Sprechen lernen? Teil 1

Eine Diskussion über ‹Schwarz›sein in der Schweiz und warum sich die Kunstinstitutionen an diesem Thema die Finger verbrennen sollten

Am 30. Januar 2017 publizierten wir auf Brand-New-Life eine Besprechung zur Ausstellung von Lynette Yiadom-Boakye in der Kunsthalle Basel. Der Artikel stellt unter anderem die Frage, wieso in der die Ausstellung begleitenden Diskussion nicht darüber gesprochen wird, was es bedeutet, dass die Gemälde der britischen Künstlerin mit ghanaischen Wurzeln ausschliesslich dunkelhäutige Figuren abbilden. Als Antwort auf den Artikel hat Elena Filipovic, Kuratorin der Ausstellung und Direktorin der Kunsthalle Basel, ein Gespräch mit uns gesucht. Wir luden daraufhin Elena und einige weitere Personen, deren Meinung zum Thema uns interessierte, zu einem nicht-öffentlichen Gespräch ein. Die Terminsuche erwies sich aber als schwierig. So kam es, dass wir schliesslich zweimal in der Bibliothek der Kunsthalle sassen, in jeweils leicht abweichender Zusammensetzung. Trotz gleicher Ausgangsfrage verliefen die beiden Diskussionen in unterschiedliche Richtungen und setzten andere inhaltliche Akzente. Aber beide Diskussionen sind ein Versuch, über die Möglichkeiten nachzudenken, wie man in der Schweiz über Fragen von Schwarzsein – in und mit der Kunst – sprechen kann. Und passagenweise haben wir ein solches Sprechen gleich vorgeführt.
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Kunsthalle Basel, Bibliothek

23. Juni 2017, Bibliothek der Kunsthalle Basel: Sarah Owens, Barbara Preisig, Hinrich Sachs

Barbara Preisig: Ich möchte gerne darüber sprechen, wie man die Forderung im Artikel zur Ausstellung von Lynette Yiadom-Boakye tatsächlich umsetzen könnte. Die Forderung also, dass sich Ausstellungsinstitutionen in Beziehung setzen zu gesellschaftspolitischen Fragen, etwa des Rassismus oder der aktuellen Diskussion in der Schweiz um Racial Profiling. Ich sehe das Problem, dass das Museum noch immer diese unsichtbare Grenze zur Sphäre des Alltäglichen hat. Es schafft einen Kontext, in dem die Kunst von allem Lebensweltlichen oder Trivialen gereinigt wird, um das Sublime der Kunst zu bewahren. Wie ist es für ein Museum also möglich, politische Fragen aufzunehmen und zu vermitteln? Ist es Aufgabe von Ausstellungsinstitutionen, eine solche Verbindung herzustellen, oder wäre das eher die Aufgabe der Kunstkritik? Ich möchte aber nicht auf die Ausstellung von Lynette Yiadom-Boakye eingehen, wenn Elena heute nicht anwesend ist.

Sarah Owens: Ich beobachte diese Hemmungen, über Rassismus zu sprechen, in vielen Situationen und frage mich, ob der Diskurs hier in der Schweiz einfach noch nicht lange genug geführt wurde, um das entsprechende Vokabular zur Verfügung zu haben. In den USA spricht man vergleichsweise schon sehr lange intensiv darüber. Man kann diese Art zu sprechen aber nicht einfach übernehmen – dazu sind die Bedingungen zu unterschiedlich. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass man Angst hat, eine Kiste aufzumachen und dann erkennen zu müssen, wieviel struktureller Rassismus in den Institutionen steckt. Man merkt das insbesondere an den ganzen Diversity-Diskussionen. Viele Institutionen legen grossen Wert darauf, divers und international zu sein. Aber darüber, ob es innerhalb der Institution Ausschluss oder Diskriminierung gibt, will man nicht sprechen.

Barbara: Welche Art von Diskussion oder Dialog würdest du dir wünschen?

