Raphael Gygax: Du hast von 1984–1989 an der Universität für angewandte Kunst Wien studiert, wo du auch den Schweizer Künstler Ugo Rondinone kennengelernt hast.
Eva Presenhuber: Genau – ich habe beim Österreichischen Künstler Ernst Caramelle an der Angewandten studiert. Während meines Studiums habe ich mich hauptsächlich dafür interessiert, Ausstellungen zu besuchen. Ich war damals nicht gross in der Lage zu reisen, weshalb ich mich vor allem in Wien aufgehalten habe. Es gab viele Studierende, die vor mir fertig geworden waren: Künstler wie Heimo Zobernig oder Gerwald Rockenschaub. Das waren für mich junge interessante Positionen, die bereits Galerien und regelmässig Ausstellungen hatten und deren Schaffen ich verfolgte. Auch Franz West, der einiges älter war. Man ging in die Galerie Krinzinger und zu Peter Pakesch, da gab es dann Gespräche und kostenlos Wein. Das war damals angesagt. Häufig ging man im Anschluss noch gemeinsam aus, das Musikgeschehen war zu jener Zeit sehr spannend in Wien, es gab viele alternative Konzerte. Insgesamt war es eine sehr anregende Zeit.
RG: Wie kam es schliesslich zum Umzug in die Schweiz und zum Rollenwechsel von der ‹Künstlerin› zur ‹Kuratorin / Galeristin›? Hattest du diese Idee bereits während des Studiums?
EP: Nein, eigentlich nicht, das kam so in etwa im letzten Studienjahr. Da wurde die Frage, was man eigentlich nach dem Studium macht, aktueller. Ich hatte 1988 bei Grita Insam eine Ausstellung kuratiert und fühlte mich nicht wirklich als Künstlerin. Mir fehlte der Antrieb. Es gab ja viele Künstler, die ich eher belächelt habe, weil sie meiner Meinung nach ‹schlechte Künstler› waren, und von denen ich dachte, dass sie doch lieber keine Kunst machen sollten. Und so war mir auch klar, dass ich unter keinen Umständen eine von denen sein wollte, die es nicht an die Spitze schaffen. Ugo Rondinone lernte ich 1986 kennen, und wir unternahmen viel zusammen: Wir haben gemeinsam Ausstellungen angeschaut, Rezensionen verfasst, die wir uns gegenseitig vorlasen, um uns darüber auszutauschen. Er war es dann, der, als ich meinte, dass ich gar nicht wisse, was ich eigentlich machen solle, wenn ich dann mal fertig bin, sagte, dass ich eine Galerie in der Schweiz eröffnen und ihn ausstellen sollte.
RG: Wie kam es dann, dass du die Galerie Walcheturm übernahmst, die bereits vor deiner Ankunft in der Schweiz existierte? Wie war diese organisiert, und was hast du daran verändert?
EP: Ich habe in der Weltwoche ein Inserat gesehen, dass der sogenannte Verein oder die Galerie Walcheturm eine Leitung sucht, die auch Programmvorstellungen mitbringt. Darauf habe ich mich dann gemeldet und die Stelle bekommen. Die Galerie war im Prinzip ein Pseudo-Verein: Es gab kein Geld, ein paar Mitglieder, die um die hundert Franken pro Jahr bezahlt haben, und dann hatte man vielleicht so CHF 5'000.- im Jahr. Dazu kam ein einmaliger Betrag einer Industriefirma, den die damaligen Vorstandsmitglieder des Vereins ausgehandelt hatten. Der war natürlich im ersten Jahr schon weg, was mich aber auch motiviert hat, die Dinge selbstständig in die Hand zu nehmen. Die Galerie gab es bereits seit den 1950er-Jahren, doch hat mich die Geschichte wenig interessiert. Ich dachte einfach: ‹Toller Raum!› Dazu kam, dass die Miete sehr günstig war, tausend Franken pro Monat. Dafür musste man jedoch bei der Stadt nachweisen, dass man die Vereinsstatuten erfüllt und mindestens hundert Mitglieder hat. Ich hatte damals keine hundert Mitglieder, also habe ich einfach irgendwelche Adressen hingeschrieben.
