Accelerate Management

In seinem Essay fordert Fisher eine «Management-Akzeleration», deren Aufgabe nicht ist, seine Mitarbeiter_innen «mit tausend Kleinigkeiten zu überhäufen», sondern einen Raum zum Denken zu schaffen. Der Ruf nach einer Akzeleration zielt darauf, das Management-Konzept aus der Geiselhaft des neoliberalen Managerialismus zu lösen. Dieser Essay erschien erstmals 2017 im Onlinemagazin Parse Journal 5 zum Thema Management. Die Fragestellungen vom Fokus Im Bau waren inspiriert von diesem Essay, so dass wir neben einer Neupublikation des englischen Texts hier erstmals eine deutsche Übersetzung publizieren. 
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«Das Leben ist zu interessant, um es zu verschlafen»

«Ich stehe morgens meist um 5.00/5.15 Uhr auf. Früher habe ich nach dem Aufstehen gleich angefangen, Mails zu schreiben. Aber nicht alle Leute haben meinen Tagesrhythmus. Deshalb warte ich damit inzwischen bis 7.00 Uhr. Bevor ich Mails schreibe, mache ich ein bisschen Fitness, lese und schaue mir unsere neusten Produkte an ... Ich hab noch nie viel Schlaf gebraucht. Das Leben ist zu interessant, um es zu verschlafen.» «Ich checke schnell meine E-Mails, während mein Sohn es sich in meinem Bett bequem macht und seine Milch bekommt. Dringende Mails beantworte ich sofort. Andere markiere ich, um sie auf dem Weg zu Arbeit zu bearbeiten ... Da ich im Durchschnitt etwa 500 Mails am Tag bekomme, maile ich den ganzen Tag.»[1] So beschreiben zwei Top-CEOs - Tim Armstrong von AOL und Karen Blackett von MediaCom UK - den Beginn ihres Arbeitstages. Beide Zitate vermitteln den Eindruck, dass die Arbeit und die Management-Aktivitäten in der heutigen kapitalistischen Kultur immens zugenommen haben. Die Selbstauskünfte der beiden Spitzenmanager sind ein Beleg für den vollständigen Sieg des vieldiskutierten post-fordistischen Arbeitsparadigmas, dem zufolge sich die Berufsarbeit nicht mehr auf die offiziellen Arbeitszeiten im Büro oder in der Fabrik beschränkt, sondern sämtliche Lebensbereiche und den gesamten Tagesablauf durchdringt. Tatsächlich bestätigt Armstrongs Auskunft die Richtigkeit der von Jonathan Crary in 24/7: Late Capitalism and the End of Sleep vorgetragenen Feststellung, der zufolge der Kapitalismus gerade Begriff steht, eine der letzten Barrieren zu beseitigen, die uns noch vor dem 24-Stunden-Berufsalltag schützt: den Schlaf. Der schlafende Körper ist der Inbegriff des unproduktiven, nichtkommunikativen Menschen und steht damit dem grenzenlosen kapitalistischen Verwertungsinteresse im Wege.

Die Manier, in der sich das kapitalistische Verwertungsinteresse heute darstellt, geht über eine post-fordistische Umstrukturierung des Arbeitsprozesses weit hinaus: Sie ist nämlich auf eine technische, kommunikative und libidinöse Infrastruktur angewiesen, ein System, das Jodi Dean als kommunikativen und Franco «Bifo» Berardi als Semio-Kapitalismus bezeichnet haben. Im Kontext des kommunikativen Kapitalismus – den ich hier ein wenig vereinfacht mit Berardis Semio-Kapitalismus gleichsetze – ist die einzelne Nachricht lediglich «ein winziges Element im Kreislauf der Bilder, Meinungen und Informationen, des unaufhörlichen Stroms der Informationen und Affekte, darauf angelegt, Aufmerksamkeit zu erregen und zu fesseln, Meinungen, Vorlieben und Trends in eine bestimmte Richtung zu lenken».[2]

Berardi verweist in seinen Publikationen immer wieder auf die psychopathologischen Folgen der permanenten Unterwerfung unseres Nervensystems unter die Imperative des kapitalistischen Cyberspace. In seinem Buch Precarious Rhapsody etwa beschreibt er «die pathologischen Folgen der Beschleunigung des Informationsaustauschs für unsere persönliche, aber auch für die kollektive Geistesverfassung». Weiter heisst es dort: «Der Einzelne ist nicht in der Lage, die immense, unablässig wachsende Menge an Informationen zu verarbeiten, die per Computer, Smart Phone, Fernseher und/oder E-Terminplaner pausenlos unser Gehirn bombardieren. Gleichzeitig scheint es unverzichtbar, all diese Informationen zu registrieren, zu verstehen, zu bewerten und zu verarbeiten, wenn wir als effizient, wettbewerbsfähig und erfolgreich gelten möchten ... Um diesen unaufhörlichen Informationsstrom richtig zu verarbeiten, fehlt es uns allerdings an der nötigen Zeit.»[3]