Sarah: Es ist bereits gut, überhaupt mit der Diskussion zu beginnen. Zum Beispiel darüber zu reden, wo Ausschlüsse passieren und warum bestimmte Themen vermieden werden. Aus meiner Erfahrung kann aber eine direkte Forderung nach einem Dialog auch dazu führen, dass sich jemand erst recht verweigert. Dann ist es vielleicht besser, man sucht Möglichkeiten wie Netzwerke oder Allianzen, um eine kritische Masse zu erreichen, damit sich die, die sich zuvor weigerten, auf ein Gespräch einlassen müssen.

Hinrich Sachs: Bei Kunstinstitution mit Teams aus drei bis zehn Mitarbeitenden, wie es in der Schweiz viele gibt, könnte es durchaus sein, dass solche Auseinandersetzungen deshalb nicht stattfinden, weil die Mitarbeitenden wohl ausschliesslich weiss und von diesen Fragen kaum direkt betroffen sind und weil ein Grossteil des Informationsflusses mündlich und informell abläuft.
Im Kontrast dazu finden in den USA im Moment emotionsgeladene öffentliche Diskussionen darüber statt, wer für wen sprechen darf, insbesondere auch mit den Mitteln der Kunst. Ich denke konkret an den Dana-Schutz-Skandal. Die Künstlerin hat als Beitrag zur Whitney Biennale 2017 ein Gemälde ausgestellt, das die Leiche von Emmett Till zeigt. Der afroamerikanische Jugendliche wurde 1955 in Mississippi von zwei Weissen ermordet. Die damals veröffentlichte Fotografie der Leiche wurde zu einer der Ikonen der Bürgerrechtsbewegung. Dass eine weisse Künstlerin dieses Bild nun für ihre Kunst nutzt, wurde heftig kritisiert. Die Künstlerin Hannah Black forderte in einem offenen Brief zusammen mit ausschliesslich afroamerikanischen Unterzeichnern gar die Zerstörung des Werks. Sarah, wie nimmst du diese Diskussionen in den USA wahr?

Sarah: Die momentane Situation in den USA ist besonders angespannt. Vor der Wahl von Trump gab es unter schwarzen Frauen das Gefühl, dass es langsam besser wird, ihre Stimmen gehört werden. Und nun ist alles wieder in der Schwebe. Endlich war es selbstverständlich geworden, dass Universitäten African-American Studies anbieten, und nun merkt man, dass es tatsächlich viele Menschen gibt in den USA, die das gar nicht wollen.

Hinrich: Es scheint auch, dass die Fronten in den USA so verhärtet sind, dass ein offenes gemeinsames Nachdenken schwierig ist. Polarisierungen sind über die Jahre stärker geworden. Es gibt zum Beispiel Dinge, die ich als Weisser nicht sagen darf beziehungsweise bei denen Humor ausgeschlossen ist. Das habe ich in Gesprächen in den USA erlebt, in denen mir als europäischem Besucher vor Ort vereinbarte Konnotationen und wahrgenommene Subtexte schlicht unbekannt waren. Problematisch finde ich es auch, dass die Diskussion um Diskriminierung in den USA so extrem auf die Rolle von Weiss- oder Schwarzsein zugespitzt ist. Dabei geht die Frage nach dem dominanten Verhältnis des amerikanischen Mainstream-Selbstverständnisses, inklusive Rap und Hip-Hop-Kultur, gegenüber indigenen Bevölkerungsgruppen, also Native Americans, völlig unter. In einem aktuellen Projekt arbeite ich gerade mit einigen Inuit zusammen, wobei es in Kanada so etwas wie eine schmerzhafte öffentliche Diskussion über die kolonialen Impulse des demokratischen Staates aus Weissen und Einwanderern aus aller Welt gegenüber First Nation People gibt.

Barbara: Wie ist das in der Schweiz?

Hinrich: Hier mache ich oft die Erfahrung, dass es kein dringendes Bedürfnis gibt, sich mit Geschichte auseinander zu setzen. Vielleicht, weil die gefühlte Schweizer Geschichte so friedlich erscheint, ohne Krieg, ohne Zerstörungen. Selbstverständlich haben sich innerhalb dieses Rahmens deshalb subtilere Formen des Ausschlusses institutionalisiert, unmerklich, über Generationen hinweg. Die meisten scheinen auf dieser ‹Insel› zufrieden zu sein. Das macht es schwierig, den Status quo zu hinterfragen.