Nach meinem ersten Jahr als Galeristin ist der Vorstand dann quasi geschlossen ausgetreten. Ich habe mir dann eben neue Vorstandsmitglieder gesucht, richtig coole Leute, alles Sammler. Andi Stutz kam als Erster und brachte Franz Wassmer mit. Daneben waren Beat Curti, Peter Nobel und Fritz Ammann Teil des Vorstands. Sie haben dann auch immer etwas bei mir gekauft und haben die Werke heute noch. Vor allem Franz Wassmer hat viel gekauft – von Ugo Rondinone, Pipilotti Rist, Fischli / Weiss, Franz West und so weiter. Er war einer meiner Sammler, die es mir erlaubt haben weiterzumachen. Ich kannte ja niemanden in der Schweiz, mit Ausnahme von Ugo, aber der war zu dem Zeitpunkt noch in Wien. Ich lernte dann Urs Frei kennen, den ich auch lange im Programm hatte, und kam über ihn mit weiteren Leuten in Kontakt. 1992 hatte ich die erste Einzelausstellung mit Fischli / Weiss und 1993 die erste mit Jean-Frédéric Schnyder. 1995 kamen Franz West und Urs Fischer dazu sowie Künstlerinnen, die quasi meine Generation sind: Sue Williams, Karen Kilimnik und Angela Bulloch. Sie alle übernahm ich später auch ins Programm.
RG: Wie bist du auf die Künstler*innen gekommen?
EP: Na ja, von Angela Bulloch hatte ich vermutlich in London eine Ausstellung gesehen, wo sie ihre Zeichenmaschinen gezeigt hat. Dasselbe bei Kilimnik. Da habe ich eine Ausstellung gesehen und dann ihre damalige Galerie kontaktiert. Dadurch, dass wir alle ‹gleichzeitig› angefangen haben – die Galeristin von Bulloch war Esther Schipper –, kannte man sich und konnte ein Netzwerk aufbauen. Man umgab sich mit Gleichgesinnten, Gleichaltrigen, die ungefähr gleichzeitig was angegangen haben. Du gehst in ihre Galerien, schaust dir ihr Programm an, und die schauen sich auch dein Programm an.
RG: Wie viele Ausstellungen hast du zu Beginn gemacht?
EP: So um die fünf pro Jahr. Dabei bin ich bewusst zwei Schienen gefahren. Ich wusste, dass ich mit vielen der Schweizer Künstler*innen, die ich ausstellte, nicht unbedingt langfristig zusammenarbeiten wollte. Mit ihnen habe ich auf Projektbasis zusammengearbeitet, denn es gefiel mir, dass ich eine Art Plattform für Schweizer Kunst in Zürich aufbaute und gewissermassen PR-Arbeit leistete. Parallel dazu habe ich mir mit Künstler*innen, die ich vertreten wollte, ein eigenes Programm aufgebaut. Neben den Ausstellungen organisierte ich Lesungen und Konzerte. Hans Ulrich Obrist oder Isabelle Graw haben Vorträge gehalten. Das waren damals alles junge Leute, die man easy motivieren konnte, zu kommen und etwas zu machen. Solche Initiativen habe ich die ersten acht Jahre recht intensiv gepflegt. Deshalb entwickelte sich meiner Meinung nach der Walcheturm auch zu einem wichtigen Ort für zeitgenössische Kunst.
RG: Mit welcher Ausstellung hast du den Raum eröffnet?
EP: Eröffnet habe ich 1989 mit einer Einzelausstellung von Marcus Geiger, der mir eben gleich den Vorstand verschreckt hatte. Er hat Schachteln mit gestapelten Frotteehandtüchern ausgestellt und Frotteeanzüge geschneidert. Geiger ist ein Schweizer Künstler, der in Wien studierte und nach wie vor dort lebt. Ich dachte, es wäre cool, einen Schweizer zu zeigen, denn die anderen Galerien wie Victor Gisler [Galerie Mai36] gab es zwar schon länger, jedoch haben sie weniger junge Schweizer Künstler vertreten.
RG: Wie hast du damals Zürich wahrgenommen? Wie gestaltete sich dein ‹Umfeld›?
