Bücher neigen durch die mit Seitenzahlen markierte Linearität dazu, auch widerständigste Formen der Darstellung in eine Logik der kausalen Abfolge und inneren Kohärenz zu zwängen. Sich der passiven Macht dieses Formates bewusst, platziert Sönke Gau eingangs, wie auch am Ende dieser umfassenden Publikation zur Institutionskritik, programmatische Statements (so lautet der Titel des Schlusskapitels etwa Das ist k(ein) Fazit), mit denen er diese Autorität nicht nur anspricht, sondern auch erläutert, wie sich seine Ausführungen dagegen zur Wehr zu setzen versuchen. Und auch dazwischen lässt den Autor die latent präsente Regierung durch das Formale nicht los, und er adressiert sie, ganz im Sinne seines titelgebenden Postulates und auch einer institutionskritischen Geste gegenüber kunstwissenschaftlichen Narrationen, konsequent und selbstreflexiv. Daraus entstand eine solid fundierte, wie allerdings gerade auch etwas gar vorsichtig geratene Argumentationsweise.
Sønke Gau ist es in seiner Untersuchung allem voran darum zu tun, die aktuelle, vorwiegend kunst- und kulturwissenschaftliche Rezeption von Institutionskritik, aus den ‹Fallen›, in denen sie sich verheddert hat, herauszuführen und sie als Methode zu behaupten, die weiterhin im Stande ist, den zur Dominanz neigenden institutionellen Strukturen die Stirn zu bieten. Dieser Perspektive verpflichtet, richtet der Autor sein kritisches Augenmerk über weite Strecken der Literatur über institutionskritische Verfahren in den Kunst- und Kulturwissenschaften. Weit weniger wird dagegen die künstlerische und für spätere Phasen der Institutionskritik auch die kuratorische Praxis analysiert. Dabei ist Gaus enorm umfassende und dichte Sammlung von Diskursen, Theorien, Personen, Standpunkten und Publikationen zur Institutionskritik in gleicher Weise lehr- und aufschlussreich, wie sie dadurch irritiert, dass sie doch sehr viele der bekannten und auch prominenten Stimmen der Debatte vereint. Diese Stimmen werden nicht nur gründlich dargelegt, sondern sind über weite Strecken strukturbildendes Element der Darstellung, etwa dann, wenn Kapitel nach Autor/innen oder Buchtiteln benannt werden. So fasst der Titel Der neue Geist des Kapitalismus zwar Überlegungen zur engen Verschränkung von Kreativität und unternehmerischer Logik von unterschiedlicher AutorInnen. Zugleich ist dies aber ein wörtliches Zitat der mittlerweile zum, wenn auch nicht unumstrittenen Standardwerk mutierten Untersuchung von Luc Boltanski und Eve Chiapello. Oder Untertitel zitieren unkommentiert Namen von Kunstwerken (etwa Mining the Museum von Fred Wilson) oder Texten (Der Autor als Produzent von Walter Benjamin) hinter denen die Positionierung des Autors verschwindet. Das ist kein formales Detail, was sich just in Gaus Analyse exemplarisch zeigt: Zwar unternimmt der Autor eine detaillierte und plausible Kritik jeder einzelnen Position, jedoch folgt sie in einer Weise der vorgegebenen Argumentationsweise, die sie unweigerlich als zentrale Referenz, sozusagen als diskursive Institution, bestätigt. Ob diese paradoxen Effekte überhaupt zu umgehen sind oder vermieden werden müssen, auch davon handelt dieses Buch, und genau diese konstante selbstreflexive Verortung macht Gaus Abhandlung doch sehr lesenswert und einsichtsreich, wenn auch teils ex negativo.
Nach der einführenden selbstkritischen Positionierung seines Unternehmens führt einen der Autor durch die verschiedenen Phasen der Institutionskritik im Kunstsystem. Und obzwar sie gegenwärtig genau in derselben Etappierung – es wird meist von drei Wellen der Institutionskritik gesprochen – diskutiert werden, greift Sönke Gau sie jeweils über spezifische Aspekte auf, entlang denen er die gängigen Urteile zu destabilisieren und so erneut verhandelbar und produktiv zu machen beabsichtigt. Eine erste und zentrale diskursive Setzung ist die Dichotomie zwischen Kunst und einem Ausserhalb dieser, die den künstlerischen Praktiken der sogenannten ersten Phase der Institutionskritik, genannt werden da etwa Marcel Broodthaers oder Daniel Buren, eigen ist und wie sie von theoretischen Standpunkten wie etwa der Avantgarde-Theorie Peter Bürgers vertreten wird. Folgert Bürger auf dieser Basis das Scheitern der Avantgarde – ist es dieser doch nicht gelungen, Kunst in das Leben zu überführen, vielmehr sind die Ausbruchsversuche selbst musealisiert worden –, so tritt die Interpretation früher institutionskritischer Aktivitäten in dieselbe Falle: Ihre Behauptung, die künstlerische Institutionskritik sei durch die euphorische Umarmung durch den Kunstbetrieb effektlos geworden oder gar zur Dienstleistung an diesem verkommen, beschreibt Gau überzeugend als interpretatorischen Kurzschluss. Dagegen postuliert er eine Einordnung dieser Praktiken als kontingente und kontextuell präzise Kritik, die sie auch geleistet hätten. Die institutionelle Anerkennung früher Formen institutionskritischen Agierens will er daher nicht als Auflösung ihres kritischen Potentials gelesen sehen, dies auch darum, weil doch nachfolgende künstlerische und kuratorische Institutionskritik genau auf die Errungenschaften der Vorgänger aufgebaut hätten.