In einem neueren Text vertritt Berardi die Auffassung, dass «die Akzeleration ein wesentliches Merkmal der kapitalistischen Unterjochung [ist]. Dabei wird das Unterbewusstsein dem unablässig zunehmenden Tempo der Infosphäre preisgegeben, eine Form der Unterwerfung, die schmerzlich ist.»[4] Tim Armstrongs weiter oben zitierte Auskunft lässt hingegen vermuten, dass diese Unterwerfung des Unterbewusstseins unter den kapitalistischen Cyberspace nicht ausschliesslich schmerzlich ist – wenigstens nicht für jeden. So geht etwa das Eintauchen in die, manchmal auch das Surfen auf den endlosen Datenströmen des Semio-Kapitalismus für die Herrscher in diesem Reich zweifellos mit einem gewissen Spass, einem manischen Vergnügen einher. Der oder die CEO verlangt von seinen/ihren Untergebenen nicht nur Unterordnung. Vielmehr bietet er/sie sich ihnen durch die eigene fast vollständige Unterwerfung unter die Arbeit als eine Art Vorbild an – doch nicht etwa als Beispiel des Selbstopfers im Namen der Pflicht (auch wenn dieses Gespenst unterschwellig stets präsent ist), sondern eines Opfers, das intensive Glücksgefühle auslöst. Für diese CEOs ist die Arbeit eine Art Sucht, allerdings eine positive, eine produktive Sucht. Das Ideal der innerweltlichen Askese, von dem das Arbeitsethos in einer früheren Phase des Kapitalismus einmal geprägt war, stellt sich heutzutage explizit als eine Art hedonistische Selbstdisziplinierung dar. (Ich sage hier «explizit», weil die Askese ungeachtet ihres «offiziell» lustfeindlichen Charakters schon immer libidinös besetzt war und als lustvoll erfahren wurde.)

Heute ist jeder Peggy

Einen sehr treffenden Eindruck von der Arbeitswelt und dem Management-Verständnis des damaligen Kapitalismus vermitteln zwei Szenen aus der ersten Staffel der Fernsehserie Mad Men, mit denen wir uns im Folgenden befassen wollen. Die in dieser Serie gezeigte Welt unterscheidet sich nämlich radikal von der heutigen. Während sich der Kapitalismus der 1960er-Jahre lediglich parasitär und ausbeuterisch der kreativen Potentiale der Beschäftigten bediente, bleibt unter den Bedingungen des heute dominierenden neo- beziehungsweise nihiliberalen Kapitalismus für die Kreativität überhaupt keinen Raum mehr. In der ersten Szene sehen wir, wie Cooper, der Chef der Werbeagentur, die den Schauplatz der Serie bildet, das Büro des Creative Directors Don Draper betritt. Cooper sagt, dass er sich nur schwer daran gewöhnen kann, dass er Draper nie richtig arbeiten sieht. Und das stimmt tatsächlich: Draper sitzt nämlich in vielen Szenen nur zurückgelehnt auf seinem Stuhl, starrt ins Leere und tut allem Anschein nach überhaupt nichts. Der heutige Zuschauer wird Coopers Verwunderung vermutlich teilen, aber gleichzeitig darüber staunen, dass Cooper es bei diesem Kommentar belässt, auf dem Absatz kehrtmacht und wieder zur Tür hinausgeht. Man stelle sich einmal vor, wie eine solche Szene heutzutage verlaufen würde. Statt darauf zu vertrauen, dass Draper schon weiss, was er (nicht) tut, und ihm die Wahl seiner Mittel selbst zu überlassen, wie Cooper es tut, würde ein heutiger Chef Draper mit sinnloser Arbeit zumüllen, um sicherzustellen, dass der Mann jederzeit erkennbar arbeitet. Tatsächlich ist diese Denkungsart ursächlich für die in der heutigen Berufswelt so häufig zu beobachtende sinnlose Geschäftigkeit, die Produktivität lediglich vortäuscht. Im Übrigen steht die sogenannte «kognitive Arbeit» auch deswegen in so geringem Ansehen, weil eigenständiges Denken so ungefähr das letzte ist, was in der heutigen Arbeitswelt gefragt ist. Als Arbeit gilt schliesslich nur, was schon von weitem als solche zu erkennen und ausserdem quantifizierbar ist. Deshalb gilt beispielsweise die Beantwortung von E-Mails als «richtige» Arbeit, einfach «nur» nachzudenken dagegen nicht. Schlimmer noch: Der Nachweis der eigenen Arbeit lässt sich am einfachsten dadurch erbringen, dass man anderen die Resultate dieser Arbeit in Form von Statistiken, Qualitätsdokumentationen, Rechenschaftsberichten etc. zur Kenntnis bringt. Und auch E-Mails gelten natürlich als ein solcher Nachweis. Und so dreht sich das Karussell immer schneller. 