EP: Sehr gut, Zürich war super für mich. Es gab einige Galerien, die ungefähr zur gleichen Zeit eröffneten: Bob van Orsouw, Mark Müller, Peter Kilchmann. Für mich war damals vor allem auch die Kunsthalle Zürich wichtig, die zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger erst gerade gegründet wurde. Dort waren Bernhard Mendes Bürgi, Bice Curiger und Jacqueline Burckhardt, und später kam ja dann bald Beatrix Ruf. Ulrich Loock in Bern, der damalige Direktor der Kunsthalle Bern, war für mich wichtig, der hat tolle Ausstellungen gemacht. Gleiches gilt für Rein Wolfs, den damaligen Direktor des Migros Museum für Gegenwartskunst. Das war eine tolle Zeit. Das waren alles superaktive Leute. Auch Roland Wäspe, der Direktor am Kunstmuseum St. Gallen ist, und der Kurator Konrad Bitterli. Wir waren alle befreundet. Lionel Bovier, heute Direktor des Musée d’art moderne et contemporain in Genf, war damals noch sehr jung, aber er kam sich immer meine Ausstellungen anschauen, genau wie Josef Helfenstein, der Direktor des Kunstmuseums Basel ist, sowie der langjährige Konservator des Kunsthauses Zürich, Christian Klemm. Das war eigentlich die beste Zeit damals, es herrschte eine Aufbruchsstimmung.
RG: Gab es einen ‹master plan› für deine Programmatik? Wie bist du vorgegangen?
EP: Meine Idee war es, die besten Künstlerinnen und Künstler im eigenen Land zu vertreten. Das wusste man ja damals noch gar nicht, aber ich habe natürlich daran geglaubt. Und wenn du die Besten der jeweiligen Generation hast, dann hast du auch eine Chance, international etwas für sie zu erreichen. Du hast dann sozusagen ein ganz anderes Level, ein ganz anderes Ansehen, als wenn du dich mit diesem und jenem zufriedengibst. Mich hat es nur interessiert, ‹Ausnahme›-Künstler*innen zu vertreten.
RG: Dieser hohe Qualitätssinn, von dem du sprichst, ist der auch dem Umstand geschuldet, dass du unglaublich viel gesehen hast während deiner Ausbildung? Glaubst du, dass du dank deines Kunststudiums einen besonders geschulten Blick hast?
EP: Ich glaube, dass man vor allem zuhören können muss. Ich habe da überhaupt keine Ego-Probleme. Ich frage die Künstler*innen: ‹Wen findest du gut?›, und dann redet man darüber und diskutiert, denn letztlich geht es in der Kunst ja meistens um andere Kunstschaffende. Und wenn ich dann zum Schluss kam, ja, die Arbeit finde ich auch gut, dann habe ich geschaut, dass ich sie ausstellen kann. Künstlerinnen und Künstler sind eigentlich immer eine sehr gute Quelle. Sie finden vielfach Zugang zu ähnlich Gesinnten, weil sie Parallelen zu ihrer eigenen Praxis sehen. Das muss dann aber nicht heissen, dass das die beste Künstler*in ist.
Viele meiner Künstlerinnen und Künstler habe ich so kennengelernt. Mir sagt die altmodische Idee einer Programmgalerie, wo man sich untereinander kennt und schätzt, nach wie vor sehr zu. Wenn du als Künstler*in in einer Galerie bist, wo du die anderen alle doof findest, dann wirst du schauen, dass du möglichst schnell wieder aus dieser Galerie rauskommst. Wenn du aber in einer Galerie bist, wo du 90 % der Positionen vergleichsweise gut findest, dann wirst du diese Galerie nicht einfach so verlassen. Das war jetzt nie eine ausformulierte Strategie von mir, die ich gezielt verfolgt habe, aber eine Art zu arbeiten, die mir immer am Herzen lag. Ich denke, dass die Künstler*innen eher zufrieden sind mit der Galerie, wenn diese ein Umfeld darstellt, in dem die Werke als solche und nicht bloss aufgrund ihrer Kommerzialität geschätzt werden.
RG: Und das ganze Praktische, wie hast du dir das angeeignet?
