October 12 – November 25, 2018 ist der Titel einer Gruppenausstellung, die im FRI ART in Fribourg in genau diesem Zeitraum stattfand. Unter den teilnehmenden Künstler*innen war Jason Hirata – auf der Website der Institution und in den Begleittexten zur Ausstellung wird sein Name genannt, man findet aber keine Informationen zu seinem Beitrag. Anstatt eine ‹eigene› Arbeit zu zeigen, hatte Hirata den Künstler Jason Loebs mit einer Arbeit, an deren Produktion er als Assistent beteiligt war, zur Teilnahme eingeladen. Mit dieser Geste kehrt Hirata etablierte Hierarchien scheinbar um und stellt darüber hinaus die Prinzipien von Urheber- und Autorenschaft in Frage, die (immer noch) die wesentlichen Säulen des Kunstsystems bilden.
25 OCTOBER, 2015 — 12 MAY, 2019 Hiratas Ausstellung im Nürnberger Kunstverein folgt dem gleichen Prinzip. Zu sehen sind (fast) ausschliesslich Arbeiten anderer, an deren Produktion Hirata in irgendeiner Form – meistens als bezahlter Assistent – mitgewirkt hat.
25 OCTOBER, 2015 — 12 MAY, 2019
Lutz Bacher, Alex Bienstock, Dora Budor, Matt Browning, Levi Easterbrooks, Jim Fletcher, Saidiya Hartman, Debbe Hirata, Jason Hirata, Adam Khalil, Zack Khalil, Pope.L, Jason Loebs, Jordan Lord, Balthazar Lovay, Zoey Marks, Park McArthur, Vreni Naess, No Total, Jackson Polys, Lucas Quigley, Nick Raffel, Carissa Rodriguez, Noam Segal, Knut Olaf Sunde
Work organized by Jason Hirata
Der volle Titel der Ausstellung setzt sich zusammen aus der Nennung des Zeitraums vom Beginn der in diesem Zusammenhang relevanten (Arbeits-)Beziehungen bis letzten Tag der Ausstellung, einer Liste aller Beteiligten und einer knappen Andeutung der zugrunde liegenden Arbeitsweise. In einem kurzen Künstler-Statement, das den Pressetext ergänzt, betont Jason Hirata: «These works aren’t mine. Yet this exhibition is my solo show.»
In den drei Räumen des Kunstvereins ist eine Ausstellung zu sehen, die sehr zeitgenössisch wirkt: kleine, beiläufige Arbeiten, Plakate, zwei Audio-Pieces, eine Wandarbeit, ein lose abgetrennter Videoraum mit Couch, zentral Loebs Installation Syncopes (2005, 2017/18), die auch in Fribourg zu sehen war. Alles ist eher beiläufig angeordnet, die Räume bleiben relativ leer, die Arrangements wirken aber nicht angestrengt oder prätentiös, die unterschiedlichen Exponate passen gut zusammen, obwohl es keine eindeutigen thematischen oder formalen Verbindungslinien gibt. Man könnte sagen, dass ein bestimmtes ‹Feeling› und eine nicht unangenehme Atmosphäre, die entsteht, die Gemeinsamkeit bilden, ohne dass sich diese genauer bezeichnen lässt.
Beim Schreiben dieses Textes wurde mir schnell unklar, ob es hier überhaupt darum gehen sollte, die Ausstellung genauer zu beschreiben, auf die einzelnen Arbeiten einzugehen, darauf, wie sie gemacht sind, wie sie wirken und was sie gegebenenfalls bedeuten (könnten); ziemlich unsinnig erschiene es, abwägen zu wollen, welche denn eventuell besser oder schlechter wären. Die der Konzeption und Auswahl zugrunde liegende subtile Geste der Verschiebung bzw. Teilung der Urheberschaft wirft Fragen auf, die solche Betrachtungen in den Hintergrund treten lassen. Was auch immer die Werke in ihren ‹eigentlichen›, eigenen Zusammenhängen bedeuten, im Kontext von Hiratas Ausstellung bedeuten sie immer mindestens noch etwas anderes. Es liegt näher, die ausgewählten und gezeigten Arbeiten – soweit möglich – anhand der Umstände ihrer Entstehung zu unterscheiden: Nicht alle, aber die meisten sind im Rahmen von bezahlten Arbeitsverhältnissen für andere Künstler*innen entstanden, vor allem die Videos, die unter anderem Performances und Künstlergespräche dokumentieren. Daneben gibt es eine Auftragsarbeit für eine Privatperson, die Audio-Pieces von Jason Hiratas Mutter und seiner Lebensgefährtin Park McArthur und eine Gemeinschaftsarbeit, bei der Hirata – im üblichen Sinn – Mit-Urheber ist. Alex Bienstock hat dem Künstler zwei Arbeiten für die Ausstellung zur Verfügung gestellt, die in der Tradition der klassischen Konzeptkunst als Handlungsanleitungen funktionieren, Levi Easterbrooks’ Plakette trägt die Übereignung bereits im Titel (Modified maritime plaque for Jason Hirata made and gifted by Levi Easterbrooks, 2018), weist also wiederum einen etwas anderen Status auf.
