in den letzten Dekaden und im Kontext neuer Wissensökonomien, die prekäre, mobile und flexible Arbeitsverhältnisse etablieren, Konjunktur erfahren. Hat der Call, diesseits von kostensparender Produktion, Outsourcing und Wettbewerb aber auch das Potenzial, andere künstlerische und kuratorische Handlungsformen zu provozieren?
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Tischgespraeche 8

Tischgespräche mit einer TransLecture von Nikolaus Gansterer im Rahmen von: A Proposal to Call, Kunsthalle Exnergasse, 2015. Foto: Barbara Mahlknecht.

I. Konjunkturen des Call for Proposal

Call for Proposals und Open Calls sind Verfahren der Ausschreibung, der Einreichung und der Auswahl. Sie werden zumeist in mittleren und kleineren Kunstinstitutionen, aber auch bei Kurator/innen an Festivals, Biennalen und anderen Grossveranstaltungen eingesetzt. Calls richten sich international an Künstler/innen, Kulturproduzent/innen und Kurator/innen. Diese reichen ihre künstlerischen Vorschläge, Arbeiten, Ausstellungskonzepte und Projekte ein und unterwerfen sich einem Selektions- und Bewertungsverfahren durch eine Jury, die Vorschläge auswählt und einer Realisierung zuführt. Die Ausschreibung ist damit eine Form kuratorischer Programmgenerierung. Institutionelle, künstlerische und kuratorische Praxisformen scheinen sich im Verfahren des Call gegenseitig zu bedingen: Denn während Künstler/innen und Kurator/innen ihre Projekte zunehmend nach Massgabe von Ausschreibungsverfahren richten, so orientieren sich Institutionen in ihrer Konzeption, Planung und Durchführung auch daran, was eingereichte und ausgewählte Projekte vorschlagen.

Welche Erfordernisse sind es, die durch Ausschreibungen an künstlerische Praxen und kuratorische Formate gestellt werden? Wie bedingen Ausschreibungen durch ihre spezifische Form Modi künstlerischer und kuratorischer Produktion? Sieht man unterschiedliche Ausschreibungen durch, fällt unter anderem auf, dass die eingereichten Projekte sich oftmals auf den spezifischen Ort der Durchführung beziehen und innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens durchgeführt werden sollen. Schlagworte, die in Calls für die erwünschte künstlerische und kuratorische Praxis häufig genannt werden, sind «experimentell», «innovativ», «einzigartig» und «neu».[1] Termini wie «erweiterte künstlerische Praxis», «Kollaboration», «neue Publikumsschichten», «Lernen», «Interaktion» und «Wissenstransfer» beschreiben in Ausschreibungen darüber hinaus die spezifischen Formen von Konnektivität, Innovation und Wissensproduktion, die in den letzten Dekaden für postfordistischer Ökonomien massgeblich geworden sind.

Heute sind solche Open Calls auf Internetseiten, Blogs und in Kunstzeitschriften, in denen zur Einreichung von innovativen und experimentellen Arbeitsvorhaben aufgerufen wird, omnipräsent. Sie werden in den sozialen Medien geteilt und schnell verbreitet. Auf der Webseite von Callforcurators.com können «professionals» für 2.95 € im Monat und für 19.95 € im Jahr Mitglied werden und Anzeigen für die Einreichung von Ausstellungskonzepten, für Weiterbildungen, für die Bewerbung von Stipendien, Praktika, Residenzen und Preise durchsuchen. Wooloo.org präsentiert sich als Netzwerk von mehr als «35.800 art professionals» aus 140 Ländern. E-artnow.org versendet monatlich einen kostenlosen «worldwide deadline reminder: jobs, scholarships, competitions, residencies, exhibitions». Der Newsletter, der von privaten Firmen wie Reiseunternehmen und Modelabels gesponsert wird, richtet sich laut Selbstbeschreibung an Akademiker/innen, Kurator/innen, Künstler/innen, Student/innen und Kritiker/innen und bietet eine Fülle an Annoncen zu Job- und Studienangeboten, Workshops, Residencies, Open Calls, Wettbewerben und Ausstellungskonzepten.