EP: Keine Ahnung … (lacht) Das war wirklich schwierig, und ich muss sagen, du brauchst einfach gute Leute. Zu Beginn war ich im Walcheturm alleine. Es war immer von elf bis sieben offen, Dienstag bis Samstag. Und da sass ich dann. Irgendwann habe ich auf Teilzeitbasis einen Ausstellungstechniker angestellt. Und später kam jemand dazu, der mir mit der Buchhaltung geholfen hat und jeden Monat irgendwelche Rechnungen beglichen oder ausgestellt und die Quittungen gesammelt hat. Das musste ich ja alles erst lernen. Ich hatte schon eine gewisse Ahnung, was es so an praktischen Sachen zu tun gibt, aber nach etwa drei Jahren konnte ich endlich jemanden fest anstellen, der sich um all diese Dinge gekümmert hat, und ich konnte mich auf die Künstler*innenbetreuung und den Verkauf konzentrieren. Insgesamt war es learning by doing.
RG: Kannst du dich an deinen ersten (substanziellen) Verkauf erinnern? War das schon in der ersten Ausstellung von Geiger?
EP: Nein, da habe ich sicher nichts verkauft. Ich kann mich, ehrlich gesagt, gar nicht erinnern. Yves Simon-Vermot hat bei mir am Anfang gekauft, bei dem habe ich zwischenzeitlich sogar gewohnt, weil ich keine Wohnung hatte. Ich glaube schon, dass ich dann in der Folge aus jeder Ausstellung etwas verkauft habe, weil es ja sonst gar nicht gegangen wäre. 1993 hatte ich eine Ausstellung mit Jean-Frédéric Schnyder, der als schwierig galt und keine Galerie wollte, aber mit mir hat er sich gut verstanden. Von ihm habe ich dann mal 20 Bilder verkauft, das war ein substanzieller Verkauf, daran kann ich mich erinnern. Ich hatte in den ersten Jahren zwei sehr schöne Gruppenausstellungen kuratiert von Ugo Rondinone: eine Ausstellung nur mit Frauen (Group Show – Women, 1993), eine nur mit Männern (Group Show – Men, 1991). Einige der Positionen aus diesen Ausstellungen habe ich dann auch ins Programm übernommen. Die Sammlung Ringier kaufte früh bei mir, und von Fischli / Weiss hat die Graphische Sammlung der ETH etwas angekauft, das war dann substanziell. Es ging insgesamt ganz gut.
RG: Gab es für dich Kunstrichtungen, wo du gedacht hast ‹da fühle ich mich näher›? Oder war das alles offen?
EP: Das war und ist für mich nach wie vor alles sehr offen. Ich habe mir häufiger gedacht, dass Malerei besser sei, weil sie sich besser verkaufen lässt, aber man kann kein reines Malerei-Programm haben. Man muss die Kunst zeigen, die gemacht wird, das ist mir persönlich auch wichtig, und das mache ich nach wie vor so. Es kommen ja immer wieder neue Generationen von Künstler*innen, und dann schaut man, was die so machen und wen man gut findet.
RG: Aber kommst du da manchmal in einen inneren Konflikt zwischen ‹Ich finde das persönlich gut, aber ich kann es mir nicht leisten, es in das Programm der Galerie aufzunehmen, weil es sehr schwer zu verkaufen ist›?
EP: Früher habe ich mir das so gar nicht überlegt, das mache ich eher jetzt. Wenn du eine Bruce-Nauman-Ausstellung machst, kannst du dir auch nicht gross überlegen, wer das jetzt wohl alles kaufen wird. Das war ja schon immer so. Da waren einfach ein paar Sammler*innen, die Nauman gesammelt haben, das war nie kommerziell, und das lässt man sich trotzdem als Galeristin nicht entgehen.
RG: Gab es in den frühen 1990er-Jahren Künstler*innen, die du nicht zeigen konntest?
EP: Ja, Matthew Barney.
RG: Und den hättest du gerne gezeigt?
EP: Ich bin damals zu seiner Galeristin Barbara Gladstone, die zu diesem Zeitpunkt noch eine kleinere Galerie in der Greene Street hatte, und habe ihr gesagt, dass ich gerne Matthew Barney zeigen würde. Sie hat abgelehnt und meinte, dass Matthew keine Galerie in Europa brauche. Also nein, ihn habe ich nicht gekriegt. Aber ich habe mir nichts weiter dabei gedacht, ich war überzeugt, auch so eine super Galerie zu haben.
RG: Denkst du, dass es damals einfacher war als heute?
EP: Na ja, es war sehr schwierig, überhaupt Geld zu verdienen. Das ist heute viel einfacher. Gleichzeitig gab es nie wirklich Konkurrenz für mich in der Schweiz, auch wenn es natürlich vorkam, dass Künstler*innen, die bereits eine Galerie in Deutschland hatten, nicht noch eine in der Schweiz brauchten.
