Yes, I believe every word you say?

Glaube, Macht, Arbeit in Andrea Büttners «Gesamtzusammenhang», Kunst Halle Sankt Gallen, 04.03.–07.05.2017

Politischen Aktivismus religiöser Gemeinschaften, Schlagworte wie Humanität oder Ethik auszuloten, um dabei Idealismus gegen Materialismus zu halten – nichts weniger hat sich Gesamtzusammenhang vorgenommen. Dass Andrea Büttner sich politischem Widerstand durch Glaube nähert, provoziert die säkularisierte Kunstwelt des 21. Jahrhunderts. Ihr Schaffen entfaltet dabei eine ambivalente Faszination für verdrängte Erzählungen.
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01 Andrea Buettner 2017 KunstHalle SanktGallen bc1cb5a5
Ausstellungsansicht Andrea Büttner, Yes, I believe every word you say, 2007; Dancing Nuns, 2007; Ausstellung der Friedensbibliothek/Antikriegsmuseum Berlin über Simone Weil, Courtesy Andrea Büttner; Hollybush Gardens, London; David Kordansky Gallery, Los Angeles; Galerie Tschudi, Zuoz. Photo: Kunst Halle Sankt Gallen, Gunnar Meier.

In St. Gallen präsentiert Büttner eine Auswahl ihrer seit 2007 entstandenen Holzschnitte. Zur Ausstellungsinstallation fügt sie aber nicht nur eine Arbeit des britischen Künstlers David Raymond Conroy (You (People) Are all the Same) (2016) hinzu. Sie integriert auch eine pazifistisch-didaktische Ausstellung über die französische Philosophin Simone Weil (1909–1943), konzipiert von der Friedensbibliothek/ Antikriegsmuseum der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Der Besucherin springt zunächst eine prominent platzierte, erste Stellwand ins Auge. Das ausgeklügelte DIY-Display ist aus zwei gleichförmigen vorder- und rückseitig bespielten Paneelen gefügt. Unter handgeschriebenen Überschriften in thematische Gruppen gegliedert, illustrieren Schwarz-weiss-Fotografien von berühmten und anonymen Fotografen sowie Zitate Weils ihre 1949 veröffentlichte Schrift Die Einwurzelung[1]. Landschafts- und Strassenfotografien, betitelt mit Die Bedürfnisse der menschlichen Seele, spielen auf die emotionale Verwobenheit des Menschen mit seiner physischen und sozialen ‹Umwelt› an. Unter dem Titel Entwurzelung tauchen dagegen Porträts von Akteuren des Nationalsozialismus auf, die dehumanisierenden Umstände von Kriegen und das aktuellste Bild – ein namenloses Flüchtlingslager im Grenzgebiet zu Syrien.

Für Büttner bietet es sich aus mehreren Gründen an, Weil mittels einer nicht-künstlerischen Präsentation einzuführen: Einerseits thematisiert Büttner mit der Ausstellung in der Ausstellung die Art und Weise des Zeigens. Einem Kirchgemeindehaus entsprungen, bringt das unzeitgemässe Display eine widerständige Ästhetik hervor. Mit Gummibändern und Büroklammern sind die Ingredienzien eines gut bestückten Büro-Rollkorpus ebenso in die Stellwand eingebunden wie Weils Aussagen. Die Installation ist überzeitlich konzipiert, führt aber dennoch vor Augen, wer wen wie – und in diesem Fall auch zu welchem Zweck – (re)präsentiert. Die Friedensbibliothek wurde unter der Obhut der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg ab 1970 zum Teil der Bürger-Widerstandsbewegung gegen das repressive Staatssystem der DDR. Büttner fragt in einem weiteren Schritt selbstreflexiv, wann die Auseinandersetzung mit anderen Menschen oder verschiedenen Autorschaften im Rahmen einer positiv verstandenen Gemeinschaft oder künstlerischer Arbeit kippt: Wo beginnt die ideelle Vereinnahmung, individuelle Instrumentalisierung oder «Entwurzelung» des Subjekts? Andererseits lässt sich Weils Aktivismus weder einer religiösen Glaubensrichtung noch einer Ideologie streng zuordnen. Weil taugt daher schlecht zur eineindeutigen ‹Identifikationsfigur›.

Die an den weissen Ausstellungswänden angebrachten Holzschnitte treten formal wechselweise untereinander und mit dem Raum in Beziehung. Neben abstrahierten Darstellungen von Zelten oder Unterständen (Tent (marquee), 2012; Tent (two colours), 2012/13) finden sich unter den Holzschnitten auch Dancing Nuns (2007) oder das anrufende Yes, I believe every word you say (2007). Als direkt oder indirekt ausgewiesene Glaubensbekenntnisse scheinen sie auf Weils Zitate in der mittig platzierten Installation zu antworten. Büttners Holzschnitte stehen nicht nur inhaltlich, sondern auch medial in der druckgraphischen Tradition sozialpolitisch aktiver Frauen mit Glaubensbezug: Sie erinnern etwa an die Holzschnittfolgen von Käthe Kollwitz (1867–1945), die Ende des 19. Jahrhunderts der Freien Evangelischen Gemeinde nahestand, oder an die Serigraphien und Siebdrucke appropriierter Aphorismen der katholischen Sister Corita Kent (1918–1986).

