Gab es sie je, die guten Dinge?

Stefan Burger in der Kunsthalle Bern

Stefan Burgers umfangreiche Ausstellung fotografischer Arbeiten impliziert die inhärent widersprüchliche Genese der analogen Fotografie im Laufe der Industrialisierung. Die neuen Arbeiten sind nicht nur alle namenlos, sondern entziehen sich sowohl kategorischen Sujets wie Stilleben oder modernistische Abstraktion wie auch mediumspezifischen und damit einhergehenden indexikalen Lesarten. Burgers teilweise plastische Bilderzeugung reicht von raffiniert verführerischen Oberflächen bis hin zu einer «immateriell» wirkenden Flora und dialogisiert hierbei unerwarteterweise mit den freischwebenden und referenzgleichgültigen digitalen Bildwelten welche die postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft bewerben.

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Stefan Burger Kunsthalle Bern 2017

Stefan Burger, Kunsthalle Bern, 2017, Installationsansicht. Foto: Gunnar Meier

Das gesamte fotografische Werk von William Henry Fox Talbot – einem der Pioniere des Mediums insbesondere hinsichtlich dessen ökonomisch effizienter Reproduzierbarkeit – wird momentan an der University of Oxford digitalisiert[1] Die neuen Fotografien von Stefan Burger (allesamt 2017 entstanden), welche er anlässlich seiner Werkschau in der Kunsthalle Bern ausstellt, offenbaren nicht nur markante formale Analogien zu den inzwischen hochempfindlichen und filigranen sogenannten «photogenic drawings» Talbots [2], sondern fördern weiterhin jene Krux zu Tage, der sich bereits Talbots künstlerischer Anspruch im Viktorianischen Zeitalter ausgesetzt sah. Talbots in der Tat moderne Visualisierung und Reproduzierbarkeit von alltäglichen Motiven wie einer Blüte, einer feingliedrigen Spitze aus der Textilsammlung seiner Mutter, Porzellan oder schimmernden Glaswaren schlug gleichermassen Staunen, Bewunderung, ästhetischer Genuss, aber auch Misstrauen und Ignoranz seitens seines vorrangig grossbürgerlichen und akademischen bis aristokratischen Publikums entgegen. Wie der Kunsthistoriker Robin Kelsey in seinem Buch Photography and the Art of Chance [3] darlegt, verirrte sich Talbot in seinen Ausführungen zur Fotografie in der Ambivalenz zwischen «process» (Schaffungsprozess) und «product» (dem resultierenden Objekt). Denn einerseits lag gerade in der Motivauswahl, also dem fotografischen Blick (dem sogenannten «Photographer’s Eye») sowie darauffolgender Komposition das ästhetisch entscheidende Moment, in Zuge dessen der geek zum Künstler des modernen Zeitalter schlechthin befördert wurde; andererseits sollte die Fotografie als echtes Kunstwerk der Malerei theoretisch und auratisch als ebenbürtig erachtet werden. Das wiederum erforderte, dass der revolutionäre aber wenig anspruchsvolle, mehr oder weniger von jedem und jeder anwendbare, instantive Prozess ausgeblendet werden musste; letzteres Paradox wiederum, im Prinzip eines der thesenhaften Ur-Szenarien von Walter Benjamins später beschriebenem Zeitalter einer technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks, rief im sich industrialisierenden England laut Kelsey Ablehnung und Skepsis hervor: «Many [Victorians] felt that an embrace in photography of cheap processes and mass quantities had made the medium industrial. Prominent Victorians fretted chronically about their new mechanized economy and its destabilization of social and economic relations, and photography and its mechanical ways often seemed complicit in the dehumanization of everyday life.»[4] Kelsey geht in seiner Studie zur Rezeptionsgeschichte der Pionierfotografie Talbots soweit, zu argumentieren, dass sowohl die Technik der Fotografie - als nicht intendierte, unerwartete Entdeckung - wie auch der Zufall selbst als qualitatives Merkmal eines mehr oder wenigen interessant eingefangenen Motivs oder Ereignisses beim Publikum Verunsicherung und Misstrauen erweckte, da die Fotografie strukturell den nicht regulierbaren, scheinbar willkürlichen Vorgängen der Börse entsprach.[5]