RG: Das hat sich ja heute durchaus verändert. Früher galt eher das Motto: Es reicht eine Galerie in den USA, es reicht eine in Europa und gut, den Kunstmarkt ‹Asien› gab es damals noch nicht wirklich.
EP: Das ist von Künstler*in zu Künstler*in ganz unterschiedlich, auch je nach Produktion. Es gibt solche, die machen nur alle zwei Jahre eine Ausstellung, und dann gibt es solche, die ständig am Produzieren sind und die entsprechend auch mehr Ausstellungen machen können. Ich finde beides interessant, mag jedoch, ehrlich gesagt, die lieber, die mehr produzieren, weil das meiner Meinung nach die sind, die ‹immer dran› sind. Ich mag keine Künstler*innen, die strategisch wenig produzieren. Ich finde das superlangweilig. Ich meine, das sind ja nur Strategen mit Arbeiten, die ganz okay sind, aber ist es ein Andy Warhol? Nein!
RG: Kunstmessen sind ja ein enorm wichtiges Instrument und eine Plattform für eine junge Galerie, sich auch international im Markt zu positionieren. Du zählst zu den Mitinitianten der LISTE, die 1996 gegründet wurde. Wie ist es dazu gekommen?
EP: Ich war immer sehr überzeugt von mir, mehr als jetzt, und wollte zunächst unbedingt an die Art Basel, da ich ja schliesslich das beste Programm hatte [lacht]. Ich habe mir natürlich nicht überlegt, was das finanziell bedeuten würde. Das ist ja alles teuer, und du brauchst entsprechende finanzielle Ressourcen. Ich habe ständig bei Sam Keller angerufen, der damals der Assistent des Messedirektors Lorenzo Rudolf war, und wurde immer wieder abgewimmelt. Sie meinten, mein Programm sei so hip, so modisch – worauf ich nur erwiderte, ja hoffentlich, denn wenn es nicht modisch ist, dann ist es ja langweilig. Irgendwann wurde ich dann genommen und war zwei Mal an der Art Basel, wo ich schnell merkte, dass es gar nicht so einfach ist, dort die Kunst auch zu verkaufen. Eine recht ernüchternde Erkenntnis.
1996 haben wir dann die LISTE gegründet. Es gab damals die Messe Unfair in Köln, das hat mich motiviert, denn da war es die gleiche Sache: Die jungen Galerien wurden nicht an die Art Cologne gelassen und haben sich dann mit der Gründung der Unfair ‹gerächt›. Ich fand, dass es das auch in Basel bräuchte, wollte es aber nicht alleine machen, da ich Schiss hatte, dass sie mich dann nie wieder an die Art Basel lassen, wenn ich mit der Gründung einer Satellitenmesse ihre Autorität derart untergrabe, woraufhin ich mich mit Peter Kilchmann und Peter Bläuer zusammengetan habe.
Zeitgleich unterhielt ich mich mit Pierre Huber, der damals im Auswahlgremium der Art Basel war. Er war natürlich gar nicht begeistert, jedoch konnte ich ihn von der Notwendigkeit überzeugen, dass es zumindest jemanden im Gremium bräuchte, der ‹unsere› Galeriengeneration versteht. ‹Ja, wen würdest du denn da reinnehmen ins Board?›, fragte er mich. So kam auf meine Empfehlung hin Esther Schipper ins Komitee, die dann wirklich etwas verändern konnte. Nichtsdestotrotz fand es die Art Basel erst mal nicht besonders cool, dass wir die LISTE gründeten. Doch bereits nach dem ersten Jahr haben sie begriffen, dass es eigentlich super ist, da die LISTE die Messe entlastet. Die jüngeren Galerien können erst mal an die LISTE, und die Sammler, die an die Art Basel kamen, gingen zum Entdecken an die LISTE und vice versa. Art Basel und LISTE haben sich gewissermassen perfekt ergänzt, und die Art Basel wurde von dem Druck befreit, junge Galerien gegebenenfalls zu früh zuzulassen, die noch nicht über die notwendige finanzielle Stabilität verfügen. Die Art Basel will keine Galerien mit tollem Programm, die dann aber nach 10 Jahren schon wieder schliessen müssen. Sie wollen Galerien haben, die stabil bleiben und dann ihre jeweiligen Künstler*innen über Jahrzehnte hinweg vertreten.