In einer anderen Mad Men-Szene gibt Draper seiner Sekretärin Peggy, die unbedingt Werbetexterin werden möchte, einen Rat. Die junge Frau kommt mit einem Text, den sie schreiben soll, einfach nicht weiter. Deshalb empfiehlt Draper ihr, zunächst lediglich sehr gründlich über das Thema nachzudenken und es dann so lange aus ihren Gedanken auszublenden, bis sich die Lösung spontan einstellt. In der heutigen Arbeitswelt dagegen wäre es gänzlich undenkbar, jobbedingte Probleme vorübergehend «auszublenden», sie dem eigenen Unterbewusstsein zur Bearbeitung zu überlassen und sich dann um andere Dinge zu kümmern. Ebenso unerwünscht wäre es, wenn jemand im Büro einfach auf dem Stuhl sitzt und nachdenkt. Kurz: Heute dürfen wir im Berufsleben weder die Gedanken frei schweifen lassen noch wirklich gründlich über ein Problem nachdenken. Stattdessen ist unser Gehirn einem unaufhörlichen Trommelfeuer externer Reize ausgesetzt. Mal überflutet uns das im Berufsleben verlangte Multi-Tasking mit Reizen, mal unser privates Suchtverhalten im kapitalistischen Cyberspace. (Dabei ist dieses «private Suchtverhalten» durchaus kein moralisches Versagen, vielmehr wird es systematisch von jenen gesellschaftlichen und ökonomischen Kräften gefördert, die uns das Recht auf autonomes Denken und Handeln absprechen.) Dass die Don Drapers dieser Welt seinerzeit in ihrem Büro einfach auf ihrem Stuhl sitzen und nachdenken konnten, wäre ohne ein hohes Mass an Ausbeutung freilich nicht möglich gewesen. Opfer dieser Ausbeutung waren etwa Frauen wie Peggy oder auch Drapers Frau Betty, die daheim den Haushalt führt, während Draper Überstunden macht und diversen Affären hat. Allerdings hat die Gleichheitsverheissung des Neoliberalismus nicht etwa dazu geführt, dass heute jede/r ein Don Draper sein könnte, vielmehr befinden wir uns nunmehr alle in derselben Situation wie Peggy in der ersten Mad Men-Staffel und sind gezwungen, den Grossteil des Tages mit irgendwelchen Formalitäten zu verbringen, die Beschäftigung mit unseren kreativen Impulsen und Ideen hingegen in die Freizeit zu verschieben. Wie wir bereits gesehen haben, nimmt diese Belastung sogar noch zu, weil der Begriff des offiziellen Arbeitstages unter den Bedingungen des heutigen Kapitalismus allmählich seine Bedeutung verliert. Die Schufterei kennt inzwischen keine Grenzen mehr. Ausserhalb – ja sogar innerhalb -  der Bürozeiten bleibt schlicht keine Zeit mehr zum Nachdenken, und es ist auch weit und breit kein Manager zu entdecken, der sich für den Schutz eines solchen Freiraums einsetzen würde. 

Managerialismus und kommunikativer kapitalistischer Realismus

Wie lässt sich die Forderung nach einer weiteren Management-Akzeleration unter solchen Umständen als fortschrittlich bezeichnen? Falls Berardi Recht hat, steht die kapitalistische Arbeitskultur ja heute bereits vor dem Problem einer völlig übertriebenen Beschleunigung und Strukturierung. Da unser Leben ohnehin schon bis ins kleinste Detail gemanagt, fremd- und selbstkontrolliert ist, sieht Berardi nur einen Ausweg: Entschleunigung und Rückzug. Wenn das Problem des heutigen Kapitalismus nun aber gar nicht etwa in einem Management-Über-, sondern vielmehr in einem -Unterangebot besteht? Die flächendeckende Vereinnahmung der Institutionen und der Ideologie durch den Neoliberalismus hat dazu geführt, dass wir neuerdings Management mit Managerialismus gleichsetzen. Wobei der Begriff des Managerialismus auf ein spezifisches Set von Strategien verweist, die darauf abzielen, eine möglichst breite Verankerung neoliberaler Konzepte und Praktiken zu ermöglichen, oder wie Kathleen Lynch schreibt:

Der Managerialismus ist der organisatorische Arm des Neoliberalismus ... Auch wenn es falsch wäre, den neuen Managerialismus als ein geschlossenes Ganzes zu betrachten, das in unterschiedlichen kulturellen und ökonomischen Kontexten stets nach denselben Kriterien zum Einsatz kommt, lassen sich dennoch einige Schlüsselkriterien des Managerialismus benennen, die beim Redesign des öffentlichen Sektors stets nachweisbar sind: eine Bevorzugung des Outputs gegenüber dem Input; eine genaue Überwachung der Mitarbeiter-Performance und eine gewisse Nötigung zum Selbst-Monitoring mit Hilfe von Leistungsindikatoren, -rankings und -tabellen und durch Leistungsmanagement. Die Delegierung der Budget- und der Personalzuständigkeit an die unmittelbaren Vorgesetzten bei Wahrung des Macht- und Kontrollmonopols der Zentrale und die Durchsetzung neuer arbeitsrechtlich prekärer Beschäftigungsverhältnisse dienen dazu, die Kosten zu senken und Kontrolle auszuüben.[5]

Lynch verweist ferner darauf, dass die Einführung des Managerialismus im öffentlichen Sektor die Verdrängung der Gemeinwohlorientierung durch marktwirtschaftliche Mechanismen erheblich begünstigt hat. Ganz allgemein würde ich sagen, dass der Managerialismus den Siegeszug des von mir so genannten kapitalistischen Realismus entscheidend gefördert hat, also die allgemeine Überzeugung, dass der Kapitalismus alternativlos ist. Dabei kommt der Übernahme des Jargons und der Handlungsmaximen des Marktes die Funktion zu, den Neoliberalismus zu naturalisieren und die Ökonomie als jene «Realität» zu etablieren, an die sich die «Elfenbeintürme» des öffentlichen Sektors gefälligst anzupassen haben. So erscheint jede Alternative zum Kapitalismus aus der Perspektive des kapitalistischen Realismus als obsoletes Relikt der Vergangenheit.