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Screenshot der Webseite E-artnow.org.

 

II. Der Call for Proposals. Zwischen Subjektivierung und Prekarität

Die Konjunktur der Ausschreibung als Verfahren zur Generierung von Ausstellungs- und Festivalprogrammen steht in Verbindung mit den ökonomischen und politischen Transformationen, die sich seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 in Europa und global seit dem Ende des Kalten Krieges innerhalb und ausserhalb des Kunstfelds ereignen. Dazu zählen die fortschreitende Privatisierung staatlicher Einrichtungen, die Deregulierung des Kapitalverkehrs, die Globalisierung der Märkte sowie die Ausbreitung digitaler Kommunikations- und Produktionsformen.[2] Im sogenannten «kognitiven Kapitalismus» gewinnen Wissens- und Handlungsformen an Relevanz, die nach fordistischer Logik nicht als Arbeit zu verstehen sind, weil sie keine unmittelbar materiellen Produkte herstellen. Die neuen, immateriellen Arbeitsformen, so die These von Antonio Negri/Michael Hardt, Paolo Virno und Maurizio Lazzarato, basieren auf Kommunikation, Wissen, Affekt und Kreativität.[3]

Die genannten kreativen Modi der Wissensproduktion[4] stehen darüber hinaus in Verbindung mit künstlerischen Praxisformen seit den 1990er-Jahren.[5] Mit der Herausbildung diskursiver, kontext- und projektbezogener künstlerische Praxen, die sich ihrerseits auf die späten 1960er- und der 1970er-Jahre beziehen, wird in den 1990er-Jahren auch die Ausbildung von Kurator/innen professionalisiert. Dies lässt sich unter anderem an dem seit dieser Zeit verstärkt auftretenden Angeboten an postgradualen kuratorischen Programmen ablesen. 1987 wird die École du Magasin in Grenoble gegründet, 1994 das einjährige kuratorische Programm De Apple in Amsterdam und 2002 der Ecm-Lehrgang educating, curating, managing an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Weitere postgraduale kuratorische Ausbildungen werden unter anderem in London, Zürich, Venedig, Frankfurt, Leipzig, Stockholm neu konzipiert und angeboten. Wie der Kurator und Theoretiker Paul O'Neill betont, ist die Professionalisierung von Kurator/innen seit den späten 1980er-Jahren auch im Zusammenhang der Globalisierung zu sehen;[6] eine Entwicklung, die mit der radikalen Erweiterung des Kunstfeldes und seines Arbeitsmarktes einhergeht und sich von den Zentren in Europa und den USA zu den Metropolen in Asien, Afrika und Südamerika erstreckt.

Die veränderten globalen Arbeitsbedingungen, die Herausbildung eines globalisierten Kunstfeldes sowie die Professionalisierung des Berufs der Kurator/in sind für das verstärkte Aufkommen des Verfahrens der Ausschreibung zentral. Denn Calls stehen in einem direkten Verhältnis zu diesen veränderten Bedingungen im Kunstfeld. Sie operieren als effektives Instrument globaler, wettbewerbsförmiger und kostensparender Programmgenerierung innerhalb eines Kunstbetriebes, in dem kreative Arbeit in Form von konkurrierenden Projekten und Ideen stattfindet und dessen kompetitive Bewertungsmassstäbe auch durch die Logik der Anrufung, des Ausschreibens und des In-Aussicht-Stellens mitbestimmt werden.[7] Vor dem Hintergrund dieser ökonomischen und politischen Entwicklungen kann der Call als Instrument der Subjektivierung[8] im Kunstfeld gelesen werden. Denn Ausschreibungen sind Formen der individuellen Anrufung: Künstler/innen und Kurator/innen werden in und durch Calls adressiert. Sie sind aufgefordert, sich permanent Einreichungs-, Bewerbungs- und Auswahlverfahren zu unterwerfen und ihre künstlerischen und kuratorischen Projektvorhaben den Erfordernissen von Ausschreibungen anzupassen. Das bedeutet, dass Einreichende die spezifische Sprache, die für Einreichungen verlangt wird, beherrschen müssen; sie müssen ihre Zeitplanung mit ausschreibenden Institutionen abstimmen; sie müssen flexibel und mobil sein, um für die Realisierung eines Projekts vor Ort arbeiten zu können; und sie müssen ihre Projektvorschläge unter Verwendung von zumeist bescheidenen Ressourcen auf einen dennoch internationalen Standard heben. Auf Ausschreibungen mit innovativen Arbeits- und Projektvorhaben zu reagieren, ist heute unerlässlich, um einen künstlerischen und kuratorischen CV auf ein internationales konkurrenzfähiges Niveau zu bringen.