RG: Und wie lange hast du mit deiner Galerie an der LISTE teilgenommen?
EP: Ich selbst war nur zwei Jahre an der LISTE, dann bin ich auch schon an die Art Basel, da ich mich 1998 mit der Galerie Hauser&Wirth zusammengetan hatte und wir gemeinsam einen Stand bekommen hatten.
Die späten 1990er-Jahre: Wachstum, Löwenbräu und die Beschleunigung
RG: Du hast es gerade angesprochen, 1998 kam es zu einer Zusammenarbeit mit der Galerie Hauser&Wirth – zuerst unter dem Namen Hauser&Wirth 2 und dann kurz darauf als Galerie Hauser&Wirth&Presenhuber. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit, und was waren die Vor- und Nachteile dieser Partnerschaft?
EP: Ich kannte Iwan Wirth schon länger. Er kam ab 1995 zusammen mit Hans Ulrich Obrist regelmässig in die Galerie Walcheturm und kaufte für die Sammlung von Ursula Hauser, die er damals betreute. Während eines Essens schlug ich Iwan vor, Vorstandsmitglied der Galerie Walcheturm zu werden. Ein Angebot, das er annahm, und als er irgendwann zu mir meinte, dass er an einer engeren Zusammenarbeit interessiert wäre, schlug ich ihm vor, dass man gemeinsam etwas aufziehen könne. Ursula Hauser war auch beteiligt, und ich brachte gewissermassen das Programm mit, denn Iwan war schon damals vor allem am Secondary Market interessiert. Das war sein Ding, während ich weiterhin mit aktuellen Positionen beschäftigt war. Das war eine interessante Zeit, auch weil ganz andere finanzielle Mittel vorhanden waren. Im fünften Jahr begann jedoch die Zusammenarbeit zu bröckeln, weil unsere beiden Egos sich nicht so gut vertrugen. Ich fühlte mich unter dem Label Hauser&Wirth&Presenhuber nicht mehr wohl, es interessierte mich einfach nicht mehr. Wir haben auf jeden Fall beide viel gelernt – sowohl Iwan als auch ich. Für mich wurde alles sehr viel professioneller. Ich hatte meine eigenen Staff, und wir teilten uns die Techniker und den Buchhaltungsmitarbeiter. Als wir uns trennten, 2004, hatte ich das grosse Glück, dass alle meine Künstler*innen mit Ausnahme von Roni Horn, die ich eingebracht hatte, mit mir mitgegangen sind. Ich konnte den Raum im Löwenbräu behalten, da sich Hauser&Wirth für die Räume im Erdgeschoss des Löwenbräus interessierte.
RG: Du bist mit der Kooperation mit Hauser&Wirth ins Löwenbräu eingezogen und hast dich vom Walcheturm verabschiedet. War es ein schwerer Abschied?
EP: Nein, das war nicht schwierig, denn der Walcheturm-Raum hatte sich irgendwann auch abgenutzt. Und ich wollte natürlich ins Löwenbräu, wo alle waren. Es war damals ein Zentrum für zeitgenössische Kunst, das auch von der Öffentlichkeit als solches wahrgenommen wurde.
RG: Wie ging es nach deinem Weggang mit dem Walcheturm weiter? Du hattest dann nach deinem Umzug nichts mehr damit zu tun, oder?
EP: Ja, genau, ich habe mich komplett zurückgezogen. Claudia Spinelli hat den Walcheturm dann zwei Jahre lang geleitet. Heute leitet Patrick Huber den Raum, der sich inzwischen auf dem Kasernen-Areal befindet.
RG: Wie hast du damals die Wechselwirkungen zwischen den Institutionen und den Galerien im Löwenbräu wahrgenommen?
EP: Die waren sehr gut – wir waren alle befreundet, wir haben alle gerne die gemeinsamen August-Vernissagen gemacht. Und wir haben damals natürlich auch günstige Mieten gezahlt. Es hat einfach alles ‹gestimmt›, und es gab wirklich tolle Ausstellungen.
Die 2010er-Jahre
RG: Was glaubst du, warum sich das verändert hat?