Die Kombination von kommunikativem Kapitalismus und Managerialismus hat den kommunikativen kapitalistischen Realismus hervorgebracht. Die überragende Rolle neuer mobiler Geräte und die allgemeine Akzeptanz der flächendeckenden Dominanz digitaler Kommunikationstechniken haben dazu geführt, dass die Prinzipien des Managerialismus inzwischen vollständig das allgemeine Bewusstsein prägen. So gestattet es etwa das Management per iPhone, Anweisungen mit einem minimalen Reflexionsaufwand blitzschnell zu verbreiten. Auch die E-Mail-Technik selbst eignet sich hervorragend für managerialistische Zwecke, gestattet sie es doch, - im Prinzip – beliebig vielen räumlich getrennten Individuen in ein und demselben Augenblick Anweisungen zu erteilen.  Individuen, die auf dem Smartphone berufliche E-Mails empfangen, sind meist gerade – mehr oder weniger – allein unterwegs und können sich nur schwer oder gar nicht mit anderen solidarisieren. PDF-Anhänge verschleiern den Arbeitsaufwand, der auf den jeweiligen Empfänger zukommt, weil ein solcher Anhang ebenso gut eine wie Hunderte von Seiten umfassen kann. Wenn ein bestimmter Arbeitsvorgang aus dem analogen in den digitalen Modus transferiert wird, stellt sich häufig das von Berardi beschriebene Überforderungsgefühl ein. Dabei wird aus dem Stapel Papier, den es bisher abzuarbeiten galt, unversehens eine Flut von Daten. Wer am Bildschirm - vor allem eines mobilen Gerätes - arbeitet, vermag die Menge der jeweils anstehenden Arbeit oftmals nicht mehr richtig einzuschätzen. Deshalb stellt sich unter diesen Bedingungen häufig ein Gefühl der Desorientierung ein, der Eindruck, einem uferlosen Datenstrom hilflos ausgeliefert zu sein. Dieses Gefühl der Überforderung geht zugleich mit dem Bewusstsein einher, dass jeder Einwand gegen die kapitalistische Digitalisierung der Arbeit per se von Rückwärtsgewandtheit zeugt, dem Versuch, sich der digitalen Zukunft zu widersetzen.

Nichts von alledem ist dazu angetan, die berufliche Leistung eines Arbeitnehmers zu verbessern. Ganz im Gegenteil: Unter den Bedingungen des kommunikativen kapitalistischen Realismus arbeitende Menschen sind meist ängstlicher als ihre vor-digitalen Pendants und können sich auch nicht mehr so gut konzentrieren wie diese. Sollte es sich bei der Implementierung des kommunikativen kapitalistischen Realismus also um den Versuch handeln, die Produktivität zu steigern, so muss das Konzept als gescheitert gelten. Allerdings ist eine derartige Steigerung der Produktivität weder das eigentliche Ziel dieses Konzepts noch des Managerialismus oder des Neoliberalismus überhaupt. Im Übrigen sollten wir nicht auf die Versprechungen des Neoliberalismus hereinfallen, dem es angeblich vor allem um die Ausweitung der persönlichen Handlungsfreiheit und die Verbesserung der ökonomischen Effizienz geht. Dabei hofft er diese beiden Ziele zu erreichen, indem er den Bürger vor bürokratischer Gängelung schützt und den angeblich so ineffizienten öffentlichen Sektor durch Marktmechanismen ersetzt. Doch wie David Graeber überzeugend dargelegt hat, ist das neoliberale Regierungshandeln weniger auf ökonomisches Wachstum als vielmehr auf die Unterwerfung der abhängig Beschäftigten gerichtet. Dabei dient das Klischee der persönlichen Freiheit lediglich der Verschleierung des Umstands, dass der Neoliberalismus kollektives Handeln systematisch zu unterbinden sucht. «Für den Neo-Liberalismus ist der Kapitalismus die einzig denkbare ökonomische Option. Deshalb verschwenden seine Adepten keinen einzigen Gedanken an die Frage nach einem langfristig lebensfähigen alternativen Wirtschaftssystem«, schreibt Graeber. «Im Übrigen spricht alles dafür, dass die Lockerung des Kündigungsschutzes bei gleichzeitiger Verlängerung der Arbeitszeiten der Produktivität der Beschäftigten nicht gerade förderlich ist und sich zudem auf ihre Kreativität und ihre Loyalität eher negativ auswirkt. Das heisst: Nicht einmal unter ökonomischen Vorzeichen betrachtet ist diese Politik erfolgreich – ein Eindruck, den die niedrigen Wachstumsraten der 80er- und 90er-Jahre fast überall auf der Welt bestätigen ... Unbestreitbar ist allerdings, dass die Entscheidung für die neoliberale Option zu einer Entpolitisierung der abhängig Beschäftigten und zu einer Überdeterminierung der Zukunft geführt hat.»[6]