Ohne das Künstlerstatement und die vermittelnden Texte der Institution wäre die Ausstellung nicht richtig lesbar, man würde sie höchstwahrscheinlich als Gruppenprojekt betrachten, in dem Hirata selbst die Rolle des multipel involvierten (Künstler-)Kurators zukäme. Dass Künstler*innen als Kurator*innen auftreten, ist eine gängige Arbeitsweise und Hirata ist in diesem Zusammenhang ja ‹auch› Kurator und ‹zeigt› in Nürnberg eine relativ überschaubare Gruppe amerikanischer, meist in der New Yorker Kunstszene aktiver Künstler*innen.
Jason Hiratas zentraler ‹Move› dagegen ist nicht kuratorisch und eigentlich noch einfacher, wirkt aber – zumindest im ersten Moment – wesentlich komplexer. Der Name und die durch ihn verbürgte Urheberschaft sind (in der westlichen Welt) seit der Renaissance zentral für die Vermittlung und Vermarktung von Kunst. Diese zentrale Übereinkunft, wie Kunst gemacht und vertrieben wird, wird hier grundsätzlich in Frage gestellt, indem Hirata aus der– wie auch immer gearteten – Mitwirkung an der Entstehung der gezeigten Arbeiten – sei es gegen Bezahlung oder als Freundschaftsdienst – einen realen Anteil an deren Urheberschaft (oder zumindest das Recht über sie auf eine bestimmte Art zu verfügen) ableitet. Dies wiederum macht es überhaupt erst möglich, dass die Ausstellung als seine Arbeit, als seine Einzelausstellung reklamiert werden kann. Dabei ist Hiratas Geste quasi doppelt codiert: Die eigentliche Urheberschaft an den Arbeiten beansprucht er explizit nicht, alle Beteiligten werden in ihrer jeweiligen Rolle genannt (selbst Zoey Marks, für die Hirata eine Wandarbeit realisierte und die nicht als Künstlerin arbeitet). Stattdessen behauptet Hirata eine Position ‹neben der› oder ‹zusätzlich zur› sonst üblichen, von der aus er, wenn man so will, nicht nur über die Arbeiten der anderen Beteiligten als Ready-mades verfügt, sondern auch über die Namen von deren Urheber*innen. Dabei ist Hiratas Positionierung in Bezug auf Hierarchien und Machtverhältnisse paradox, weil er sich einerseits in der klassischen Logik ‹über› die anderen Urheber*innen erhebt (es ist ‹seine› Einzelausstellung), die Berechtigung dazu aber nicht aus größerem Wissen, höherer Kompetenz oder Ähnlichem ableitet, sondern aus üblicherweise hierarchisch weit unten angesiedelten Anteilen an der Produktion der gezeigten Werke. Etwas weniger abstrahiert und zugespitzt könnte man also von der Auseinandersetzung mit Arbeits- und Eigentumsverhältnissen und den damit einhergehenden sozialen Beziehungen im Spätkapitalismus sprechen, die angesichts der herrschenden Verhältnisse ohnehin notwendig erscheint.