EP: Es ist typisch schweizerisch, dass man etwas erfolgreich zerredet, weshalb ich auch ausgezogen bin. Ich zahl doch nicht so viel Miete und lese dann immer in der Zeitung, dass dort nichts läuft. Man hat den ganzen Vibe rausgewaschen aus dem Gebäude, und das hat nichts mit dem Umbau von 2012 zu tun.
RG: Du hast dann bereits parallel zu den Löwenbräu-Räumlichkeiten neue Räume im Maag-Areal gemietet direkt neben dem Prime Tower. Inzwischen hast du auch Räume an der Waldmannstrasse.
EP: Es hat sich so ergeben, dass in der Waldmannstrasse Räume frei wurden, auf die ich schon seit drei Jahren ein Auge geworfen hatte. Und es braucht auch für die Künstler*innen immer wieder mal einen Wechsel. Die Nähe zum Kunsthaus hat da auch eine Rolle für mich gespielt.
RG: Mittlerweile hast du ja auch viele Künstler*innen im Programm, die auf dem Secondary Market gehandelt werden. Wie gehst du damit um?
EP: Das ist ja ganz normal, wenn Künstler*innen auf 30 Jahre Karriere oder länger zurückblicken. Und dann kommt auch hinzu, dass in den letzten 15 bis 20 Jahren das Auktionieren von zeitgenössischer Kunst zum erfolgreichen Geschäftsmodell der Auktionshäuser avancierte, das gab es vorher nicht. Wir versuchen grundsätzlich, an Sammlerinnen und Sammler zu verkaufen, die nicht verkaufen. Das ist das Credo, aber das kannst du natürlich nicht immer treffen. Wenn diese an Auktionen ihre Arbeiten wiederverkaufen, kann ich beschränkt etwas zurückkaufen, aber ich kann keinen 100 %-igen Schutz liefern. Man kann sich das nicht leisten. Die Auktionen sind durchaus eine Belastung für die Galerien, gleichzeitig muss man aber auch sehen, dass es sehr viele Menschen zum Kunstkaufen angeregt hat, die nicht unbedingt Galeriekontakt haben. An den Auktionen kann man relativ anonym kaufen, anstatt sich einer Galerie ‹auszuliefern›.
RG: Mitte der 2000er-Jahre zeichnet sich zudem der Trend ab, dass immer mehr zeitgenössische Galerien mit ‹Estates› zu arbeiten beginnen – also die Künstler*innen nicht bereits zu Lebzeiten ausgestellt haben. Hat dich das Arbeiten mit ‹Estates› nie interessiert?
EP: Muss denn jede künstlerische Position nochmals ausgegraben werden? Nein! Ich finde es natürlich toll, wenn Galerien ‹Estates› betreuen, aber mich persönlich hat das nie gereizt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob man damit mehr Geld verdient. Vermutlich nur bei solchen ‹Estates› wie dem von Günther Förg, da würde ich dann auch nicht Nein sagen. Und wenn jetzt ein*e Künstler*in aus meinem Programm sterben und mir der ‹Estate› angeboten würde, dann würde ich das wohl auch machen. Aber ich grabe nicht irgendwelche Leute aus, die ich gar nie gekannt habe. Ich mache ja schon nicht einfach bloss Kunsthandel. Für mich ist es wichtig, dass ich Ausstellungen verfolge, dass ich eine Wegbegleiterin bin für meine Künstler*innen und vice versa. Das ist nicht mehr besonders angesagt, so zu arbeiten, aber mir macht es mehr Spass.
RG: Mit Blick auf das Verhältnis zu anderen Galerien und die zunehmende Konkurrenz in den letzten Jahren: Gab es für dich einen ‹Code of Ethics›, den du für dich aufgestellt hast? Wie stehst du zum ‹Poaching›, dem Abwerben von Künstler*innen durch andere Galerien?
EP: Das ist halt so. Ich meine, Gagosian hat von mir zum Beispiel Urs Fischer ‹übernommen›. Natürlich auch, weil ich mich mit ihm zerstritten habe. Bei meinen erfolgreichsten Künstler*innen klopfen schon immer wieder Leute an die Tür.
RG: Wie reagierst du darauf?
EP: Na ja, wenn sie zu einer anderen Galerie gehen wollen, dann werden sie gehen. Was will man da machen, wir sind freie Menschen. Wir haben keine Knüppelverträge wie in Hollywood.
