Montieren, archivieren, offenlegen

Silvia Kolbowski im Kunsthaus Glarus

Das Kunsthaus Glarus zeigt in zwei Räumen zwei Videos von Silvia Kolbowski: Who will save us? (2022) und Missing Asher (2019). Die Arbeiten widmen sich aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven der Herausbildung dysfunktionaler Dynamiken in kapitalistischen und neoliberalen Gesellschaftsformen. 
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Silvia Kolbowski, Who will save us?, 2022. Silvia Kolbowski, Who will save us?, Ausstellungsansicht, Kunsthaus Glarus, 2022. Courtesy die Künstlerin. Foto: Gunnar Meier

Das Video Who will save us? ist für die gleichnamige Ausstellung entstanden. In der Montage stellt Kolbowski zwei dystopische Science-Fiction-Filme gegenüber, die in unterschiedlichen Jahrzehnten produziert wurden: den Stummfilm Metropolis von Fritz Lang (1927) und THX 1138 von George Lucas (1971). In der Mitte des Raums lädt eine Tribüne zum Sitzen ein. Das Video wird auf eine grossformatige Leinwand projiziert und läuft im Loop. 

Zu Beginn läuft alles, «wie es soll»: Während die herrschende Klasse oben im Turm im «Club of Sons» Wissen und Kultur geniesst und ihr «Kopf» sich im Stuhl zurücklehnt, wandeln unter der Erde Arbeiter:innen in gleichgeschalteten Massen zur Schicht. Die Bilder aus Metropolis wechseln sich mit Ausschnitten aus THX 1138 ab, die blinkende Displays und Menschen in weissen Kitteln zeigen, die digitale Kommunikations- und Überwachungstechnologien bedienen wie die Arbeiter:innen in Metropolis mechanische Maschinen. In der Kontrastierung der beiden historischen Filme und ihrer Darstellung von Technik wird der Übergang von der Industrialisierung zur Digitalisierung, einer klar strukturierten Zweiklassengesellschaft zu individualistischen Tendenzen im Spätkapitalismus, greifbar. Letztere treten besonders in einer Szene aus THX 1138 hervor, in der die Hauptfigur, eingesperrt in einem weissen Raum, mehr Medikamente verlangt, um ihr psychisches Leiden zu mildern. Kolbowski betont in der Montage den Bruch. In der Überlagerung der beiden Filme zeigt sich aber auch eine Kontinuität. Das Leiden, das die unterschiedlichen Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme verursachen, wird in beiden unterdrückt, nur mit jeweils unterschiedlichen Mitteln. Während in THX 1138 die Psyche mit Medikamenten stabilisiert wird, wenden sich die Arbeiter:innen in Metropolis, als eine Maschine explodiert und die Stadt überschwemmt wird, nicht gegen die Elite. Anstatt sich gegen die repressiven Verhältnisse aufzulehnen, folgen die Arbeiter:innen der reisserischen Rede einer prominenten Person und laden die Schuld für die Zerstörung auf die Hexe.

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Silvia Kolbowski, Who will save us?, 2022, Filmstill. Courtesy die Künstlerin.

Im Spätmittelalter nahmen Hexenverbrennungen – wie Silvia Federici gezeigt hat – eine zentrale Rolle in der Herausbildung der kapitalistischen, patriarchalen Gesellschaftsordnung ein und fungierten vor allem als Instrument der Unterdrückung von Widerstand.[1] Bei Kolbowski tritt die Hexe als Projektionsfläche einer dysfunktionalen Gesellschaft auf, die in Strukturen der Verleugnung verhaftet bleibt. Die Polarisierung von Elite und Prekariat – die beide andere für das Leid verantwortlich machen – findet ein Echo in den ungleichen Machtverhältnissen im globalen Kontext der Gegenwart. Sie verweisen auf eine misogyne, rassistische und klassistische Politik, auf populistische Rhetoriken der Abgrenzung, die von einigen Machtinhaber:innen propagiert und auch von vielen aufgenommen werden, die von der aktuellen Krise am meisten betroffen sind. Anstatt mit einem Rückgriff auf die Vergangenheit eine bessere Zukunft zu imaginieren, führt Kolbowski in Who will save us? durch die Montage der historischen Filme die Nachwirkungen der Geschichte in der Gegenwart vor. Auf der für das Screening gebauten Tribüne sitzend, sind die Betrachter:innen am Ende als Öffentlichkeit angehalten, sich ihrer Rolle bewusst zu werden. 