Der Akzelerationismus in neuer Perspektive

Graeber trägt dieses Argument im Zusammenhang der Frage vor, warum es dem Neoliberalismus nicht gelungen ist, seine grossspurigen Versprechungen einzulösen: «fliegende Autos..., Kraftfelder, Traktorstrahlen, Teleportationsvehikel, Anti-Schwerkraft-Schlitten, Trikorder, Unsterblichkeitspillen und Marskolonien», lauter technische Verheissungen, die in einer bestimmten Phase des Zwanzigsten Jahrhunderts mal im Angebot waren. Nach Graebers Auffassung - die sehr stark durch Fredric Jamesons Postmodernism, or the Cultural Logic of Late Capitalism beeinflusst ist -  hat sich der Aufstieg des Neoliberalismus parallel zur Verdrängung der im Kontext der Weltraumforschung entwickelten Techniken durch die Simulationstechniken vollzogen. «Das postmoderne Denken besteht in dem Bewusstsein«, so Graeber, »dass wir zwar in eine beispiellose neue Epoche eingetreten sind, dort angekommen, aber sogleich begreifen mussten, dass es eigentlich nichts Neues gibt; dass die grossen historischen Fortschritts- und Freiheitsnarrative inhaltsleer sind; dass heutzutage alles Simulation ist: ironische Wiederholung, Fragmentierung und Pastiche. Diese Haltung ergab durchaus einen Sinn in einem technischen Umfeld, dessen Durchbrüche es erleichterten, virtuelle Projektionen von Dingen zu kreieren, zu transferieren und rearrangieren, die es entweder bereits gab oder die es – wie wir feststellen mussten - niemals geben sollte. Hätten wir dagegen in geodätischen Kuppeln auf dem Mars Ferien machen oder etwa Atomkraftwerke und telekinetische Gedanken-Lese-Maschinen im Taschenformat mit uns herumtragen können, wäre nie jemand auf die Idee gekommen, so zu reden.»[7]

Im Folgenden wollen wir uns jedoch zunächst mit den neueren Debatten um den Begriff des Akzelerationismus befassen.[8] Seine Bedeutung verdankt der akzelerationistische Diskurs unter anderem dem Versuch, eine Politik um ein Problem herum zu entwickeln, auf das Graeber hingewiesen hat, nämlich die Tendenz eines neoliberalen/postmodernen Kapitalismus, genau jene technischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Kräfte massiv zu behindern, von denen er bereits abhängig ist, während er sie selbst erst hervorbringt. Es gibt zwar durchaus Kritiker, die den Akzelerationismus als häretische Form des Marxismus denunzieren, dennoch stimmen dessen wichtigste Vordenker mit Marx in der Auffassung überein, dass der Kapitalismus zwangsläufig die Produktivitätspotentiale konterkariert, die er selbst generiert.

Allgemein gesprochen lassen sich drei Phasen der akzelerationistischen Theorie unterscheiden. (Obwohl sie natürlich Vorläufer hat: z. B. Marx selbst. Wobei The Accelerationist Reader auch Nikolai Fjodorow, Samuel Butler und Thorstein Veblen als Protagonisten späterer akzelerationischer Positionen qualifiziert.) Die erste Phase ist vor allem durch Gilles Deleuze´ und Felix Guattaris Anti-Ödipus und Jean-François Lyotards Libidinöse Ökonomie inspiriert. Deleuze´ und Guattaris Position  ergibt sich aus ihrer Analyse des Kapitalismus, der nach ihrer Auffassung vor allem durch ein Spannungsverhältnis zwischen «Deterritorialisierung» und «Reterritorialisierung» charakterisiert ist. Die deterritorialisierenden Kräfte bringen die etablierten Identitäten, Grenzziehungen und Privilegien in Bedrängnis; sie eröffnen neue Handlungsspielräume und erschliessen neue Potentiale. Die reterritorialisierenden Kräfte dagegen entfalten die entgegengesetzte Wirkung und sind darauf aus, die etablierten Abgrenzungen und die archaischen Formen religiöser, nationaler, autoritärer Macht wiederherzustellen. Deuleuze und Guattari vertreten die Auffassung, dass der Kapitalismus durch dieses Spannungsverhältnis definiert ist, dass er also notwendigerweise auch archaische Elemente beinhaltet. Man könnte deshalb auch sagen, dass der Kapitalismus zutiefst anachronistisch ist, dass sich in ihm wie in einer Steampunk-Collage das technisch Neue mit dem gesellschaftlich Rückschrittlichen verbindet: Ein typisches Beispiel dafür ist das Grossbritannien des Einundzwanzigstens Jahrhundert mit seiner Austeritätspolitik, eine Gesellschaft, in der Armentafeln und das iPhone koexistieren. Für die Akzelerationisten folgt aus diesen Verhältnissen, dass sich die deterritorialisierenden Kräfte der Modernisierung gegen die reaktionären Vorkämpfer der Reterritorialisierung verbünden müssen. Eine weitere Schlussfolgerung lautet, dass es keine (kulturelle, politische oder emotionale) Sphäre gibt, die nicht vom Kapitalismus infiziert wäre. Ein von diesem unberührtes Aussen des Kapitalismus gibt es nicht, einen «Ort», von dem aus sich ein Angriff gegen diese Wirtschafts-/Gesellschaftsordnung führen liesse. Umgekehrt findet sich in der kapitalistischen Welt aber auch kaum etwas, was einzig und allein dieser Welt zugehört. Tatsächlich sind die Anstrengungen, die das Kapital unternehmen muss, um die technischen und gesellschaftlichen Potentiale zu bändigen, die seine Herrschaft selbst generiert, der beste Beweis dafür, dass die Realisierung dieser Potentiale unter anderen polit-ökonomischen Bedingungen ohne weiteres möglich wäre. Klar ist aber auch, dass sich diese Potentiale tatsächlich nur unter völlig anderen Bedingungen verwirklichen lassen.