 

III. Der Call im Kontext der aktuellen Manifesta in Zürich

Ein aktuelles Beispiel für die wechselseitigen Verknüpfung von Call for Proposals, kuratorischen Praxisformen und den Arbeitsbedingungen im Kunstfeld bietet die diesjährige Ausgabe der Manifesta, der nomadischen europäischen Biennale für zeitgenössische Kunst, deren 11. Ausgabe in Zürich unter dem Titel What People Do For Money: Some Joint Ventures stattfindet.[9] Im Vorfeld der Manifesta wurden zur Generierung von neuen Publika, Vermittlungsformaten und künstlerischen Beiträgen eine Reihe von Ausschreibungen lanciert: Im Oktober 2015 versendete die Manifesta einen Casting-Aufruf an Jugendliche für die Produktion von Videos; im März 2016 einen Open Call an die Zürcher/innen für die Teilnahme an einem Kunstprojekt des Künstlers Leigh Ledare; im April 2016 eine an Studierende gerichtete Einladung für die Summer School der Manifesta 11 Negotiating Space. Art and Dissent und schliesslich einen Aufruf an Freiwillige zu unbezahlter Kommunikations-, Koordinations-, Vermittlungs- und Aufsichtsarbeit. Ausserdem, und das ist im Kontext des zur Disposition stehenden Verständnisses der Ausschreibung als kuratorischem Verfahren besonders von Interesse, bespielt die Manifesta zwei Formate mit dem Call for Proposals. Erstens wurde die lokale Züricher Kulturszene zur Einreichung von Projektvorschlägen für die sogenannten Parallel Events eingeladen und zweitens wird das performative Programm des sogenannten Cabarets der Künstler – Zunfthaus Voltaire mittels einer Ausschreibung kuratiert.

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Der Call for Proposals für das Manifesta-11-Performance-Programm vom 14.03.2016.

Das Cabaret Voltaire ist im Zuge der Manifesta 11 in ein «Cabaret der Künstler», eine Zunft für Künstler/innen transformiert worden, die laut Call ein experimenteller performativer Raum sei, der traditionelle Rahmenbedingungen von Kunstplattformen überschreitet. Die Zunft ist Ort der «Repräsentation einer gemeinsamen Profession.»[10] Die Gründungsmitglieder dieser neu gegründeten Künstler/innenzunft, Thomas Hirschhorn, Gianni Motti, Christian Jankowski und Manon sowie «Zunftmeister» Manuel Scheiwiller rufen in der Ausschreibung Künstler/innen (im Wortlaut der Ausschreibung «Künstler») dazu auf, einer Zunft beizutreten, indem sie sich mit einer Person anderer Profession für eine gemeinsame Performance bewerben. Die angenommenen Vorschläge für diese «Joint-Venture-Performances» sind während der 100 Tage Dauer der Manifesta im Cabaret Voltaire zu sehen. Geboten wird den Bewerber/innen technisches Equipment, die Aufnahme in die Künstler/innenzunft und der kostenlose Besuch aller Performances. Voraussetzung für die Aufnahme in die «27ste Zunft Zürichs, die erste für Künstler und die erste die gender-neutral ist»[11], ist die Einreichung eines DIN-A4-Konzepts und die Bereitschaft, die Performance ohne Honorar durchzuführen. Ob für die Künstler/innen Fahrt- oder Aufenthaltshonorare gezahlt werden, ist aus der Ausschreibung nicht zu erfahren.