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Silvia Kolbowski, Missing Asher, 2019. Silvia Kolbowski, Who will save us?, Ausstellungsansicht, Kunsthaus Glarus, 2022. Courtesy die Künstlerin. Foto: Gunnar Meier

Auch in Missing Asher verwebt Kolbowski unterschiedliche Quellen in einer Arbeit. Das Video ist eine Fortsetzung ihres mehrteiligen Projekts Enlarged from the Catalogue: Michael Asher Writings 1973–1983 on Works 1969–1979 (The Press of Nova Scotia College of Art and Design and the Museum of Contemporary Art, Los Angeles, 1983). Wir hören Kolbowskis Stimme aus dem Off, wie sie den Titel und dann einen ihrer Briefe an Michael Asher vorliest. Neben der Korrespondenz mit dem Künstler greift Kolbowski auf Erinnerungen und Zeitungsartikel zurück, um die Geschichte ihrer Arbeit zu erzählen, die auf einem Projekt von Asher beruht. Enlarged from the Catalogue: Michael Asher … entstand im Jahr 1990 für eine Gruppenausstellung in der S. Bitter-Larkin Gallery SoHo. Bereits während der Ausstellung wurde Kolbowskis Arbeit zweimal verkauft. Missing Asher dokumentiert die Entstehungs- und Lebensgeschichte des Projekts seit dem Verkauf und legt dabei Wertschöpfungsprozesse im neoliberal geprägten Kunstmarkt offen. 

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Silvia Kolbowski, Missing Asher, 2019, Filmstill. Courtesy die Künstlerin.

Die Bildsprache schwankt zwischen Präsentation und Dokumentation. Kolbowski blendet Zitate ein, die sie mal vorliest, mal nicht, integriert Fotografien, die im Zusammenhang mit ihrer und Ashers Arbeit stehen, nutzt monochrome Farbfelder, um die Erzählung zu strukturieren. Besonders fallen Sequenzen von Kolbowskis Händen auf, die eine Broschüre auf einen Tisch legen, sie vorsichtig auf und wieder zu falten oder diverse andere Dokumente ordnen, schichten und immer wieder Transparentpapier dazwischenlegen. Das Faltblatt ist Teil von Enlarged from the Catalogue: Michael Asher … Der sorgfältige Akt der (Selbst-)Archivierung steht in einem harten Kontrast zum Schicksal der Arbeit selbst, die Kolbowski am Ende ihrer Recherche beschädigt und unvollständig im Lager einer Galeristin wiederfindet. In der Nachverfolgung der Geschichte ihres Projekts und dem Briefwechsel mit Asher zeigt sich hingegen die ästhetische und intellektuelle Wertschätzung für konzeptuelle und diskursive Arbeiten, die im kapitalistischen Kunstmarkt fehlt. Auf den Mangel verweist Kolbowski in der Wiedergabe eines Gesprächs zur Ausstellungsvorbereitung mit dem Galeristen der S. Bitter-Larkin Gallery. Auf die Ankündigung, dass ihr Beitrag nicht sehr kommerziell ausfallen werde, antwortete der Galerist: «What is she talking about?». Kolbowski wiederholt diesen Satz im Video eindringlich und führt so nicht nur das Unverständnis gegenüber künstlerischen Arbeiten vor, die nicht in den Bereich konventioneller Studioproduktion fallen. Darin klingt auch die profitorientierte Überzeugung an, dass sich mit den richtigen Strategien fast alles verkaufen lässt. Was in der Frage verloren geht, ist die Bedeutung der Arbeit selbst. Diese rückt Kolbowski in Missing Asher in den Blick. Die Videoarbeit legt nicht nur Produktions- und Zirkulationsbedingungen künstlerischer Arbeiten im Kunstmarkt offen, sondern verhandelt die Wiederaufnahme und Weiterführung eigener Arbeiten (und die anderer Künstler:innen) als Möglichkeit, um alternative Wertschöpfungsprozesse in Gang zu setzen. Mit dem Fokus auf Prozesshaftigkeit, Recherche und Selbstreferenzialität verortet sich Kolbowski in der Geschichte der Konzeptkunst, die in Missing Asher eine Aktualisierung erfährt.

In beiden Videos nutzt Kolbowski die Montage als Verfahren, lenkt in der Gegenüberstellung und Inszenierung unterschiedlicher Quellen die Aufmerksamkeit von den erzählten Geschichten auf übergreifende Sinnzusammenhänge. In Who will save us? montiert Kolbowski allegorisch zwei Filme aus unterschiedlichen Zeiten, um politische, gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse in der Gegenwart zu beleuchten. In Missing Asher wiederum verfährt Kolbowski nüchtern dokumentarisch, erzählt anhand unterschiedlicher Materialien die Objektbiografie ihrer Arbeit und hebt auf diese Weise zeitgenössische Strukturen im Kunstmarkt hervor. Während Kolbowski in Who will save us? die Perspektive auf einen breiten gesellschaftspolitischen Kontext eröffnet, bleibt Missing Asher in der Selbstreferenzialität des Kunstsystems und den Regeln der Konzeptkunst verhaftet. Beide Arbeiten brauchen Zeit. Selbst nach längerem Nachdenken halten sie im Brecht’schen Modus auf Distanz und werfen so eine Reihe von Fragen auf: Wo stehen wir heute? Was machen kapitalistische und neoliberale Gesellschaftsordnungen mit uns und was mit Kunstwerken? Wie situieren wir uns innerhalb dieser Strukturen? In ihrer formalen Schärfe, zwischen Affekt und Reflexion, leiten die Arbeiten an, Position zu beziehen.

[1] Vgl. Silvia Federici, Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation, Wien 2012, S. 203–209.