Die nunmehr elfte Ausgabe der Manifesta wird vom deutschen Künstler Christian Jankowski kuratiert und bespielt zahlreiche institutionelle und nicht institutionelle Orte in Zürich. Getragen von der niederländischen Non-Profit-Organisation International Foundation Manifesta mit Sitz in Amsterdam, will die Biennale – so heisst es auf der Website – das psychologische und geografische Territorium Europas ausloten und die sozialen, kulturellen und politischen Entwicklungen eines Kontinents in Veränderung fokussieren. Unter dem Titel What People Do for Money rückt die diesjährige Ausstellung die Arbeit ins Zentrum. Sie fragt, was Arbeit sein kann, welchen Stellenwert Arbeit in der Gesellschaft und im individuellen Lebensentwurf einnimmt oder wie Arbeit uns verändert. In diesem von der Manifesta 11 skizzierten Themenfeld tummelt sich eine Vielzahl von Begriffen mit durchaus differenten Implikationen. Im Rückgriff auf betriebswirtschaftliche, sozialwissenschaftliche oder philosophische Definitionen kann Arbeit unterschiedlich ausgelegt und mal mehr oder mal weniger an produzierende, reproduzierende oder ökonomische Kriterien gebunden werden. In diesem Sinne ist Arbeit nicht zwingend bezahlte Lohnarbeit, kann Arbeit ein Beruf, muss aber keine Berufung sein. Die Manifesta verfolgt in diesem Kontext einen tradierten Arbeitsbegriff und fokussiert – der Ausstellungstitel impliziert es – ausschliesslich jene Tätigkeiten, die mit Geld entlohnt werden. Unbezahlte Care- oder Reproduktionsarbeit bleibt beispielsweise ausgeklammert.
Inhaltlich rückt die Ausstellung Arbeitsgemeinschaften zwischen Kunstschaffenden und Berufsleuten in den Fokus. Künstler/innen realisieren ihre Projekte in Kooperation mit einer Hundesalonbesitzerin, mit einem Angestellten der städtischen Wasseraufbereitungsanlange oder mit einem Uhrmacher. Künstlerische, oft selbstständige und mitunter entsprechend prekäre Arbeit trifft auf zumeist unselbstständige Lohnarbeit. Die konzeptuelle, koordinative und organisatorische Arbeit eines über 50-köpfigen internationalen Teams, das zwischen Zürich, Berlin, London, Amsterdam oder Barcelona arbeitet, trägt das Grossprojekt. Zusätzlich zu den Teammitgliedern, die bereits für frühere Ausgaben der Biennale tätig waren, wurden für die Zürcher Ausgabe im Bereich der PR- und Pressearbeit, der Kunstvermittlung oder der Produktion zahlreiche neue Stellen besetzt. Der hierfür angebotene Bruttolohn bei einem Hundertprozentpensum und einem zeitlich befristeten Arbeitsvertrag beträgt rund 3700 Franken. Wer besser verhandelt erhält mitunter mehr. Weiter sind zahlreiche Techniker/innen sowie das Aufsichtspersonal der beteiligten Zürcher Ausstellungsorte involviert. Die regulären Aufsichten der Kunsthalle – nicht selten sind es Künstler/innen, die mit dieser Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen – werden während der hunderttägigen Ausstellung durch sogenannte Volunteers ersetzt und sind dadurch gezwungen unbezahlten Urlaub zu nehmen. Dementsprechend eifrig sucht die Manifesta gegenwärtig Helferinnen und Helfer, die ehrenamtlich nicht nur die Ausstellung beaufsichtigen, sondern auch im Ticketverkauf, an Infoständen oder in der VIP-Betreuung arbeiten.
«What People Do for No Money» oder «What People Do for Little Money» wären also die passenderen Fragestellungen in diesem Kontext. Und ersetzen wir das unpersönliche «People» doch gleich durch ein uns alle einschliessendes «We» und fragen: «What Do We Do for Money?». Eine Reflexion über strukturelle Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse im Feld der Kunst müsste gerade im Rahmen der Manifesta zwingend stattfinden, die sie mit dem diesjährigen Thema gleichsam provoziert. Denken wir also nach über ein paar Dinge, die im Kontext der Manifesta 11 bis anhin erstaunlicherweise ausgeklammert, anderswo aber durchaus diskutiert werden.