Nimmt man nun die Ausschreibung genauer unter die Lupe, so überrascht zunächst die Idee, dass eine dem Traditionalismus und der Folklore verhafteten Vereinigung wie die Zunft heute überhaupt als Modell für eine Gemeinschaft von Künstler/innen herangezogen wird, ohne sie zugleich einer kritischen Revision zu unterziehen. Denn die Zunft ist ein exkludierender Zusammenschluss von Berufsgruppen. Die Rhetorik der «Gender-Neutralität» in der Ausschreibung des Cabaret der Künstler – Zunfthaus Voltaire, die durch die Verwendung des generischen Maskulin hierarchische Ungleichheiten und Ausschlüsse viel eher verschleiert als diskutiert, ist für den problematischen Umgang der Manifesta 11 mit dem Thema Arbeit leider symptomatisch. Die Rede vom «Zunftmeister», dem «Künstler», dem «Manifesta-Besucher» mutet nicht nur anachronistisch an, sondern ist bezeichnend für eine Biennale, die bezahlte Lohnarbeit zum Thema macht und damit jegliche andere, nicht-bezahlte und unsichtbare Formen feminisierter Arbeit ausklammert. Darüber hinaus stellt die Manifesta innerhalb ihrer eigenen Strukturen selbst prekäre Arbeitsverhältnisse her, die bereits öffentlich kritisiert wurden.[12]

Die Verknüpfung zwischen dem Call als Verfahren kuratorischer Programmgenese, dem Thema der Arbeit als Beruf und der Gründung der ersten «gender-neutralen» Zunft ist zugleich paradox und aufschlussreich. Denn, wie weiter oben skizziert, stellt gerade das Verfahren der Ausschreibung selbst ein Symptom heutiger Arbeitsverhältnisse dar, die das 9-to-5-Lohnarbeitsmodell zugunsten vielfältiger prekärer Arbeitsformen wie neuer Selbstständigkeit, nicht- oder unterbezahlter Praktika sowie temporärer Projektarbeit verdrängen. Die Prekarisierung im Feld der Kreativindustrie ist dabei durchaus feminisiert, wie zuletzt Angela McRobbie in ihrer Publikation Be Creative. Making a Living in the New Culture Industries 2015 gezeigt hat. Normative Formen von Prekarisierung, so McRobbie, verbinden sich im Feld der Creative Industries mit leidenschaftlicher Arbeit und der Romantik der Selbstrealisierung.[13] Dass ein kuratorisches Verfahren, dem die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen eingeschrieben sind, die eigenen ökonomischen Bedingungen und Implikationen aussen vor lässt und darüber hinaus die Problemlage prekärer feminisierter Arbeit im Kunstfeld durch das Label «gender-neutral» vollkommen ignoriert, verweist auf die verschenkte Chance der Manifesta 11, gegenwärtige Verhältnisse von Arbeit innerhalb und ausserhalb des Kunstfeldes in vollem Umfang kritisch zu bearbeiten.

 

IV. Der Call als kuratorisches Verfahren

Für die Kunsthalle Exnergasse Wien habe ich im Herbst/Winter 2015 gemeinsam mit der Kunsthistorikerin und Kuratorin Vera Lauf die Ausstellung A Proposal to Call kuratiert. Mit dem kuratorischen Konzept der Ausstellung reagierten wir auf die jährliche Ausschreibung der Kunsthalle Exnergasse, die ihr Programm zentral, wenngleich nicht ausschliesslich durch den Call for Proposals bespielt.[14] Für die minimal ausgestattete Ausstellung A Proposal to Call, in der wir mit einem bescheidenen Mass an finanziellen Ressourcen arbeiteten, konzipierten wir eine Reihe von Formaten – Tischgespräche, Performances, Lectures und Workshops –, die den Call als Modell künstlerischer und kuratorischer Produktion in seinen Möglichkeiten durchleuchten, aber auch in seinen disziplinierenden Beschränkungen kritisch debattieren sollte. Eine Erkenntnis des Ausstellungsprojekts war, dass Calls nicht nur für ihre Adressat/innen, sondern auch für Institutionen, die Calls als Mittel der Programmgenerierung einsetzen, Herausforderungen darstellen. Die Abwicklung des Ausschreibe- und Auswahlverfahrens sowie die konkrete Umsetzung künstlerischer und kuratorischer Projekte bei oftmals geringen finanziellen, infrastrukturellen und personellen Ressourcen ist überaus aufwendig.