Und damit ist ein weiterer Aspekt angesprochen, dessen Klärung Gau berechtigterweise viel Raum gibt, nämlich dem Ort und der Potentialität von Kritik. Die Untauglichkeit dichotomer Annahmen zeigt sich auch für die Kritik, die sich sinnvollerweise, so der Autor, nicht einbildet, von einem unabhängigen Standpunkt aus zu urteilen, sondern sich ihrer Verstrickungen bewusst werden und sie sichtbar machen soll. Dass dies kein einfaches Unterfangen ist, diskutiert Gau am Beispiel der Arbeiten von Andrea Fraser, die paradoxerweise fast schon als Ikone der zweiten Phase künstlerischer Institutionskritik bezeichnet werden kann. Die sehr ausführliche Besprechung dieser, zudem singulär gesetzten Position ist zwar aufgrund des sehr etablierten Status der Künstlerin vorerst störend, wird aber durch die Argumentationslinie, die daraus abgeleitet wird, durchaus berechtigt. So ist es Gau nämlich keineswegs nur darum zu tun, Frasers Arbeiten als exemplarische künstlerische Positionen zu diskutieren. Vielmehr geht es ihm um die Problematisierung von Frasers Interpretation des Bourdieu’schen Feldbegriffes: Fraser behaupte, wir könnten nicht «exist outside the field of art» (S. 338), was die Möglichkeiten kritischen Handelns bzw. vor allem dessen Effektivität nahezu verunmögliche. Dagegen plädiert Sønke Gau für ein Denken des Kunstsystems über die Kategorie der Hegemonie (mit Gramsci und Marchart), die ein konstantes Ringen (mit Laclau/Mouffe und gegen Boltanski/Chiapello) um Sichtbarkeit und Öffentlichkeit erfordert, dabei weder von einer Aufteilung in Innen und Aussen, noch von feststehenden Positionen ausgeht. Vielmehr müsse auch der Ort, von dem aus eine Kritik sich bildet, immer wieder neu ausgehandelt werden. In dieser theoretischen Konzeption positioniert Gau auch sein eigenes kuratorisches Arbeiten an der Shedhalle in Zürich, das in der Besprechung des von ihm mitverantworteten Projektes 1 SFR = 1 STIMME von Andreja Kulunčić eine glaubwürdige Selbstreflexion erfährt.
Für die sehr gründlichen und produktiv argumentierten Einwände gegen die aktuelle Rezeption institutionskritischer Verfahren greift Sönke Gau auf einen beachtlichen theoretischen Apparat zurück, den er zwar durchaus souverän durch die einzelnen Thesen hindurch manövriert, ihm aber auch enorm viel Raum einräumt,– gerade so, als würde er der Tragfähigkeit seiner Einschätzungen nicht ganz trauen. Das ist schade und heikel zugleich: Zu bedauern ist dies, weil Gaus differenziert hergeleitetes Postulat dafür, Institutionskritik radikal kontextuell zu denken, in der umfangreichen – wenn auch kritischen – Würdigung grosser Namen fast zu verschwinden droht. Eine analytische Herleitung über eigenständigere und mehr auf Gaus Hauptthese, nach der Institutionskritik als Methode weiterhin das Potential zu einer effektiven Befragung struktureller Gefüge hat, ausgerichtete Aspekte hätte diese zum Hauptakteur der Studie machen können. Darüber hinaus erachte ich die prominente Setzung anerkannter Theorien auch als heikel, weil dadurch der ‹Institution Theorie› – vertreten durch etablierte, wenn nicht gar kanonisierte Stimmen des Diskurses – doch eine gar potente Hoheit bei der Bestimmung und Verortung kritischer Praktiken zugeordnet wird.