Die zweite Phase des akzelerationistischen Denkens steht in einem engen Zusammenhang mit den Theorien, die Nick Land in den 90er-Jahren entwickelt hat. Bei den von der damaligen Cyber-Kultur inspirierten Texten handelte es sich gewissermassen um ein Cyber-«gotisches» beziehungsweise ein technihilistisches Konglomerat von Deleuze und Guatarri. Lands Argumentation wird häufig als neoliberal bezeichnet, dabei vertritt er eigentlich einen «Libertarianismus», der die Autonomie nicht-menschlicher Kräfte feiert. In Lands Vision bleibt für die menschliche Freiheit wenig Raum. Vielmehr identifiziert er sich mit den Kräften einer revolutionären Deterritorialisierung, die uns Menschen lediglich als Puppen beziehungsweise – treffender ausgedrückt – als Maschinenteile begreift. Tatsächlich geht Land über das von Deleuze/Guattari konstatierte Spannungsverhältnis zwischen Deterritorialimus und Reterritorialismus im Kapitalismus einfach hinweg und betrachtet das Kapital als eine ungebrochen revolutionäre Kraft, die von dem Impuls geleitet ist, dem von ihm so genannten «menschlichen Sicherheitssystem» zu entkommen.

Lands wichtigster Beitrag zur dritten Phase des akzelerationistischen Denkens besteht in der Herausforderung, vor die er die zeitgenössische linke Theorie stellt. Er verspottet die Linke wegen ihrer Rückwärtsgewandtheit und Technophobie und weil sie lediglich Systemkritik und Widerstand als Attraktionen zu bieten hat. Das Kapital dagegen betrachtet er als ein vitalistisches Energiesystem, das stets darauf bedacht ist, die je bestehenden (und zugleich damit auch die eigenen) Grenzen zu überschreiten. Die dritte Phase des akzelerationistischen Denkens wollte diese Argumentation so nicht gelten lassen und widersprach Land in mehreren Punkten. So heisst es etwa in Nick Srniceks und Alex Williams´ #Accelerate: Manifesto For an Accelerationist Politics, einem Text, der heute als Gründungsdokument des neuen linken Akzelerationismus gilt: «Die Linke zerfällt heute in zwei Lager: Da sind einerseits diejenigen, die eine von Bürgerengagement getragene, regional verankerte, der direkten Aktion und dem Horizontalismus verpflichtete Auffassung von Politik vertreten, und andererseits die Befürworter einer akzelerationistischen Politik, die kein Problem mit einer modernen Welt der Abstraktion, der Komplexität, der Globalität und der Technik haben.»[9] Was uns hier an Srniceks und Williams´ Einlassung interessiert, ist genau dieser Gegensatz zwischen einer Politik der Unmittelbarkeit, der Spontaneität und authentischer Erfahrung und jenem anderen Politikverständnis, dem es vor allem um jene (virtuellen und materiellen) Infrastrukturen geht, ohne die sich ein nachhaltiger gesellschaftlicher Wandel nicht erreichen lässt. Ein Beispiel für das von Srnicek und Williams erwähnte Prinzip der Bürgerbeteiligung ist die Occupy-Bewegung samt ihrer Forderung nach direkter Demokratie und ihrer Ablehnung des Parlamentarismus und der Massenmedien (und überhaupt aller Formen von Mediation). Diese Forderung ist jedoch kein Eigengewächs der Occupy-Bewegung, sie geht vielmehr auf den antikapitalistischen Protest der 90er-Jahre zurück. Im Umfeld dieser Szene herrscht eine neo-anarchistische Stimmung vor: die Auffassung, dass das Zeitalter der politischen Parteien und der Gewerkschaften vorbei ist. Deshalb setzen sich ihre Anhänger für die Einrichtung selbstverwalteter horizontaler Netzwerke ein und lehnen die von ihnen als repressiv (und obsolet) empfundenen hierarchischen Strukturen ab. 

In der Praxis war das Ergebnis eine Politik, die sowohl Elemente des Protests (gegen einzelne Missstände) beinhaltete als auch Formen einer - bereits auf eine neue Gesellschaft vorausweisenden - politischen Interaktion. Wobei es einer solchen Kombination philosophisch, libidinös und strategisch an der nötigen Kohärenz fehlt. Denn die innere Logik des politischen Protests lässt sich nicht ohne weiteres mit den Ansprüchen einer bereits die Zukunft antizipierenden Form sozialer Interaktion zur Deckung bringen. Protest setzt ein grosses ANDERES voraus, eine mächtige Autorität, die den Protest zur Kenntnis nehmen und auf seine Forderungen reagieren kann. Die bereits die Zukunft antizipierenden Strukturen sozialer Interaktion dagegen sind über diese Konfrontation in gewisser Hinsicht schon hinaus. Ein Mittelding zwischen diesen beiden Strategien ist die direkte Aktion. Wobei es dabei vielfach nicht etwa um ein politisches Handeln geht, das die logistischen Operationen des Kapitals stört, sondern um eine symbolische Zerstörung von Eigentum, die in der Praxis jedoch leicht verschmerzbar ist oder sich sogar propagandistisch nutzen lässt. 