Barbara: Wir haben in der Schweiz ein sonderbares Verhältnis zur Hegemonie der weissen westlichen Welt. Einerseits wurde die koloniale Geschichte der Schweiz bis vor kurzem ignoriert. Andererseits haben wir aus den USA eine Art und Weise des Sprechens übernommen und des Wissens darüber, wie man mit Fragen der Ethnizität korrekt umgeht. Während diese Political Correctness [1] in den USA die Bürgerrechtsbewegung und ein Jahrzehnte langer Diskurs zu Identity Politics vorangingen, sind wir bislang kaum in einen direkten Dialog mit den nicht-weissen Menschen in der Schweiz getreten. Ich glaube, das ist es, was uns befangen macht. Ich merke diese Unsicherheit auch bei meinem eigenen Sprechen. Zum Beispiel frage ich mich, ob ich dich, Sarah, als Schwarze oder als dunkelhäutige Frau ansprechen soll. Oder ob ich dich vielleicht besser gar nicht auf deine Hautfarbe ansprechen soll, weil ich dich dadurch ethnifizieren könnte. Wir hier in der Schweiz wissen hypothetisch, in welche Fettnäpfchen man treten kann, aber nicht aus unserer Alltagserfahrung.

Sarah: Ich finde einerseits den Grundgedanken der Political Correctness sehr wichtig – es ist wichtig, die eigenen Positionen und den eigenen Sprachgebrauch immer wieder zu überdenken. Wenn man jedoch meint, dass mit Political Correctness schon alles, was zu tun ist, getan wurde, wird es schwierig. Zum Beispiel ist es seltsam, wenn man behauptet, dass man ein multikulturelles Land ist, und trotzdem gibt es im TV rassistische Figuren (zum Beispiel «Frau Nogumi»). Wir wähnen uns dann in einer falschen Sicherheit, die aber eigentlich unsicher macht. Positiv gesehen bieten die Fettnäpfchen die Möglichkeit, zumindest ins Gespräch zu kommen.

Hinrich: Inwieweit wäre es möglich den Begriff Rassismus, der so stark an Erscheinung gebunden ist, zu ersetzen? Denn Diskriminierung findet ja nicht nur aufgrund von äusseren Merkmalen statt. Das wäre für mich ein Ansatz, wie man der Situation in der Schweiz auch anders begegnen könnte. Aus meiner Sicht sind rassistische Formen der Machtausübung immer auch an Dynamiken von Kapital gebunden. Im Alltag lässt sich das vielleicht trennen, aber auf einer strukturellen Ebene nicht, besonders nicht in der Schweiz. Wir können nicht über latenten Rassismus sprechen, ohne zu berücksichtigen, welche Rollen die Schweiz und hier ansässige Unternehmen in der Welt, zum Beispiel im Rohstoffhandel, spielen und welche Lebensrealitäten diese schaffen. Ich habe ein Beispiel, wie solche ökonomischen Bedingungen hier in Basel zu einer interessanten Verschiebung führen. Auf den Spielplatz, den ich oft mit meiner Tochter besuche, kommen auch viele Englisch sprechende Kinder von gut bezahlten Novartis- und Roche-Angestellten aus dem Raum des indischen Subkontinents. Ihre Betreuerinnen dagegen sprechen ein britisches Englisch der lower middle oder working class. Wäre dies ein Bild der Umkehrung historischer kolonialer Verhältnisse? Sicher ist: Weisse sind in diesem Fall die niedrig bezahlten Arbeitskräfte. Ich denke, dass das Wahrnehmen von Mikroperspektiven enorm wichtig ist.

Barbara: Können wir nochmals darüber sprechen, wie wir in Verbindung mit Kunst zu einem produktiven Umgang mit Fragen von Schwarz- oder Anders-Sein kommen können? Oder gibt es im Design dazu Beispiele?

Sarah: Im Design gibt es die Diskussion praktisch gar nicht. Man tut oft so, als ginge es um die reine Form, als ob Arbeiten und Objekte direkt vom Himmel fallen, ohne Unterschied, wer sie gemacht hat. Es gibt auch kaum historisches Wissen über schwarze Designer/innen. Bisher hat das auch niemand gefordert. Langsam bilden sich Initiativen, zum Beispiel die Gruppe Decolonising Design, die einen Perspektivwechsel im Designdiskurs anstrebt.