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Der aktuelle Call for Proposals der Kunsthalle Exnergasse Wien.

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Ausstellungsansicht, A Proposal to Call, Kunsthalle Exnergasse, 2015. Foto: Wolfgang Thaler.

Die Geschichte der Kunsthalle Exnergasse ist bezüglich des Einsatzes und der zentralen Rolle der Ausschreibung für die Kuratierung eines Ausstellungsprogramms exemplarisch für die Transformationsprozesse im Kunstfeld der 1990er-Jahre. Gegründet 1987 als Produzentengalerie im WUK, einem der grössten basisdemokratisch verwalteten Kulturzentren Europas, das um die 150 unabhängige Initiativen umfasst und in einer ehemaligen Lokomotivfabrik untergebracht ist, erstellt die Kunsthalle Exnergasse seit 1991 ihr Programm aus einem jährlichen Call. Aus den rund 200 eingereichten Vorschlägen wählt ein Beirat jeweils 4 bis 6 Vorschläge aus, die dann realisiert werden. Der Call wurde früher in Form von Inseraten in ausgewählten deutschsprachigen Kunstmagazinen abgedruckt und erreichte daher tendenziell eine deutschsprachige Kunst-Community. Erst ab Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre veränderte sich der Radius der Adressat/innen durch den Einsatz einer zweisprachigen Ausschreibung, die über digitale Newsletter und Plattformen verbreitet wurde. Die Idee, das Ausstellungsprogramm der ehemaligen Produzent/innengalerie für Künstler/innen und Kurator/innen ausserhalb des WUK zu öffnen, wurde seinerzeit durchaus als Form von Erneuerung und emanzipativer Selbstpositionierung wahrgenommen. Heute stellt sich diese Situation insofern anders dar, als sich die Zahl der Einreichungen massiv erhöht und sich die jährliche Ausschreibung so zu einem hyper-kompetitiven Verfahren entwickelt hat.

Abschliessend lässt sich festhalten, dass das Verfahren des Calls die Widersprüche heutiger künstlerischer Produktion zwischen Wettbewerb und Ermöglichung, Ressourcenknappheit und hohen Qualitätsstandards, Konkurrenz und Zusammenarbeit aufzeigt. Dies ist kein Grund, Ausschreibungen kategorisch abzulehnen. Vielmehr gälte es, die jeweiligen materiellen und immateriellen Bedingungen, die ein bestimmter Call herstellt, in Betracht zu ziehen. Gerade vor dem Hintergrund der skizzierten Transformationen im Kunstfeld, die sich an Wettbewerb und Innovation orientieren und prekäre Arbeitsbedingungen reproduzieren, wäre es zentral, den Einsatz des Calls in seinen Massstäben, seinen Möglichkeiten und seinen Beschränkungen jeweils genau zu prüfen, die Kriterien[15] der Auswahl auf Ein- und Ausschlussmechanismen zu befragen, die bereitgestellten Ressourcen im Blick zu haben und das Verfahren so zu gestalten, dass abseits des wettbewerbsorientierten Innovationszwang alternative Formen von Zusammenarbeit ermöglicht werden können. Institutionen, Kurator/innen und Kulturproduzent/innen, die kritisch mit gegenwärtigen Formen kultureller Produktion umgehen wollen, müssen neue kuratorische Formen der Einladung und der Ermöglichung (er)finden.

[1] Siehe dazu die internationale Ausschreibungen auf Callforcurators.com, Wooloo.org und E-artnow.org.