Büttners Holzschnitte sind nicht exakt gearbeitet. In ihrer skizzenhaften Bildsprache, durch die ausfransende Textur der aufgebrachten Farbe, bilden sie die faserige Beschaffenheit ihres ‹armen› Ausgangmaterials, Holz, mit ab. Grell-orangefarben leuchten dagegen die zwei Leinwände Fabric Painting (2017). Büttner setzt sie strategisch als werkrahmende Displayelemente und damit ebenfalls als eine Art Metakommentar ein: einmal als Tageslicht-Blende im zweiten Ausstellungsraum, einmal als Unterlage für einen weiteren Holzschnitt aktuellsten Datums, Beggar (2017), im letzten Raum. Im Unterschied zum Holzschnitt übertüncht und de-materialisiert hier die leuchtende Farbe die Stofflichkeit des Trägers. Wobei die hinterleuchtete Leinwand ihr hölzernes Spannwerk als Schattenbild offenbart und sich so selbst dekonstruiert. Aus rezyklierter Arbeitskleidung handgewoben sind die textilen Bespannungen der Rückenpolster für Sitzbänke, die Büttner aus industriellen Kunststoffkisten und Lärchenholz gefertigt hat.

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Ausstellungsansicht Andrea Büttner, Tent (marquee), 2012; Tent (two colours), 2012/13; Duck and Daisy, 2015; Sky, 2015; Ausstellung der Friedensbibliothek/Antikriegsmuseum Berlin über Simone Weil, Courtesy Andrea Büttner; Hollybush Gardens, London; David Kordansky Gallery, Los Angeles; Galerie Tschudi, Zuoz. Photo: Kunst Halle Sankt Gallen, Gunnar Meier.

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Ausstellungsansicht David Raymond Conroy, (You (People) Are All The Same), 2016; Andrea Büttner, Fabric Painting, 2017; Bench, 2012 Courtesy David Raymond Conroy; Seventeen Gallery, London. Courtesy Andrea Büttner; Hollybush Gardens, London; David Kordansky Gallery, Los Angeles; Galerie Tschudi, Zuoz. Photo: Kunst Halle Sankt Gallen, Gunnar Meier.

Im zweiten Teil der Ausstellung reiht sich fast beiläufig die Projektion von David Raymond Conroys Film (You (People) Are all the Same) (2016) zwischen Büttners Arbeiten ein. Ausgerechnet im Spielermekka Las Vegas denkt Conroy in einer Videomontage laut über die Bedingungen von (künstlerischer) Arbeit nach. Die lose Bilderzählung handelt von Conroys Suche nach einem geeigneten Obdachlosen für sein Kunstprojekt zwischen und an den Rändern der Konsumstadt. Mit Büttners im letzten Raum gezeigter Beggar-Serie entfernt korrespondierend, provoziert der Film die Frage, wie Conroy Obdachlose ‹ethisch› oder politisch korrekt in seinen zynischen Kommentar auf die Verdienstbedingungen in der Kunstwelt einbinden könnte: Nutzt er die Obdachlosen aus, instrumentalisiert sie, oder gibt er ihnen etwas, indem er sie für sein Projekt anstellt? Darf er sie ins Bild setzen oder nicht? Will er Gutes tun oder gute Kunst machen – schliesst sich das aus? Conroys Vorhaben scheitert. Was bleibt, ist dessen mit mehrstimmigem Voice-over inszenierte Dokumentation. Sie zeigt, dass Conroys Handlungs- und Entscheidungsspielraum wesentlich grösser ist als der seiner fieberhaft gesuchten Protagonisten. Die zwei Obdachlosen, die er für sein Kunstprojekt gewinnen will, sind ihrer prekären Lebenssituation wegen latent der Gefahr ausgesetzt, in Haft zu geraten. Sie erscheinen vom System zum Ausschluss verdammt. Wobei der Titel Conroys bittere Ironie zwischen Gleichheit, Vorteil und Vorurteilen zusammenfasst.

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Andrea Büttner, Ausstellungsansicht, Breadpebble, 2010; Beggar, 2017; Fabric Painting, 2017; Coins, 2017; Potatoes, 2017. Courtesy Andrea Büttner; Hollybush Gardens, London; David Kordansky Gallery, Los Angeles; Galerie Tschudi, Zuoz. Photo: Kunst Halle Sankt Gallen, Gunnar Meier.

Wie leicht könnte Büttners Ausstellung zu einer moralinsauren Gegenüberstellung von humanitärem Gutmenschentum in Glaubensgemeinschaften und ausbeuterisch-menschenverachtender (Staats- oder Wirtschafts-)Doktrin geraten. Die Künstlerin findet einen Zwischenweg, indem sie holzschnittartig vereinfachende oder binäre Oppositionen aufführt und konterkariert. Trotz religiöser Färbung führt Büttner den Humanitätsbegriff nicht auf ein heteronormatives Modell und Gott zurück. In Gesamtzusammenhang zeigt sie aber, wie Macht Arbeit strukturiert. Nicht-instrumentalisierendes oder nicht-instrumentalisiertes Handeln erscheint dabei als Utopie, für die zu kämpfen es sich dennoch lohnt.

[1] Simone Weil, Die Einwurzelung, Einführung in die Pflichten dem menschlichen Wesen gegenüber, übers. von Friedhelm Kemp, (München: Kösel-Verlag,1956), [zuerst: L´Enracinement. Paris: 1949]. Weil, die jüdischer Herkunft war, entging dem drohenden Holocaust 1943 durch den Tod an Tuberkulose.