In Abgrenzung zu diesen etwas diffusen Strategien und Orientierungen verweist der linke Akzelerationismus auf die Bedeutung der indirekten Aktion: also eines politischen Handelns, das gegen die hegemonialen ideologischen Infrastrukturen gerichtet ist, die unsere Wirklichkeitserfahrung strukturieren. Hier kommt wieder die Frage des – aus neo-anarchistischer Sicht repressiven – Managements ins Spiel. Wobei die zentrale Bedeutung dieser Frage immerhin eine Unterscheidung zwischen politischer Handlungsfähigkeit und ihren Voraussetzungen impliziert, zwischen dem konkret Gegebenen und den virtuellen Maschinerien, die unsere Erfahrung strukturieren. Sie beinhaltet überdies, dass sich die Linke von dem Modell des Aufstands verabschiedet, an  dem sich das aktivistische Denken seit den 1960er-Jahren orientiert, und sich stattdessen Gedanken darüber macht, was sie tun würde – beziehungsweise tun wird -, wenn sie einmal die Kontrolle über die gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Ressourcen übernimmt. Im übrigen gestattet es uns die linke akzelerationistische Perspektive, das Thema Management für das kommunistische beziehungsweise das sozialistische Projekt als fundamentalen Wert zu reklamieren. Was ist eine kommunistische Gesellschaft denn anders als eine «gemanagte» Gesellschaft? Allerdings verweist der Begriff des «Managements» hier nicht etwa auf eine autoritäre Kommandowirtschaft. Für eine Kombination von Autoritarismus und gesellschaftlichem und politischem Chaos steht vielmehr der neo-liberale Managerialismus, der jegliches Initiativrecht dem blinden Mechanismus des Profitinteresses überantwortet. Besonders anschaulich hat Francis Spufford diesen Zusammenhang in seinem aussergewöhnlichen Buch Red Plenty dargestellt. In dem Buch geht es um jene kurze historische Phase in der Geschichte der poststalinistischen UdSSR, in der die sowjetische Wirtschaft schneller wuchs als ihr US-Gegenstück und die vollständige Realisierung der kommunistischen Gesellschaft zum Greifen nah schien. Trotzdem bestreitet das Buch weder das Scheitern dieses Traums, noch versucht es, das (in dieser poststalinistischen Phase tatsächlich spürbar weniger autoritäre und repressive) Sowjetsystem zu rechtfertigen. Vielmehr möchte es den Ehrgeiz neu entfachen, von dem das linke Projekt einmal beseelt war. Denn zwischen dem Aufstieg des Sponti-Aktivismus und des Neo-Anarchismus auf der einen und dem Niedergang dieses Ehrgeizes auf der anderen Seite lässt sich zweifellos eine gewisse Korrelation aufzeigen: Wo es früher das Ziel der Linken war, eine gemanagte Gesellschaft auf die Beine zu stellen, begnügt sie sich heute damit, zeitlich befristet autonome Zonen einzurichten: kleine von den Zumutungen des Kapitalismus abgeschirmte Rückzugsorte. Die in Red Plenty angebotene Perspektive dagegen ist eindeutig akzelerationistisch, da sie voraussetzt, dass der Kapitalismus – mit seinen unbestreitbaren Wundern – lediglich eine Durchgangsstation auf dem Weg zum Kommunismus ist. Doch während der Kapitalismus gute Dinge nur planlos und zufällig hervorbringt, ist die kommunistische Gesellschaft darauf bedacht, diese Errungenschaften gezielt zu entwickeln und vernünftig aufeinander abzustimmen. Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, schreibt der Autor bereits am Anfang des Buches über eine seiner Figuren: 

Er hatte das Glück, in dem einzigen Land der Welt zu leben, wo die Menschen die Macht ergriffen hatten, um das Geschehen nach den Massstäben der Vernunft zu gestalten und es nicht einfach dem Zufall zu überlassen. Nur hier hatten sich die Leute von diesem schwarzen Unsinn befreit und es übernommen, die Wirklichkeit selbst zu gestalten, statt lediglich ihr Spielball zu sein.[10]

Die linke akzelerationistische Position hat zu so vielen Missverständnissen geführt, dass Srnicek und Williams in Inventing the Future: Folk Politics and the Left, ihrem bislang letzten Buch vollständig auf den Begriff verzichtet haben. Dabei machen dem linken Akzelerationismus vor allem zwei Irrtümer hartnäckig zu schaffen. Der erste besteht in der Annahme, dass es Ziel des Akzelerationismus ist, «die Situation zunächst einmal zu verschlechtern, um sie letzten Endes zu verbessern»: das Elend des Kapitalismus soweit zu steigern, dass es gänzlich unerträglich und die Revolution unvermeidlich wird. Wie ich bereits weiter oben dargelegt habe, entspricht diese Auffassung nicht der linken akzelerationistischen Position. Vielmehr befürworten die Akzelerationisten eine Intensivierung jener Prozesse, die letztendlich zur Auflösung der Herrschaft und Hegemonie des Kapitals führen. Den Akzelerationisten geht es auch nicht etwa darum, den Kapitalismus schlicht zu beschleunigen oder dessen krasseste Symptome zu verstärken. Der zweite Irrtum besteht in der Annahme, dass es sich bei der fraglichen Beschleunigung um eine phänomenologische Akzeleration handelt. Wie es zu diesem Missverständnis kommen kann, ist leicht zu verstehen, und tatsächlich wendet sich Franco Berardi in seiner weiter oben bereits angesprochenen Kritik ja gerade gegen die Gleichsetzung der Akzeleration mit einer unaufhaltsamen Beschleunigung der Erfahrung. Dagegen betrifft die Beschleunigung, für die sich der linke Akzelerationismus interessiert, Prozesse und Tendenzen, nicht die Erfahrung. Ja, man könnte sogar behaupten, dass die Überflutung unserer Psyche - auf individueller wie auf kollektiver Ebene – mit den von Berardi angesprochenen Stimuli auf politischer und kultureller Ebene sogar eine Entschleunigung (Dezeleration) ausgelöst hat. Schliesslich verfügt ein psychisch überforderter Mensch nicht mehr über die nötigen emotionalen und intellektuellen Ressourcen, um etwas Neues auf den Weg zu bringen. Ein Mensch, der – wie die weiter oben erwähnten CEOs – pausenlos mit «kapitalistischen» Reizen bombardiert wird, ist schlicht ausserstande, vorausschauend zu planen oder sich einen Überblick über die Gesamtsituation zu verschaffen. Stattdessen verbreiten solche Leute vor allem Panik und schikanieren andere mit ihrem lediglich reaktiven Prioritätenmanagement. Das Ergebnis ist ein rasender Stillstand, der sich einzig durch eine radikale Neuorientierung unseres Zeit- und Ressourcenmanagements überwinden liesse.