In ihren Implikationen – über die formale und inhaltliche Gestaltung der tatsächlichen Ausstellung hinaus – bleibt Hiratas Behauptung jedoch trotz ihres Gewichts seltsam unscharf. Es liegt nahe, Fragen danach zu stellen, was es bedeutet, für andere Künstler*innen als bezahlte*r Assistent*in zu arbeiten, welche spezifischen Leistungen in solchen und – allgemeiner gefasst, auch allen anderen – Arbeits- und Tauschverhältnissen erbracht werden und wie diese unter den gegebenen gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen zu bewerten sind. Dass es dafür keine einfachen Lösungen gibt, ist ebenfalls offensichtlich, und allein, dass man sich hier mit diesen Fragen auseinandersetzen muss, könnte man als Qualität sehen. Letztlich bleibt es aber trotzdem unbefriedigend, weil sie lediglich vage und sehr allgemein auf eine Reihe lange bekannter Problemstellungen verweisen.
Dass Künstler*innen – entgegen der historischen Mythen – keine autonomen Schöpfer*innen sind (und niemals waren), ist längst geklärt. Appropriation Art und Ready-made stellten im letzten Jahrhundert künstlerischer Originalität und Authentizität wohl am prominentesten und radikalsten infrage. Auch zahlreiche Praxisformen im Gefolge der historischen Konzeptkunst bis hin zu Relational Aesthetics und zur Institutionskritik der 1990er-Jahre stellen Fragen nach Macht- und Ausbeutungsverhältnissen und den ihnen zugrunde liegenden soziokulturellen Bedingungen. Beeinflusst von poststrukturalistischer Theorie und postmodernen Vermittlungskonzepten wurde in der bildenden Kunst der Status von Autor*innen hinterfragt und nach immateriellen Werkformen gesucht.
Keiner dieser historischen Anknüpfungspunkte wird der hier vorgestellten Praxis jedoch ganz gerecht. In 25 OCTOBER, 2015 — 12 MAY, 2019 vermischen sich nicht nur unterschiedliche Arbeitsweisen und Strategien der Aneignung, auch die Frage danach, was genau die zugrunde liegende Geste bedeuten soll, worauf sie letztlich abzielt, bleibt unbeantwortet. Geht es darum, ein Beziehungsgeflecht darzustellen, für andere geleistete Arbeit als Teil der eigenen künstlerischen Praxis zu reklamieren, kapitalistische Verwertungszusammenhänge im Kunstfeld infrage zu stellen, ein auf Marcel Duchamps ‹Ready-made-Logik› basierendes Künstler*innenbild zu aktualisieren oder darum, Konzepte der Auflösung von Kunst im Leben der klassischen Avantgarden ins 21. Jahrhundert zu überführen, um damit traditionelle Ausstellungsformate zu dekonstruieren? Je nachdem, welchen Aspekt man in den Vordergrund stellt, erscheinen andere Referenzen und Deutungsmöglichkeiten plausibel, aber egal für welche Perspektive man sich entscheidet – eine eindeutige Antwort bietet die Ausstellung nicht an und keine der naheliegenden scheint wirklich konsistent. Und es stellen sich noch andere Fragen: Könnte dieser Ansatz weiter ausgeführt werden, und wenn ja, wie? Inwieweit ist dieses Konzept wiederholbar, skalier- und adaptierbar?
Das Künstler-Statement und der Pressetext des Kunstvereins schlagen eine Lesart vor, die stärker auf die Behauptung und Konstituierung der immateriellen Arbeitsform abzielt, die Hiratas Übernahme vorausgeht und die Logik kapitalistischer Arbeitsverhältnisse eher peripher anspricht. Der Künstler würde durch blosse Mitwirkung, durch seine Anwesenheit in ganz unterschiedlichen Produktionsprozessen, alles in diesem Zusammenhang Entstehende zum Teil seiner eigenen Praxis und damit, zumindest bis zu einem gewissen Grad, zu ‹seiner Kunst› machen – auch wenn das in Hiratas Statement wesentlich dezenter formuliert ist, läuft man mit dieser Behauptung doch Gefahr, allem progressiven Anschein zum Trotz ein seltsam esoterisch-reaktionäres Künstler*innenbild zu reaktivieren, inklusive genialischem Unterton. Die in der Ausstellung gezeigte Auswahl von Arbeiten legt diese Vorstellung glücklicherweise nicht nahe, letztlich schwingt sie aber dennoch mit.