[2] Beispielhaft für die zentrale Funktion von Onlinemedien im Feld der zeitgenössischen Kunst ist E-flux, eine editorische, kuratorische, künstlerische Onlineplattform, die 1998 von dem Künstler Anton Vidokle gegründet wurde. E-flux versteht sich als Ort und Mittel der Dissemination von kritischen Diskursen zur zeitgenössischen Kunst. Bis zu sechs Newsletter zu Ausstellungseröffnungen, Veranstaltungsankündigungen, Preisen, Calls versendet E-flux täglich an mehr als 90'000 institutionelle und private Abonnent/innen weltweit. Darüber hinaus betreibt E-flux ein Büro und seit 2004 einen Ausstellungsraum in New York und veröffentlicht seit 2008 monatlich eine themenspezifische Onlinepublikation. E-flux ist damit in den letzten Jahren zu einer zentralen, um nicht zu sagen hegemonialen Instanz von Kommunikation und Kunstkritik geworden. Vgl. dazu auch den Beitrag von Lucie Kolb auf Brand-New-Life.

[3] Vgl. Isabel Lorey und Klaus Neundlinger, hg., Kognitiver Kapitalismus. Turia und Kant: Wien, 2012. Lazzarato, Maurizio: «Immaterielle Arbeit», in Antonio Negri, Maurizio Lazzarato, Paolo Virno, Umherschweifende Produzenten. Immaterielle Arbeit und Subversion. Berlin: ID-Verlag, 1998.

[4] Dass künstlerische und kreative Tätigkeiten das neue Paradigma postfordistischer immaterieller Arbeit seien, wurde im Kontext von Éve Chiapellos und Luc Boltanskis Der Neue Geist des Kapitalismus (1999) diskutiert. Chiapello und Boltanski vertreten die These, dass die Künstlerkritik, sprich die von Künstler/innen formulierte Forderung nach Freiheit und Selbstbestimmung dem Kapitalismus letztlich zu seiner Expansion verholfen habe.

[5] Vgl. dazu: Holger Kube Ventura, Politische Kunst Begriffe in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum. Wien: Edition Selene, 2002. In seiner umfassenden Analyse politischer Kunstbegriffe der 1990er-Jahre beschreibt Ventura die neu entstandenen Werkformen der 1990er-Jahre als selbstorganisiert, subkulturell, kontextualistisch, transformativ, institutionskritisch, ortsspezifisch und recherchebasiert.

[6] Vgl. Paul O'Neill, The Culture of Curating and the Curating of Culture(s). Massachusetts: MIT Press 2012, 60 ff. Weitere Gründe, die O'Neill anführt, sind: die Entstehung eines neuen globalen Kunstmarktes und eines neuen Forschungsfeldes – der Ausstellung; die Konjunktur von internationalen Biennalen für zeitgenössische Kunst, aber auch das Aufkommen von kuratorischen Anthologien.

[7] Bis dato liegt keine umfassende historisch-kontextualisierende Bearbeitung des Open Calls im Verhältnis zu kuratorischen und künstlerischen Praxen vor. Für eine kritische Bearbeitung des Themas vgl.: Katja Stecher: Who is Calling?, Wien 2014, Masterarbeit.

[8] Das Subjekt ist für Michel Foucault und die auf seine Überlegungen aufbauenden Gouvernementalitätstudien nicht immer schon gegeben. Subjekt ist vielmehr ein Status, der durch den paradoxen aktiv-passiven Prozess der Subjektwerdung hervorgebracht wird. Dabei setzen sich Macht und Subjekt gegenseitig voraus. Ein Subjekt zu werden bedeutet, sich gleichzeitig gegen die Instanzen zu behaupten, die sich gegen die eigene Autonomie richten. Zugleich ist das Subjekt auch den Kräften, die auf es wirken, ausgesetzt. Subjektivierung impliziert daher Selbstermächtigung und Unterwerfung, Selbstgestaltung und Machtintervention im gleichen Masse. Vgl.: Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2013, 19ff. Formen gouvernementaler Selbstoptimierung wurden umfassend im Kontext jüngerer Studien zur Gouvernementalität des Selbst beschrieben. Vgl. dazu u.a.: Isabel Lorey, Gouvernementalität und Selbst-Prekarisierung. Zur Normalisierung von Kulturproduzent/innen, 2006, (16.07.2016), eipcp.net/transversal/1106/lorey/de sowie Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2013.