Inzwischen dürfte klar geworden sein, dass der Ruf nach einer Management-Akzeleration in diesem Text zugleich darauf abzielt, das Management-Konzept aus der Geiselhaft des neoliberalen Managerialismus zu befreien. Wichtig ist in diesem Zusammenhang ferner, dass wir die Rolle des Managements im Bereich der Kultur und der kreativen Arbeit neu bedenken. So haben Jeremy Gilbert und ich an anderer Stelle beispielsweise die Frage gestellt: «Ist es für einen Manager nicht deutlich attraktiver, ein Brian Epstein oder ein Tony Wilson des öffentlichen Sektors zu sein als einer jener geist- und herzlosen Profitmaximierer, wie sie der Neoliberalismus mit Vorliebe hervorbringt?»[11] Sind nicht auch Führungskräfte vorstellbar, die uns nicht ständig ihre eigene Arbeitssucht als Massstab aller Dinge verkaufen, sondern uns einfach mal vor Überarbeitung schützen? Sind nicht genauso gut Manager vorstellbar, die ihre Aufgabe darin sehen, ihren Mitarbeitern einen Raum zum Denken zu verschaffen, statt sie mit tausend Kleinigkeiten zu überhäufen?

Gutes Management ist nicht nur für die Ressourcen-Allokation von zentraler Bedeutung. Zu seinen Aufgaben gehört es ferner, Bedingungen zu schaffen, die es unseren Gesellschaften gestatten, «die Wirklichkeit [wieder selbst] zu gestalten, statt lediglich ihr Spielball zu sein»: unser kollektives Schicksal wieder selbst in die Hand zu nehmen. Und natürlich darf sich die Linke nicht in der Überzeugung beirren lassen, dass sie allein in der Lage ist, die Gesellschaft angemessen zu managen.

 

[1] Tim Dowling, Laura Barnett und Patrick Kingsley, «What Time Do Top CEOS Wake UP», The Guardian, 1. April 2013, https://www.theguardian.com/money/2013/apr/01/what-time-ceos-start-day (Zugriff am 30.06.2016).
[2] Franco Berardi, Democracy and other Neoliberal Fantasies: Communicative Capitalism and Left Politics (London und New York: Duke University Press, 2009), 24. 
[3] ders., Precarious Rhapsody: Semiocapitalism and the Pathologies of the Post-Alpha Generation (London: Minor Compositions, 2009), 41. 
[4] Franco Berardi, «Accelerationism Questioned from the Point of View of the Body» in e-flux Journal, #46, Juni 2013 (Zugriff am 30.06. 2016).
[5] Lynch, Kathleen. «‹New Managerialism› in Education: the Organisational Form of Neoliberalism», OpenDemocracy, 16.09.2014, https://www.opendemocracy.net/kathleen-lynch/’new-managerialism’-in-education-organisational-form-of-neoliberalism (Zugriff am 14.06.2016).
[6] David Graeber, «Of Flying Cars and the Declining Rate of Profit», The Baffler Nr. 19, 2012, http://thebaffler.com/salvos/of-flying-cars-and-the-declining-rate-of-profit (Zugriff am 16.06.2016).
[7] Ibid.
[8] Eine detaillierte Diskussion des Begriffs findet sich in der Einleitung zu #Accelerate: The Accelerationist Reader, Armen Avanessian und Robin Mackay (Hg.), Falmouth: Urbanomic, 2014.
[9] Nick Srnicek und Alex Williams, «#Accelerate: Manifesto For an Accelerationist Politics», in Avanessian and Mackay, 354.
[10] Francis Spufford, Red Plenty (London: Faber and Faber, 2010), 11.
[11] Mark Fisher und Jeremy Gilbert, «Reclaim Modernity: Beyond Markets, Beyond Machines», Compass pamphlet, Oktober 2014, http://www.compassonline.org.uk/wp-content/uploads/2014/10/Compass-Reclaiming-Modernity-Beyond-markets_-2.pdf (Zugriff im Februar 2017).