Hinrich: Ich würde den Ball direkt den Kunst- und Kulturschaffenden zuspielen. Das kann provokativ sein, oder dialogisch.

Sarah: Ich finde es auch von Seiten der Kunstkritik wichtig, diesen Dialog immer wieder anzustossen. Institutionen und Menschen können sich nur bis zu einem gewissen Grad verweigern. Es braucht einfach genügend Leute, die eine solche Diskussion wollen.

Barbara: Vielleicht müssen wir (und die Kunstinstitutionen) uns stärker vergegenwärtigen, wie verschieden Kunst zu unterschiedlichen Menschen spricht. Es wäre spannend, Menschen unterschiedlichster sozialer, kultureller und ethnischer Herkunft Werke laut deuten zu lassen und so in einen Dialog zu treten.

Hinrich: Damit sprichst du die Kunstvermittlung an, und eine Frage hierbei wäre: Wie ist es möglich, Blickweisen zu thematisieren, die ausserhalb von dem liegen, was die Erfahrungen des Vermittelnden sind? Wer könnte diese Aufgabe übernehmen?

Sarah: Ich kann mir auch gut vorstellen, dass sich auf diese Weise sehr schnell unerwartete Verschiebungen ergeben. Zum Beispiel könnte man meinen, dass ich als schwarze Frau in den Bildern von Yadom-Boakye sofort Normalität sehe. Aber ich bin in einem fast ausschliesslich weissen Umfeld aufgewachsen. Die Frage ist doch, sehe ich auf einem Bild zwei Menschen, die über einen Bach springen, oder sehe ich zwei schwarze Menschen, die über einen Bach springen? Ich vermute, dass die meisten, typischen Ausstellungsbesucher_innen letzteres sahen, weil people of colour in ihrer Alltagswelt in dieser Weise nicht vorkommen. Das muss einer Kunstinstitution bewusst sein.

Hinrich: In Genf lebt seit langem Omar Ba. Ursprünglich stammt er aus dem Senegal. Als ich noch in der eidgenössischen Kunstkommission war, kam er mit seinen malerischen Arbeiten in die Schlussrunde. Ich erinnere mich noch, wie schwierig die Diskussion über seine Kunst in der Kommission war. Es wurde vorschnell auf ethnische Klischees rekurriert. Man wusste nicht, wie man mit seinen ‹afrikanischen› Referenzen umgeht. Ich würde gerne von jemanden wie ihm erfahren, wie er die gegenwärtigen Muster und Haltungen im Rahmen der Schweizer Kunstinstitutionen und Szene wahrnimmt. Vermutlich hat er eine viel präzisere Perspektive als Künstler wie Theaster Gates oder Lynette Yiadom-Boakye, die nicht in der Schweiz leben, und aufgrund einer institutionellen Einladung hier ausstellen.

[1] Der Begriff «Political Correctness» meint in seiner ursprünglichen Bedeutung eine im 20. Jahrhundert ausgebildete Norm, die dazu dient, Diskriminierung im Sprachgebrauch zu vermeiden. Seit den 1990er Jahren wird der Begriff aber auch vermehrt von rechts-konservativen Vertreter_innen verwendet, um auf eine Einschränkung der Redefreiheit durch diese Sprachnorm der Political Correctness hinzuweisen. Im Text rekurriere ich auch die ursprüngliche Begriffsbedeutung. Zur Geschichte der «Political Correctness» siehe zum Beispiel «Philosophischer Stammtisch: Das Ende der Political Correctness?», in: Sternstunde Philosophie, SRF, 14. Mai 2017, https://www.srf.ch/sendungen/sternstunde-philosophie/philosophischer-stammtisch-das-ende-der-political-correctness, oder Christian Staas: «Political Correctness. Vom Medienphantom zum rechten Totschlagargument. Die sonderbare Geschichte der Political Correctness», in: Die Zeit, 1. Februar 2017, http://www.zeit.de/2017/04/politicial-correctness-populismus-afd-zensur.