Kommt man darauf zurück, wie Hirata die Ausstellung tatsächlich realisiert hat, auf Stimmung und Atmosphäre, auf die Auswahl der Beteiligten und der gezeigten Arbeiten, könnte auch die Andeutung eines sozialen Gefüges zentraler Aspekt der Präsentation sein – was das Künstler-Statement ebenfalls nahelegt. Auch wenn Geld im Spiel ist, scheinen sich doch alle Beteiligten ganz gut zu verstehen, ähnliche Werte zu vertreten und ähnliche Interessen zu verfolgen, und auch mit Hiratas Geste völlig einverstanden zu sein. (Allerdings erfährt man nicht, wie die anderen mit dieser Frage tatsächlich umgehen.) Wenn es aber letztlich um die ‹Community›, eine privat und beruflich verflochtene Gemeinschaft ginge, warum ist dann die grosse Geste überhaupt nötig und warum muss diese Szene in genau dieser Form repräsentiert werden? Durch die Verbildlichung im institutionellen Rahmen in einer Einzelausstellung ist der erste Schritt zur Verwertung getan (dieser Text wäre ein weiterer). Das so erworbene symbolische Kapital wird sich an anderer Stelle mithilfe von geeigneten Produkten (die dann in der Regel wiederum gegen Bezahlung von anderen hergestellt werden) eventuell leicht in reales umwandeln lassen, und so ist man zurück in den klassischen Logiken der Wertproduktion und -steigerung – wenn man sie überhaupt je verlassen hat bzw. verlassen wollte. Ich frage mich, inwieweit die Zusammensetzung der abgebildeten Gruppe von Akteur*innen eine Rolle spielt – nicht nur formal, dafür wie die Ausstellung letztlich ‹aussieht›, sondern auch abstrakter, für die Validität und ‹Schwere› der Geste. Wie würde es wirken, ginge es hier um ganz andere Jobs oder ganz andere Künstler*innen?
Wenn es Hirata tatsächlich um den Schritt aus den üblichen Vermittlungs- und Verwertungszusammenhängen im Kunstfeld ginge, dies also der wesentliche Aspekt der Arbeit wäre, wird er hier nicht durch die vielfältigen Rahmungen – durch das Feld, die Institution, die verwendeten Begrifflichkeiten (‹solo show›), die Art der Vermittlung – und die implizit immer (mit-)anwesenden Wertzuschreibungen sofort wieder zurückgeholt? Müsste diesen Schritt dann nicht auch die Institution konsequenter ‹mitgehen› – nur wohin genau und wie? Der letzte Absatz des Pressetexts bringt diese Ausweglosigkeit – in wohl nicht unfreiwilliger Komik – eigentlich ganz gut auf den Punkt: «Jason Hirata (...) zählt zu einer neuen Generation amerikanischer Künstler, die mit den Strategien der institutionellen Kritik unter post-institutionellen Bedingungen arbeiten. 25 October, 2015 — 12 May, 2019 ist Hiratas erste institutionelle Einzelausstellung in Europa.»
Insgesamt bleiben schließlich zu viele der Fragen, die die Ausstellung – und ihre Vermittlung – bei genauerer Betrachtung aufwerfen unbeantwortet, als dass man die Absicht hinter Hiratas Geste vollständig nachvollziehen und entsprechend würdigen könnte. Dabei stellt sich die der Präsentation zugrunde liegende Konstruktion als wesentlicher Faktor für die beschriebene Unschärfe heraus. Die durchaus gelungene Zusammenstellung von Positionen und Arbeiten ist für ihr Funktionieren auf Hiratas konzeptuelle Behauptung angewiesen – ein von ihm kuratiertes vergleichbares Gruppenprojekt würde wegen der anderen Vorzeichen auch anders wahrgenommen. Versucht man die Geste jedoch isoliert zu betrachten, zerfällt sie in zwei Teile: Neben durchaus nachvollziehbaren Motivationen steht die völlig diffuse Ausrichtung. Das wirkt notwendigerweise auch auf die Wahrnehmung der formalen Ebene zurück. Dass das Arrangement diese Verunklärung ‹aushält›, ist eine Stärke der Ausstellung, die unter anderem in der auch den einzelnen Arbeiten eingeschriebenen Beiläufigkeit begründet ist. Trotzdem erhält die gesamte Anordnung so eine gewisse Unwucht, die eine*n auch nach längerer Reflexion eher unzufrieden zurücklässt. Denn auch wenn Hirata vieles gelingt, wirkt es letztlich ein bisschen so, als ob hier einer mit der Abrissbirne in die Institution käme, um mit dieser dann lediglich einen weiteren Nagel in die Wand zu schlagen – wenn auch ziemlich elegant.