Soziologische Ansätze beschreiben die autonomen und kreativen Künstlerinnen und Künstler als perfekte Verkörperung der Arbeiterinnen und Arbeiter in den postfordistischen Arbeitsstrukturen. Diese vermeintlichen Paradigmen künstlerischer Arbeit können auf andere Tätigkeiten im Feld der Kunst angewendet werden. Sich in einem zusehends globalisierten Kontext mit einer wachsenden Zahl von internationalen Kunstbiennalen positionierend, agieren gerade Kurator/innen oder andere Kunstvermittler/innen als Selbstunternehmer/innen und betätigen sich unter dem Deckmantel wohlklingender Topoi wie der Selbstverwirklichung oder der Selbstbestimmung als Manager/innen und als gewiefte Netzwerkbildner/innen. Zeitlich determinierte und räumlich unvorhersehbare Arbeitsverhältnisse, relativ geringe Entlohnung und die Verbreitung von Beschäftigungen auf Praktikumsbasis sind dabei oft die Regel. Solche Arbeitsbedingungen evozieren eine sozial ungesicherte, heikle Lage, die als prekär beschrieben werden kann. Diese Entwicklungen gehen einher mit einem wahren Professionalisierungsschub im Feld der Kunst. Kuratieren oder Kunstvermittlung können an Universitäten und Kunsthochschulen studiert werden. Die florierenden Studiengänge produzieren mehrheitlich weibliche Absolventinnen, was eine geschlechtsspezifische Strukturierung der Arbeitsbereiche bedingt und das Lohnniveau beeinflusst.
Nicht nur bleiben Arbeitsverhältnisse im Feld der Kunst unreflektiert, ihre prekären Ausformungen werden von der Manifesta in Zürich gegenwärtig forciert. Im Wissen um die Situation auf dem Arbeitsmarkt im Feld der Kunst können tiefe Löhne geboten und Gratisarbeit etabliert werden. «Want to help make Manifesta 11 happen? Look behind the scenes? Have fun?» wird auf dem Instagram-Account gefragt. Nun mögen ein Volunteereinsatz, ein Praktikum oder eine projektbasierte Stelle bei der renommierten Kunstbiennale zum Glanz eines Lebenslaufs beitragen, Miete und Lebensunterhaltskosten in Zürich decken sie jedoch kaum. In diesem Kontext muss auch nach der Rolle der öffentlichen Hand gefragt werden. Die Zürcher Ausgabe der Manifesta wird von der Stadt Zürich mit 2 Millionen Franken unterstützt. Das Engagement wird unter die kulturpolitischen Aktivitäten subsumiert. Ebenfalls fungiert der Kanton Zürich als Geldgeber. Auch hier ist das Renommée der Manifesta entscheidend. Es trägt zur Strahlkraft Zürichs als internationaler Kunst-Hotspot bei, beschert dem zumindest hinsichtlich seiner Bausubstanz serbelnden Löwenbräu neuen Glanz und Ansehen und befeuert die städtische Standortmarketingbemühungen. Und dennoch oder gerade deswegen steht die öffentliche Hand in der Verantwortung. Als Mitglied in der eigens für die Zürcher Ausgabe der Manifesta gegründeten Stiftung hat die Stadt Zürich Budgetkenntnisse. Entsprechend wäre es auch an ihr gelegen, sich nicht von dem Versprechen auf 100‘000 Besucherinnen und Besucher blenden zu lassen, sondern hinzuschauen und die budgetierten Personalkosten kritisch zu hinterfragen. Mit der Unterlassung dieser Kritik legitimiert die Stadt prekäre Arbeitsbedingungen, mitfinanziert durch öffentliche Kulturgelder.
Die Manifesta, die sich als kritische Augenzeugin positioniert – so Manifesta-Leiterin Hedwig Fijen an der Pressekonferenz vom 5. April – , gibt momentan reichlich irreführende Antworten auf die Frage What People Do for Money. Die Tatsache, dass die Manifesta die ausbeuterischen Tendenzen der Arbeitsverhältnisse im Feld der Kunst aktiv unterstützt, irritiert angesichts derart vollmundiger Selbstpositionierungen und dem Anspruch, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu befragen. Umso mehr liegt es an uns Kunst- und Kulturarbeiter/innen, Position zu beziehen. «What do we do?» und «How do we work?» sind die drängenden Fragen, über die wir gemeinsam nachdenken müssen und die Formen des Widerstandes entfachen sollten.
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