Ich weiss, dass in Zukunft ein paar Situationen anstehen, wo bei meinen sehr erfolgreichen Künstlerinnen wie Shara Hughes und Tschabalala Self oder dem Künstler Steven Shearer die Leute anfangen werden, an die Tür zu klopfen, aber das ist mir ja nicht einmal unrecht. Es braucht auch gute Partnergalerien, und manchmal sind die, die man hat, etwas zu klein. Wenn die ‹Karriere› der Künstler*in grösser ist als die der Galerie, dann muss diese/r meiner Meinung nach wechseln. Daher versuche ich auch, als Galerie interessant zu bleiben.
RG: Du hast ja in deiner Galerie einerseits die grossen Collaborators wie Gladstone Gallery (Michael Williams, Ugo Rondinone, Carroll Dunham), und dann hast du auch mittelgrosse Galerien wie The Modern Institute in Glasgow (Martin Boyce)? Gibt es Verträge zwischen den Galerien?
EP: Wir arbeiten direkt mit den Künstler*innen zusammen. Alle neuen Positionen, die ich mitaufgenommen habe, habe ich direkt angesprochen. Die junge Generation an Künstler*innen macht das jetzt wohl so, dass sie auch mit Mega-Galerien Verträge abschliessen. Es scheint ein neuer Trend zu sein, aber ich möchte keine Consignments ausstellen. Die sollen alle ihre eigenen Studios, ihre eigenen Produktionen organisieren. Die finanzielle Unterstützung bietet man nur am Anfang der Karriere. Irgendwann müssen die Künstler*innen dann ihre eigenen Geschäftsrisiken tragen, was sie gleichzeitig auch unabhängiger macht.
Ich unterhalte mich gar nicht mehr so viel mit den anderen Galerien. Auf den Messen vielleicht, aber es ist halt immer doch auch eine Konkurrenzgeschichte. Als man jünger war, sass man mehr im gleichen Boot als jetzt. Jetzt ist es mehr Konkurrenz, man hat auch mehr zu verlieren als früher.
RG: Welche Fehler würdest du heute vermeiden? Gibt es Dinge, die du so nicht noch einmal machen würdest?
EP: Ich würde meine Persönlichkeit ändern wollen, da ich immer so viele Vorurteile hatte – der ist so und so, und der ist langweilig et cetera. Während meines Lebens habe ich viele, viele Leute kennengelernt und habe diese Beziehungen zu wenig gepflegt. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass ich zum einen sehr viel zu tun habe und zum anderen immer auch sehr stark mit mir selbst beschäftigt bin. Ich bin niemand, der andere einfach so anruft. Es gibt dann immer einen Grund: Man braucht etwas, oder du kaufst etwas. Mir fehlt das Talent, mich mit Sammler*innen und Kurator*innen anzufreunden. Das würde ich an mir ändern wollen, dass ich ein bisschen mehr Geduld habe mit Leuten.
RG: Und mit Blick aufs Business?
EP: Ich sollte weniger grosszügig sein, ich war viel zu grosszügig. Und das kann auch eine Schwäche sein, wenn man ständig nachgibt, anstatt zu verhandeln, um das Beste für sich selbst herauszuholen. Und dann ärgert man sich doch irgendwann über die eigene ‹Grosszügigkeit›. Ich sage das vor allem mit Blick auf Künstler*innen, die sehr egoistisch sein können. Dann zeigt man sich grosszügig mit Blick auf ihre Produktionen und Ausstellungen, und dann sind sie im Nachhinein mit dir sehr kleinlich.
RG: Denkst du je übers Aufhören nach?
EP: Das macht doch jeder, vor allem jetzt während der Corona-Krise. Aber nein, ich würde und werde jetzt nicht aufhören, einfach auch, weil mir sehr langweilig wäre. Ich habe die nächsten 10 Jahre schon geplant. Ich habe ja Mietverträge. Allerdings würde ich gerne insofern noch mehr Geschäfte machen, als dass jemand aus dem Team oder von extern auf partnerschaftlicher Basis dazukommt, sodass ich nicht mehr tagtäglich in der Galerie sein muss. Ich kann mir gut vorstellen, mich nur noch um bestimmte Projekte und Künstler*innen zu kümmern.