Kunsthistorisch betrachtet, sind Burgers Fotografien in der Kunsthalle Bern längst nicht mehr Gegenstand solcher Dämonisierung, im gleichen Masse wie sie die Debatte von high und low nicht zu unterhalten gedenken. Vor diesem Hintergrund lassen manche der Bilder, wie die schwarzweissen Fotogramme von Wachsgazen oder einige der ephemeren Blumenbilder, formale Parallelen zu jener Art konzeptuellem Formalismus erkennen, wie ihn beispielsweise James Welling, seinerzeit aus der pictures generation hervorgegangen, seit den 1980er Jahren betreibt. Explizit ist Burgers Arbeit lediglich in ihrer offen an den Tag gelegten und deshalb enorm volatilen, um nicht zu sagen: inflationären «Kunsthaftigkeit», begrifflich irgendwo zwischen Künstlichkeit und Kunstfertigkeit zu verorten. Motive sind leicht, zu anziehender Transluzenz und dimensionaler Flachheit neigend, hier cineastisch-melancholisch à la Eugène Atget, dort eher homöopathisch-sedativ, wie stock images für irgendein pflanzliches und wahrscheinlich rein placebohaftes Antidepressivum. Aus dieser «Flexibilität» schöpft die Ausstellung auch eine Art Dekadenz: Die aggressive Unscheinbarkeit der schwarzweissen bis farblich toxisch angehauchten Grashalme, Pusteblumen und Blütenäste – je nach Standpunkt mundtot, romantisch, verstrahlt oder andächtig puritanisch – bergen immer auch schon die Komplizität und Verbrauchtheit jener Motive, sei es nun durch Bio-Supermärkte-Kampagnen oder diskreter durch vermeintlich geschmackvollere und ominösere Bebilderungen von eingegrünten Kampagnen privater Krankenversicherungen, ethischer Banken et cetera. Es herrscht somit mitunter qualitative oder gar generationelle Verunsicherung, wie auch die UBS den Millenials eine gewisse Unverlässlichkeit zuspricht hinsichtlich der langfristig profitablen Vermögensverwaltung und Finanzplanung («Keeping it in the Family») aufgrund ihrer notorischen «generational nervousness».[6] Burgers Fotografie ist angesichts der kühlen, pastelfarbenen Waschungen mancher Bildhintergründe durchaus versiert in den Präferenzen und Skalierungen selektiver Lifestyle-Fotografie (z.B. eine spindeldürren Kerze vor gender-bending «millenial pink» [7]  tie-dye Hintergrund, ein Motiv, das dennoch orthodoxe Pietät ausstrahlt), eine Branche und Bildsprache, die er als Fotograf natürlich mitfüttert. Glitches, vermeintliche «Fehler», eine Art perfektionierte und perfekte (instrumentalisierte?) Fahrlässigkeit und phänomenologische Entrücktheit sind alle Teil des Repertoires dieses unsachgemäss belichteten, zeitfernen Jetzts. 

Stefan Burger Kunsthalle Bern 2018

Stefan Burger, Ohne Titel, 2017, Kunsthalle Bern, 2017, Installationsansicht

Stefan Burger Kunsthalle Bern 2017

Stefan Burger, Kunsthalle Bern, 2017, Installationsansicht. Foto: Gunnar Meier

Stefan Burger Kunsthalle Bern 2017

Stefan Burger, Ohne Titel, 2017, Kunsthalle Bern, 2017, Installationsansicht. Foto: Gunnar Meier

Stefan Burger Kunsthalle Bern 2017

Stefan Burger, Ohne Titel, 2017, Kunsthalle Bern, 2017, Installationsansicht. Foto: Gunnar Meier

 

[1]https://www.newyorker.com/culture/photo-booth/looking-at-william-henry-fox-talbots-pioneering-photographswithout-causing-them-to-disappear
[2] http://www.gutenberg.org/files/33447/33447-h/33447-h.html#toc15
[3]Robin Kelsey, Photography and the Art of Chance (Cambridge/MA: Belknap Press of Harvard University Press, 2015)
[4]ibid., 40
[5]“In spite of continuous criticism from newspapers and the public [in the early 19th century], the government used the Exchange's organised market (and would most likely not have managed without) to raise the enormous amount of money required for the wars against Napoleon.” https://en.wikipedia.org/wiki/London_Stock_Exchange#Foreign_and_regional_exchanges (aufgerufen 6.12. 2017)
[6] https://www.ubs.com/magazines/wma/insights/en/investor-watch/2016/how-millenials-are-redefining-family-and-finances.html
[7] https://www.theguardian.com/artanddesign/shortcuts/2017/mar/22/millennial-pink-is-the-colour-of-now-but-what-exactly-is-it , http://www.glamourmagazine.co.uk/article/millennial-pink