[9] Bereits die von Artur Żmijewski kuratierte 7. Berlin Biennale hatte 2012 einen grossangelegten Call lanciert, der Künstler/innen aufforderte, Recherchematerial einzureichen und, darüber hinaus, ein politisches Statement abzugeben. Die Aufforderung zu einem politischen Statement erklärte Artur Żmijewski wie folgt: «Es gibt die unausgesprochene Regel für Künstler, eine so genannte politische Kunst aus einer unidentifizierten politischen Position heraus zu schaffen, dabei selbst aber neutral zu bleiben, auch wenn es offensichtlich ist, dass sie das nicht sind. [...] Unsere Realität ist gestaltet durch Politik; das bedeutet, dass auch die Kunst darauf aufbaut. Lasst uns diese unsichtbaren/versteckten Strukturen, diesen unanständigen Hintergrund der Kunst, darlegen.» Vgl. Blog.berlinbiennale.de, (16.07. 2016).

[11] Vgl. Ebd.

[12] Die Piktogramme der Visual Identity der Manifesta 11, die im Vorfeld der Eröffnung auf der Webseite zu sehen waren, sind symptomatisch für das Ausblenden von reproduktiver Arbeit wie Haus-, Instandhaltungs-, Reinigungs-, Sex-, und Sorgearbeit sowie prekären Formen neuer Selbstständigkeit und Praktika zugunsten des 9-to-5-Lohnarbeitsmodells. Unter den Kapiteln «130 Künstler – 250 Kunstwerke – Zunfthaus für Künstler – Pavillon der Reflexion» wurden auf der Webseite eine Reihe von an Otto Neuraths Isotype erinnernden Bildern gezeigt, die Personen bei unterschiedlichen Arbeiten zeigen. Zu sehen waren u.a. ein Wissenschaftler, ein Priester, ein Ingenieur, zwei Boxer, ein Arzt, eine Sportlerin, eine Hundefriseurin sowie eine Stewardess. Diese Aufteilung von Männern und Frauen in gendertypische Berufe ist stereotyp und affirmierend. Zur Problematik der Arbeitsbedingungen auf der Manifesta 11 vergleiche auch den Artikel von Regina Pfister vom 23. Mai 2016 auf Brand-New-Life. Weitere kritische Beiträge: Brigitta Bernet auf Geschichtedergegenwart.ch; Simon Jacoby, Severin Miszkiewicz und Jonas Staehelin auf http://tsri.ch/ sowie Daniela Janser auf www.woz.ch, (16.07. 2016). Die prekären Arbeitsbedingungen sind im Kontext internationaler Biennalen zwar leider nichts Neues, erscheinen aber aus der Perspektive des kuratorischen Konzeptes «What People do for Money» geradezu zynisch.

[13] Vgl. Angela McRobbie, Be Creative: Making a Living in the New Culture Industries. Cambridge: Polity Press, 2016. Zur leidenschaftlichen Arbeit liesse sich vor allem auch die Arbeit von (meist weiblichen) kuratorischen Assistent/innen und Praktikant/innen zählen.

[14] Die Idee, eine Ausstellung zum Call for Proposals zu machen, stammt massgeblich von Vera Lauf.

[15] Die Frage, wie ein Verfahren des Call so gestaltet werden kann, dass es «objektiven» Kriterien entspricht, ist für Institutionen und Kurator/innen, die Calls erstellen, zentral. Viele Ausschreibungen arbeiten mit einem zweistufigen Verfahren. Ein interessantes Modell verfolgt Apexart in New York, eine Non-Profit-Kunstinstitution, die 1994 gegründet wurde und in Lower Manhatten ihren Sitz hat. Apexart schreibt jährlich einen Call für ein internationales Ausstellungsprogramm aus, für das bis zu 700 Projekte eingereicht werden. Für das Auswahlverfahren wurde eine eigene Software erstellt, die durch einen Algorithmus, der gewährleisten soll, dass jeder Projektvorschlag von den 150 Juror/innen im selben Ausmass gesichtet und bewertet wird. Die Juror/innen stammen teilweise nicht aus dem Kunstfeld.